Die Frühjahrsbestellung wurde vor wenigen Tagen entfernt, akkurat zieren die neuen Sommerpflanzen die Blumen-und Gemüsebeete des reizvollen Gartens an der Liebermann-Villa in Berlin Wannsee. Der wunderschöne Blick zur Havel wird – wie in all den Jahren seit Max Liebermann und seine Familie 1910 dieses Sommerhaus bezogen haben – auf eine Haus-nahe Galerie leuchtend roter Geranien gelenkt, so wie es der alte Herr für immer bestimmt hatte. Eigentlich lebt die Familie Liebermann im Geist und Wollen, wenn auch durch eine große Zahl ehrenamtlicher Helfer vergrößert, noch immer hier. Jeder der sich darauf einlässt, spürt förmlich dieses angenehme Klima. Aber was hätte wohl der Hausherr zu der momentanen von Martin Faass eingeleiteten und von Herrn Dr. Spanke und Alice Cazzola verantworteten Präsentation seiner Gemälde gemeinsam und in Bezug zu denen des Malerkollegen Lesser Ury gesagt?
Er hätte es verhindert!
Links: Max Liebermann
Blick aus dem Atelier des Künstlers auf den
Königsplatz und die Siegessäule, 1897
© Privatsammlung Deutschland
Foto: Fotostudio Bartsch, Karen Bartsch
Rechts: Lesser Ury
Bahnhof Nollendorfplatz bei Nacht,
1925
© Stiftung Stadtmuseum Berlin
Foto: Oliver Ziebe
Max Liebermann * 20.07.1847 in Berlin – 08.02.1935 in Berlin
Lesser Ury * 07.11.1861 in Birnbaum/Posen – 18.10.1931 in Berlin
Nahezu 44 Jahre, seit 1887 lebten beide Künstler nebeneinander in der gleichen Stadt Berlin, sich kennend, aber gefühlsmäßig in großer Distanz lebend. Lesser Ury war der 14 Jahre jüngere, kam mit Empfehlungen Fritz von Uhdes nach Berlin und erlebte anfangs die Förderung durch Max Liebermann. Außer ihrer jüdischen Herkunft hatten sie wenig gemeinsam. Lesser Ury war der mittellose Sohn einer alleinerziehenden Mutter, zunächst ohne Anschluss und Beziehungen in der großen Stadt, charakterlich, wie sich zunehmend zeigte, schwierig. Not und Elend, Krankheiten und immer währender Hunger kennzeichneten seine Kindheit. Mit 18 Jahren begann er seine Kunststudien in Düsseldorf und setzte sie später in Brüssel und München fort. Studienaufenthalte in Paris und Süddeutschland festigten sein Interesse für eine impressionistische Malweise.
Max Liebermann hingegen stammte aus einer seit zwei Generationen in Berlin lebenden, sehr wohlhabenden Industriellenfamilie. Allerdings gewährten ihm die Eltern sein Kunststudium erst nach großem Widerstand. Sie hielten nichts von der Malerei. Stationen seines Werdens waren die Kunstschule Weimar, Arbeiten im Atelier von Mihaly Munkacsy in Düsseldorf, Paris und bald regelmäßige Aufenthalte in den Niederlanden. Dabei entstand 1872 sein erstes, noch naturalistisch gemaltes Ölgemälde »Die Gänserupferinnen«, das zwar nicht dem Zeitgeschmack entsprach, ihn zum „Maler des Hässlichen“ abstempelte, aber aufgrund der perfekten Maltechnik erste Achtungszeichen setzte. Paris und vor allem die Schule von Barbizon beeindruckten Liebermann, auch wenn die Kontakte zu den französischen Malern 2 Jahre nach dem „großen“ Krieg oberflächlich blieben. Das Interesse für eine modernere, losgelöstere, lichtbetontere Malweise, dem Impressionismus war geboren. 1884 kehrte Max Liebermann in »sein« (sprachliches, mentales, schnoddriges) Berlin zurück, musste aber auch hier erleben, wie ablehnend die Gesellschaft der modernen Malerei gegenüberstand.
Max Liebermann
© Sammlung Deutsche Bank
Das erfuhr Lesser Ury in ganzer Breite. 1887 endgültig nach Berlin zurückgekommen faszinierte ihn die rasant wachsende Großstadt. Das wollte er festhalten, die Straßen, Plätze, Cafés, das Spiel des neuen elektrischen Lichts, Menschen im wachsenden, quirligen Berlin, Pferde mit ihren Droschken, Sehenswürdigkeiten. Er tat es, im neuen, im französischen, impressionistischen Stil. Und erntete vernichtende Kritik.
Lesser Ury
© Privatsammlung, Foto: Fotostudio Bartsch, Karen Bartsch
Lesser Ury
© Galerie Ludorff, Düsseldorf, Foto: Achim Kukulies
Beide, Liebermann wie Ury begleiteten die deutsche Kunstszene in die Moderne. In zunehmenden Maße wurden sie anerkannt, beliebt und begehrt. Sie malten Motive ihrer Stadt, beide modern und doch so unterschiedlich.
Sucht man das zufriedene, ordentliche, wohl geordnete bürgerliche Familienleben im Tiergarten, das fröhliche Treiben der Kinder auf dem Spielplatz, wird man bei Max Liebermann fündig. Helle, positive, harmonische Farben lassen uns seinen Blick für das Schöne, Ruhige, Friedliche nacherleben.
Links: Max Liebermann
Allee im Tiergarten mit Spaziergängern, 1930-32
© Kunstmuseum Gelsenkirchen
Rechts: Max Liebermann
Schlittschuhläufer im Tiergarten, 1923
© Privatsammlung, Foto: Griesebach GmbH
Straßenszenen gehören zu den selteneren Motiven, vereinzelt gemalt von seinem Atelier am Pariser Platz aus.
Max Liebermann
© Sammlung Eisenberger, Wien, Foto: Vera Eisenberger KG
Lesser Ury zeigt uns die Nacht, den Regen, das Spiel des Lichts, Autos neben Pferdebahnen, die Stadtbahn mit qualmenden Lokomotiven, Menschen im Café, das Nachtleben mit selbstbestimmten Frauen. Seine Bilder widerspiegeln die neue Pracht der aufstrebenden Metropole und das vibrierende Leben am Tag und in der Nacht, lässt uns aber auch eine dem Ganzen innenwohnende Gefahr fühlen.
Links: Lesser Ury
Nächtliche Straßenszene (Leipziger Straße, Berlin), 1920
© Galerie Ludorff, Foto: Achim Kukulies
Rechts: Lesser Ury
Berlin bei Nacht, 1889
© Privatsammlung, Foto: Fotostudio Bartsch, Karen Bartsch
Lesser Ury war schon zu Lebzeiten bei vielen Berlinern beliebt. Aufträge zu seinen Motiven überhäuften ihn, eine echte Anerkennung in Künstlerkreisen blieb ihm ein Leben lang verwehrt.
Lesser Ury
© Privatsammlung, Foto: Fotostudio Bartsch, Karen Bartsch
Dieses und die folgenden Bilder lassen die Meisterschaft Urys erkennen. Eine Nachtszene, die an einem Berliner Stadtbahnhof den anfahrenden Zug zeigt, die Dampfmaschine mit maximaler Kraftanstrengung die Wagen in Bewegung setzend, der Schornstein der Lok ist gerade noch zu erkennen. Der Einspänner ist in eine nach unten absinkende weiß/orange/blaue Dampfwolke eingehüllt, das Pferd hebt demonstrativ den Kopf, das Gefährt behauptet sich. Die Straße glitzert feucht in die Nacht.
Links: Lesser Ury
Café König bei Nacht (Unter den Linden), 1925-1930
Privatsammlung
Rechts: Lesser Ury
Hochbahnhof Bülowstraße bei Nacht, 1922
Privatsammlung
Berlin bei Nacht. Die Gesichter der Passanten sind ebenso wenig zu erkennen wie das »Gesicht«, die Frontscheibe der Autos, zart und intim präsentiert sich das Anonyme der Großstadt. Imponierendes elektrisches Licht, das sich in der regennassen Straße spiegelt. Aber, wie hat er das meisterhaft gemalt, man spürt förmlich die feucht-nasse Straße unter den Füßen. Blaugrüne dunkle Flächen, das Bahnhofsgebäude Bülowstraße ist nur schemenhaft zu erkennen, weisen auf das nächtlich Anonyme hin, aber die Stadt lebt, ein S-Bahnzug fährt gerade ein. Die stattliche Reihe der Taxis zeigt sich nur durch ihre Scheinwerfer, versunken in der Nacht, wie ein Schwarm heranschwirrender Insekten. Die Faszination einer Großstadt, aber auch ihre dunkle, gefährliche Seite verwirklichen diese beiden Gemälde hervorragend.
Lesser Ury war ein Meister in der Darstellung von Licht, Schatten und Effekten im Hellen und im Dunklen.
Vielleicht speist sich aus diesem Wissen die schicksalhafte Bemerkung Urys, die um 1889 gefallen sein soll, er hätte bei einem Besuch in Liebermanns Atelier in einem berühmten Bild Liebermanns »Lichteffekte« gesetzt. Der Vorwurf war so schwerwiegend, dass Max Liebermann alle Kontakte abbrach und alles dafür tat, dass Lesser Ury von der Berliner Künstlerszene nahezu für immer ausgeschlossen blieb.
Es wäre also zu Lebzeiten beider undenkbar gewesen, eine gemeinsame Ausstellung zu kuratieren. Neben diesen künstlerischen Differenzen gab es noch gravierendere Konflikte, die sich aus der Herkunft beider ergab. Max Liebermann, zwar auch jüdischer Herkunft, aber in einer reichen, weitestgehend im Berliner Bürgertum assimilierten Familie aufgewachsen, stand dem eingewanderten, instabilen, immer ängstlichen Juden aus den Ostgebieten gegenüber. Und Lesser Ury … war nicht verbindlich, eher sperrig und begegnete seiner Umgebung misstrauisch. Er hatte kaum Kontakte zu Kollegen, die ihn als merkwürdigen Zeitgenossen, als Kauz mieden.
Im sehr gut recherchierten Buch von Regina Scheer »Wir sind die Liebermanns« berichtet sie auf S. 245/246: »Max Liebermann, …, soll einmal, schon im neuen Jahrhundert, die Treppen zu Urys Atelier erklommen haben. Vielleicht, um sich zu versöhnen. Es war mittags, Ury soll im fleckigen Nachthemd geöffnet haben, das Atelier war schmutzig und ungeheizt. Vielleicht gab es keine Kohlen, eine Putzfrau gab es sowieso nicht, vielleicht war er deshalb im Bett geblieben, Max Liebermann aber, der solche Verhältnisse nicht kannte, kehrte um und kam nicht wieder.«
In seinen letzten Lebensjahren war Lesser Ury herzkrank und verließ kaum noch seine Wohnung am Nollendorfplatz 1, so dass Bilder mit Blick aus seinem Atelier entstanden, z.B. »Bahnhof Nollendorfplatz bei Nacht« von 1925 (siehe vorn).
Die Ausstellung zeigt 45 Gemälde und Papierarbeiten mit Ansichten Berlins zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der differenzierten Sicht beider Künstler. »Nahezu 85 Jahre haben die Wogen geglättet und die Präsentation möglich gemacht«, berichtet der seit April 2019 neue Direktor der Liebermann-Villa, Herr Dr. Daniel Spanke.
Neue Ideen werden in der Liebermann-Villa am Wannsee gewälzt, wie waren z.B. zu Liebermanns Zeiten die einzelnen Zimmer belegt, wo und wie residierte die Ehefrau Martha, wo die Tochter, lassen sich pädagogische Erweiterungen vornehmen, wie gestaltet man die Wintermonate oder sollte man vielleicht doch einmal die roten Geranien gegen eine andere Blumensorte tauschen? Wir werden es sehen.
Max Liebermann und Lesser Ury
Zweimal Großstadt Berlin
Vom 19. Mai bis zum 26. August 2019
Liebermann-Villa am Wannsee Berlin
in Kooperation mit dem Stadtmuseum Berlin
Liebermann-Villa am Wannsee
Colmierstraße 3
14109 Berlin
Öffnungszeiten:
Täglich außer dienstags 10-18 Uhr
Website: https://www.liebermann-villa.de
Literatur:
- Regina Scheer, »Wir sind die Liebermanns«, List Taschenbuch, 9. Auflage 2017, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2006/Propylaen-Verlag
- Ausstellungskatalog zu »Max Liebermann und Lesser Ury. Zweimal Großstadt Berlin«, Hrsg.: Daniel Spanke
Hier findet ihr außerdem unsere weiteren Ausstellungsberichte zu Max Liebermann. Zeichnungen und Grafiken in den Kunstsammlungen Chemnitz und zu Liebermann und Klee – Bilder von Gärten in der Liebermann-Villa am Wannsee.