Charlotte Salomon
Gouache aus „Leben? oder Theater?“
(M004196)
1940-1942
Sammlung Jüdisches Museum Amsterdam
© Charlotte Salomon Foundation
Ein Bild des Frohsinns und der Harmonie, acht Szenen eines friedlichen Miteinanders, vielleicht erkennt man eine Mutter im beige-braunen Kleid, sie liest aus einem Buch vor, verabschiedet sich vor Reiseantritt oder gehört zu einer Spielrunde mit Karten. Dazu musizieren Mädchen, singend und im Rhythmus schwingend und die Männerriege im Hintergrund intoniert die ersten Weihnachtslieder, während unter „Mutters“ Aufsicht der Weihnachtsbaum geschmückt wird. Dieses Bild ist eines von 769 Bildern, die Charlotte Salomon (1917 Berlin – 1943 Auschwitz) in den Jahren 1940 bis 1942 im französischen Exil schuf.
Bei allem mittendrin ein Mädchen im blauen Trägerkleid, jede Szene genießend. Es könnte wirklich Charlotte Salomon sein, denn sie schrieb ja:
Charlotte Salomon – hochbegabt, meisterte ein kurzes, intensives, von außen bedrohlich beschattetes Leben, das in einer bösen, kranken Welt vernichtend endete.
Sie war Jüdin!
Sie musste in einem Land leben, das beschlossen hatte, jedes jüdische Leben grundlos zu vernichten. Bis auf ihre Jugendjahre verdunkelte es in allem die ihr vergönnte Zeit. Dazu bedrückten sie gravierende gesundheitliche Probleme ihrer Familie. Eine sich über Generationen manifestierte Neigung zu Depressionen endete bei mehreren Familienmitgliedern in Selbstmorden.
Aber Charlotte löste sich von diesen für sie negativen Lebensumständen, suchte das gesunde Familienleben, erkannte ihr künstlerisches Talent, ihr gelang ein Kunststudium unter deutsch-nationalen Lehrern in judenfeindlicher Umgebung. Sie hatte den Mut, allein ins Exil zu gehen und schuf hier ihr wohl wichtigstes Werk „Leben? Oder Theater?“, ein Singspiel, dass neben der umfangreichen Malerei alle Facetten künstlerischen Ausdruckes, sei es Musik, Literatur oder der Film, einbindet. Es besteht aus einem Vorspiel, das die Jugendzeit umfasst, einem Hauptteil und einem Nachwort, das die Zeit des Exils in Südfrankreich erkennen lässt. Inhaltlich hat sie ihre nahezu 800 in Gouache-Technik geschaffenen Bilder an ihr Leben angelehnt ohne eine wirkliche Autobiographie zu gestalten. Sie inszenierte ihre Empfindungen zu erlebten Situationen, ließ Kommentare aufblitzen, positionierte sich politisch und addierte Musik, Ironie, Witz zu den Gelegenheiten des Lebens.
„Der Stürmer. Blatt der Volksaufklärung
Der Jude hat nur Geld gemacht von Eurem Blut. Die jüd. Bonzen haben den Weltkrieg bezahlt.
Er hat Euch belogen und betrogen, drum deutsche Männer und Frauen! Nehmt eure Rache!!!
Denn spritzt vom Messer Judenblut, dann geht es Euch nochmal so gut. Drum haut erst mal beim Judenschwein die Fensterscheiben kurz und klein.“ (Booklet 60/M004305)
Charlotte Salomon
Gouache aus „Leben? oder Theater?“
1940-1942
Sammlung Jüdisches Museum Amsterdam /
© Charlotte Salomon Foundation
Die Wasserfarben aber auch die zugefügten Worte rieseln zwischen expressionistischen, surrealistischen, vielleicht auch ganz eigenen Formen hin und her und wie man gerne betont, erinnert so manches an moderne „Graphic Noveles“. Denn die Abfolge der Bilder ist wie die Abfolge einer Geschichte, einer Erzählung, die das junge Leben einer Künstlerin in all ihren Träumen, Gedanken, Gehörtem und Gesehenem wiedergibt.
Charlotte kam 1917 in Berlin zur Welt. Ihr Vater war ein angesehener Chirurg. Als sie 8 war, nahm sich ihre Mutter durch Sturz aus einem Fenster das Leben. Lange verbarg sich für Charlotte die wahre, nervlich bedingte Ursache dieser Tat, erst als im Exil auch ihre Großmutter auf gleiche Weise ihr Leben beendete, erkannte sie das bis dahin streng behütete Geheimnis ihrer Familie der folgenreichen tiefen Depressionen.
Es war ein Grund in den Jahren 1940 bis 1942 die Gedanken zu ihrem Leben in „Leben? Oder Theater?“ festzuhalten. Zum Glück fand ihr Vater eine zweite Frau, eine Sängerin. Zu ihr entwickelte Charlotte ein inniges Verhältnis. Malen hatte sie schon als Kind beglückt. Und es war ein Wahnsinns-Erfolg, dass sie trotz Hakenkreuzfahnen und braunen Hemden Zugang zur Universität der Künste in Berlin erhielt. Auszeichnungen des Vaters, die er sich im Ersten Weltkrieg durch heldenhaftes Verhalten erworben hatte, halfen den Weg zu ebnen.
Aber Vater und Mutter wurden entlassen – sie waren Juden.
Bald spürte sie, dass die in der Uni propagierte Art des Malens nie die ihre werden würde.
Vor allem künstlerisch spielte fortan die Bekanntschaft mit dem Musikers Alfred Wolfsohn für Charlotte Salomon eine große Rolle, was sich in den Begleittexten zu ihrem Singspiel manifestiert.
Charlotte Salomon
Gouache aus „Leben? oder Theater?“ /
(M004600)
1940-1942
Sammlung Jüdisches Museum Amsterdam /
© Charlotte Salomon Foundation
1939, mit 22 Jahren folgte sie dem Rat ihrer Eltern und reiste nach Südfrankreich, nach Villefranche-sur-mer, ins Exil aus, wo sich schon ihre Großeltern befanden. Hier musste sie den Freitod ihrer Großmutter erleben.
1940 erfuhr sie die ersten Zeichen judenfeindlichen Gebarens auch in Frankreich. Aber sie lernte auch den österreichischen Inhaber einer Pension Alexander Nagler kennen, den sie 1943 heiratete.
Sie wurde schwanger, man fühlt förmlich, wie sie alles tat, um einfach zu leben …1943 wurde sie im 5. Monat schwanger in Auschwitz ermordet
Charlotte Salomon
Gouache aus „Leben? oder Theater?“
(M004925)
1940-1942
Sammlung Jüdisches Museum Amsterdam
© Charlotte Salomon Foundation
Charlotte Salomon
Gouache aus „Leben? oder Theater?“
(M004925)
1940-1942
Sammlung Jüdisches Museum Amsterdam am
© Charlotte Salomon Foundation
Carlotte Salomon
„Leben? Oder Theater?
bis 10. September 2023
In Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Amsterdam
Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München
Luisenstraße 33, 80333 München
Öffnungszeiten
Tägl. 10 – 18.00 Uhr
donnerstags bis 20:00 Uhr