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Kleider machen Sprache? – Es geht an die Wäsche

KLEIDER MACHEN SPRACHE? | An den Federn erkennt man den Vogel und an der Sprache … ja, was? Ohne Metaphern könnten wir überhaupt nicht sprachlich kommunizieren und auch Sprichwörter und Redewendungen sind eigentlich nicht wegzudenken. Warum sie dennoch manchmal unterschätzt werden, und das völlig zu Unrecht, erklärt Elisabeth Stursberg in dieser Kolumne. In sisterMAG No. 60: Informelle Kleidung wie Wäsche.

Hier findet ihr die weiteren Kolumnen: Der Hut | Die Hose | Das Kleid | Die Bluse

KLEIDER MACHEN SPRACHE?

Es geht an die Wäsche

Auch Sprichwörter gehören zur sprachlichen Introspektion

In dieser Kolumne untersuchen wir das Verhältnis von Kleidung und Sprache, insbesondere formalisierter Sprache in der Gestalt von Sprichwörtern, Redewendungen und geflügelten Worten. Und nachdem wir bisher vor allem um die Signalwirkung von Sprache nach außen gekreist sind, richten wir in dieser Ausgabe den Blick nach innen. Wir betrachten: unser verstecktes Ich. Manche glauben ja, dass wir alle drei Ichs haben – und nein, nicht die Unterscheidung im Freud’schen Sinne. Gemeint sind: professionell, persönlich, privat (bildlich also in etwa: Sakko, Hemd, Unterhemd). Mit Homewear und Wäsche – informeller Kleidung – bewegen wir uns irgendwo zwischen dem zweiten und dem dritten. Und es lohnt sich, denke ich, mal darauf einzugehen, welchen persönlichen und privaten Teil unsere Sprache hat. Beginnen wir mit jener Gewohnheit, der wir uns fast alle – stimmt doch! – ab und zu oder auch ein bisschen öfter hingeben, vielleicht mit einem Quäntchen schlechten Gewissen: dem Tratschen, dem »schmutzige Wäsche waschen«. Wir verraten dabei viel über unser Inneres, uns selbst wie anderen, denn wir lassen uns gerne zu Beobachtungen, Aussagen und Urteilen hinreißen, die wir »offiziell« so lieber nicht vertreten würden. Auch unsere Wortwahl ist viel affektiver.

Auf einen zweiten Aspekt brachte mich ein Zitat des klugen Bertold Brecht, das mir – in diesem Jahr, das uns völlig entfesselte politische Rhetorik ebenso wie ein neu entflammtes Bewusstsein für antirassistische Sprache beschert hat – unheimlich aktuell erschien:

»Man hat seine eigene Wäsche, /

man wäscht sie mitunter. /

Man hat nicht seine eigenen Wörter, /

und man wäscht sie nie.«

 

Unsere Sprache verrät unsere inneren Überzeugungen. Welche Redewendungen wir, auch passiv, in unserem Wortschatz haben, beeinflusst bewusst und unbewusst unsere Sicht auf die Welt. Aus den unendlichen sprachlichen Möglichkeiten müssen wir uns aktiv jene aneignen, die nicht nur möglichst präzise, passend und schön sind, sondern auch unkompromittiert durch frühere rhetorische Verschiebungen oder eine Nutzung im Dienste vergangenen oder gegenwärtigen Unrechts. In diesem Zusammenhang ist übrigens interessant, dass wir die »schmutzige« Wäsche inzwischen gerne als Metapher für explizit negative Inhalte verwenden, siehe das Ausplaudern unangenehmer Details im Rahmen öffentlich ausgetragener Scheidungen. Dabei war sicher nicht aller Tratsch, der sich beim Waschen austauschenden Frauen negativ, es ging doch vielmehr, vermute ich, um inoffizielles Wissen im Allgemeinen. Doch die Wirkung des Wörtchens »schmutzig« ist mächtig und, zweitens, bedarf die kritische Revision der eigenen Sprache einer gewissen Disziplin.

In diesen Kontext gehört auch die innere Stimme, wie wir also mit uns selbst reden. Auch hier kann sich die ein oder andere sprichwörtliche Formulierung verstecken, denn diese werden ja gerade wegen ihrer glatten Anwendbarkeit so populär. Wir hatten bereits den schnell weltbekannt gewordenen Ausspruch von Karl Lagerfeld, der eine Abneigung gegen Jogginghosen [Link 1] hegte. Mich würde interessieren, wie wirkungsvoll so eine Aussage im individuellen Fall ist. Glauben wir ihm? Zweifeln wir, wenn auch nur einen klitzekleinen Moment, daran, ob wir unser Leben noch »unter Kontrolle« haben, weil wir heute tatsächlich, ausnahmsweise, mal in Jogginghose einkaufen gegangen sind? Oder, ähnlich: Empfinden wir einen Mann mit Hut [Link 2] unbewusst immer noch als respektabler, als mächtiger?

Karl Kraus wollte auf etwas Anderes hinaus, als er feststellte: »Es kommt bei einer Frau nicht nur auf die Äußerlichkeiten an. Auch die Dessous sind wichtig.« Satire, klar. Doch auch Humor und genderspezifische Rollenbilder sind hier relevant. Wenn »weiße Wäsche« für absolute Unschuld und Reinheit steht, was meinen wir dann heute mit Unschuld? Warum tragen immer noch so viele von uns weiße Hochzeitswäsche? Sprichwörter, die sich auf unsere Kleidung beziehen, zielen eigentlich immer darauf ab, wer wir sind, was wir sind und woran wir glauben. Manchmal frage ich mich, ob die schonende Handwäsche insgesamt eigentlich ausreicht.

An dieser Stelle schreibt Elisabeth Stursberg über Mode in Sprichwörtern und Redewendungen und deren Vorzüge.