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Das Jahr 1485 und die (Stadt-)Mächte Italiens

Was passierte in jener Zeit um 1485, als unser Titelkunstwerk »Venus und Mars« von Sandro Botticelli entstand? Wo gab es Neues, was beschäftigte die Menschen in ihrem Alltag? In der Serie »Das Jahr X« beantworten wir diese Fragen und füllen die Jahreszahl mit Leben. Verschiedene Lebensbereiche spielen hier stets zusammen: Politik und Geschichte mit Kunst, Meteorologie und der öffentlichen Sphäre. Elisabeth Stursberg rekonstruiert im sisterMAG den historischen Kontext des Werkes und zeigt die kleinen und großen Zusammenhänge auf. In dieser Ausgabe konzentrieren wir uns mehr als sonst auf eine geographische Region: Italien und sein komplexes Gefüge aus Stadtstaaten, Herzogtümern und Königreichen – ein kultureller und politischer Hotspot im ausgehenden 15. Jahrhundert.

Das Jahr 1485 und die (Stadt-)Mächte Italiens

Das Jahr der Entstehung unseres Gemäldes

Das Leben in jenem Jahr zu beschreiben, als unser Titelkunstwerk entstand – wie wir es im Rahmen unserer Reihe »Das Jahr X« in jeder Ausgabe tun – gestaltete sich dieses Mal aus zwei Gründen etwas anders als sonst: Natürlich herrschte auch lange vor 1485 bereits ein lebhafter internationaler Austausch, doch fand dieser verglichen mit unserer globalisierten Gegenwart mehr auf offizieller Ebene statt und weniger im Alltag der meisten Menschen. Der zweite Grund ist die Quellenlage, die sich anders gestaltet als zum Beispiel für das Jahr 1907. Wie die Recherche für diesen Artikel zeigte, ist sie ebenso reich – das Material muss nur gefunden werden. Also, was passierte in jener Zeit um 1485, in denen Sandro Botticelli »Venus und Mars« malte?

Politik & Gesellschaft

In Florenz herrscht, mittlerweile unbestritten, Lorenzo de Medici, auch genannt Lorenzo il Magnifico. Offiziell ist die Stadt eine Republik, doch die Medici haben sich eine starke Machtbasis aufgebaut und sind dank der erfolgreichen Geschäfte von Lorenzos Großvater Cosimo superreich. Der Aufstieg von Florenz zur »Wiege der Renaissance« ist zu großen Teilen Lorenzos Förderung der Künste zu verdanken; gleichzeitig gelingt ihm das diplomatische Kunststück, Florenz ab Mitte der 1480er Jahre zu einem Dreh- und Angelpunkt im politischen Gefüge Italiens zu machen.

Geschichte & Politik

Betrachtet man den Gesamtkontext, ist die italienische Halbinsel dominiert von fünf großen Mächten: Florenz, Venedig, römischer Kirchenstaat, das Königreich Neapel und das Herzogtum Mailand. Bündnisse und Oppositionen sind ständig in Bewegung: Zwischen Florenz und Rom, beziehungsweise Lorenzo de Medici und Papst Sixtus IV. hatte sich während der 1470er Jahre eine Feindschaft entwickelt, die nach einem Krieg, in dem auch Neapel auf Seiten des Vatikans beteiligt war, 1484 aufgelöst werden kann. Venedig versucht, Ferrara zu besetzen, wird aber von Mailand sowie Florenz und Neapel daran gehindert. In Neapel selbst ist die nächste Auseinandersetzung nicht weit: Barone zetteln eine Revolte gegen ihren König an, die wiederum von Innozenz VIII. unterstützt wird, der mittlerweile Sixtus IV. auf dem Heiligen Stuhl nachgefolgt ist. Lorenzo de Medici stellt sich dieses Mal auf die Seite Ferdinands.

Biografien I

135 km östlich von Florenz im Herzogtum Urbino wird im Frühjahr Raffael, der Sohn des Malers Giovanni Santi und seiner Frau Magia Ciarla, zwei Jahre alt. Er wächst friedlich in ländlicher Umgebung auf, doch die Umstände ändern sich, nachdem beide Eltern sterben: 1491 die Mutter, drei Jahre später der Vater. Raffael übersiedelt nach Perugia, wo er in die Werkstatt Peruginos eintritt. Dank seines Ausnahmetalents steigt der junge Künstler rasant auf und wird noch während seiner Lebenszeit zur malenden Legende.

Kunst & Gesellschaft

Die Frührenaissance ist eine goldene Zeit für Künstler und Wissenschaftler. Gleichzeitig gewinnt das Bürgertum an Selbstbewusstsein. Die Geisteshaltung ist geprägt vom Humanismus und die Sicht auf die Welt wird zunehmend anthropozentrisch: Der Mensch als souveränes Subjekt steht jetzt im Mittelpunkt. In Florenz bildet sich das neue Selbstverständnis der Bürger als selbstverantwortlich handelnde Individuen besonders deutlich heraus, im übertragenen Sinne (das Führen von persönlichen Tagebüchern wird üblicher) ebenso wie im wörtlichen Sinne: Im Rahmen des Catasto, des 1427 eingeführten Steuersystems, müssen Florentiner regelmäßig Angaben zu ihrem Vermögen, ihren Einkünften und ihren Ausgaben machen und beginnen dadurch, sich als eigenständig wirtschaftende Parteien wahrzunehmen.

Öffentlichkeit & Publizistik

Die Druckkunst ist zwar noch nicht Mainstream, doch der Markt entwickelt sich südlich wie nördlich der Alpen. Mehr und mehr Schriften werden in gedruckter Form veröffentlicht und neue Bücher herausgegeben. Der »Gart der Gesundheit«, zum Beispiel, erscheint in Mainz und ist das erste gedruckte Kräuterbuch in deutscher Sprache. Frankfurt am Main ist bereits als geeigneter Versammlungsort identifiziert: Im Vorjahr ist erstmals eine »Frankfurter Buchmesse« abgehalten worden (die Tradition der heutigen Frankfurter Messegesellschaft reicht allerdings nicht so lang zurück; sie wurde 1907 gegründet, und die heutige »Frankfurter Buchmesse« fand 1949 zum ersten Mal statt).

Literatur

Leon Battista Alberti schreibt viel. 1485 veröffentlicht er »De re aedificatoria«, eine architekturtheoretische Abhandlung in zehn Büchern, die er bereits vor einiger Zeit verfasst hat und nun drucken lässt. Ganz im Sinne der Renaissance finden sich darin zahlreiche Rückgriffe auf die Antike, insbesondere auf Vitruvs »De architectura«. Alberti ist als Architekt überaus angesehen: 1470 war unter seiner Leitung in Florenz die berühmte Fassade von Santa Maria Novella fertiggestellt worden, die, was er noch nicht wissen kann, zur Inspirationsquelle für zahlreiche Baumeister des Barock werden sollte. Ebenso bleibt sein gedrucktes Werk bis ins 18. Jahrhundert eine Standardquelle nicht nur für Architekten.

Wirtschaft & Handel

Jakob Fugger wird allgemein als einer der ersten Kapitalisten angesehen und dies durchaus im positiven Sinn. Sein ökonomischer Erfolg spricht für sich: Heutige Hochrechnungen schätzen sein Vermögen auf umgerechnet mehr als 350 Milliarden Euro; das heißt, niemand wurde bis heute reicher als Jakob Fugger. Auch nicht prominente Dynastien wie die Medici und andere italienische Kaufleute, zu deren Geltung Fugger von Augsburg aus ein Gegengewicht darstellt. Fugger verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz und ergänzt sein vielfältiges Netzwerk aus Beziehungen zu Geschäftspartnern, Herrschern und Kirchenoberen durch großzügige Stiftungsaktivitäten wie zum Beispiel die Fuggerei, ein frühes Modell einer Sozialsiedlung.

Geschichte & Politik II

In Venedig stirbt im Herbst Giovanni Mocenigo, der 72. Doge der Serenissima. Seine Regierungszeit fällt in keine allzu glückliche Periode: Ein Brand 1483 im Dogenpalast zwingt ihn, vorerst umzuziehen. Die Pest flackert immer wieder auf (auch er stirbt daran), zudem hatte der Papst ihn zwischenzeitlich mit einem Kirchenbann belegt, eine Disziplinarmaßnahme nach dem venezianischen Versuch, Ferrara einzunehmen. Anders als die Pest lässt sich wenigstens diese kriegerische Auseinandersetzung, in die auch Florenz und Mailand involviert sind, ein Jahr vor dem Tod des Dogen durch einen Friedensschluss beenden.

Geschichte & Politik III

In Spanien ist die Reconquista in der letzten Phase. Die Christen feiern mit der Rückeroberung von Setenil einen weiteren Sieg, doch bis zum endgültigen Triumph – symbolisiert durch die Rückeroberung Granadas – sollte es noch sieben Jahre dauern (im Kontext der gesamten Reconquista keine lange Zeit, wenn man bedenkt, dass sie bereits im 8. Jahrhundert begonnen hatte).

Biografien II

Gleichzeitig läuft, ausgehend von Portugal und Spanien, die Suche nach einem Seeweg nach Indien auf Hochtouren. Während zahlreiche Entdecker bereits unterwegs sind oder sich bald auf den Weg machen, wird in Medellín im Südwesten Spaniens Hérnan Cortés gerade erst geboren. Noch kann niemand wissen, dass sein weiterer Lebensweg ihn nach Amerika führen wird, denn Kolumbus hat den Kontinent noch nicht (wieder)entdeckt. Cortés fällt mit seinen Truppen später über das Reich der Azteken und dessen Hauptstadt Tenochtitlan her – auf deren Ruinen noch viel später Mexiko-Stadt entstehen soll.

Wollt Ihr noch mehr über die Entstehungsjahre unserer 2019 Kunstwerke erfahren? Dann schaut doch auch mal z.B. in das Jahr 1485 von sisterMAG No. 50 oder das Jahr 1974 von sisterMAG No. 45.