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Unmöglich, diesen Trend zu verpassen! Classical Art Memes – Eine Einführung

Sie bringen uns regelmäßig zum Lachen, und ihr Hauptschauplatz sind die sozialen Medien: Classical Art Memes. Typischerweise in Form von Gemälden oder Ausschnitten, versehen mit einem Textkommentar, haben Art Memes in den letzten Jahren eine steile Karriere hingelegt.  Sie sind zweifellos ein Massenphänomen. Doch warum?

Classical Art Memes – Eine Einführung

Unmöglich, diesen Trend zu verpassen

1. Sie bringen uns regelmäßig zum Lachen, und ihr Hauptschauplatz sind die sozialen Medien: Classical Art Memes.

Typischerweise in Form von Gemälden oder Ausschnitten, versehen mit einem Textkommentar, haben Art Memes in den letzten Jahren eine steile Karriere hingelegt.  Die größten Accounts auf Instagram haben imposante Abonnentenzahlen: [Link 1: Classical Art Shit] zum Beispiel um die 550.000, während [Link 2: Classical Art Memes Official] mit rund 481.000 Abonnenten nicht weit dahinter ist. Art Memes sind zweifellos ein Massenphänomen. Warum?

Es ist nicht nur die Unterscheidung zwischen verbalen und visuellen Memes. Ein Blick auf die Begriffsgeschichte des »Memes« zeigt, wie vielfältig das Konzept ist: Kulturelle Phänomene, von Songs über Stars und deren Lifestyle, Konzerte, Produkte oder die Brands dahinter – alle sind grundsätzlich Memes, wenn wir einer allgemeinen Definition folgen. Ein Meme ist »any unit of communication in which some distinctive set of semantic values might be identified«. (Roy Ascott). Classical Art Memes in den sozialen Medien – und um diese geht es hier vorrangig – sind eine spezielle Unterart von Memes.

Die Interpretation des Inhalts: der »semantic value«, der Wahrheitswert (oder Inhalt), den der Betrachter diesen Signifikanten zuordnet.

2. Memes zu konsumieren heißt zu interpretieren, wie sich die einzelnen Elemente zueinander verhalten. Warum finden wir das Ergebnis dieser Interpretation so lustig?

Memes bringen maximal anschaulich Stimmungslagen und Gefühle auf den Punkt, die jede und jeder von uns wahrscheinlich zumindest so ähnlich schon erlebt hat. Ist das der Fall, empfinden wir das Meme als treffend. Wir haben das Gefühl, da versteht jemand genau, wie wir uns wegen einer Sache oder in einem bestimmten Moment gefühlt haben. Und in den Fällen, in denen wir die dargestellte Situation nicht unmittelbar nachempfinden können, gibt es immer noch: Schadenfreude. Das berühmte Gefühl, das wir am liebsten gar nicht oder nur zögernd zugeben und das wir doch alle kennen – hier können wir es in einer harmlosen Variante genießen. Harmlos, denn: Das Meme zeigt nicht nur eine imaginierte, auf die Spitze getriebene Situation. Es zeigt auch nicht einmal das Foto einer realen Person, sondern »nur« ein Gemälde. Das heißt, meistens. Manchmal ist es auch beides.

Der Post insgesamt: die »unit of communication«, ein Bild sowie ein verbaler Kommentar (die Signifikanten des Posts)

Die Interpretation des Inhalts: der »semantic value«, der Wahrheitswert (oder Inhalt), den der Betrachter diesen Signifikanten zuordnet.

3. Classical Art Memes haben noch eine andere, wesentliche Bedeutung

Sie zeigen, wie nah die klassischen Maler unserer heutigen Gemütslage waren. Natürlich waren sie das. Wer sagt, dass mancher Gesichtsausdruck, den wir als Scherz empfinden, nicht genauso gemeint war? Indem das Meme uns mehr oder weniger ernst über die wahre Intention des Malers oder der Malerin spekulieren lässt – ist die Physiognomie des Modells wahrheitsgetreu dargestellt? Steckt eine bestimmte Intention dahinter, das Modell so und nicht anders zu porträtieren? Oder zeigt sich hier tatsächlich eine Grenze der künstlerischen Fähigkeiten? –, macht es die Kunst nahbar. Und das sowohl in Bezug auf die Entstehungsumstände als auch auf die Rezeption des ursprünglichen Werks, die im Fall berühmter Gemälde oft genug von ehrfürchtiger Akzeptanz geprägt ist.

4. Auf Kunsthistoriker, Kuratoren oder Auktionatoren trifft dies vielleicht weniger zu. Doch wer kennt nicht das Gefühl, die malerischen Werke großer (und mittlerer) »Meister« als gegeben und als vollkommen hinzunehmen?

Die grandiose und ritualisierte Präsentation im Museum trägt dazu bei, die Schwelle weiter anzuheben. Dabei sind ein scharfer, origineller Blick und etwas Humor sicherlich nicht schlecht. Und während die Existenz objektiver Kriterien für die künstlerische Qualität und kunsthistorische Bedeutung von Gemälden hier keinesfalls bestritten werden soll, ist die Kunstbetrachtung immer auch eine subjektive Erfahrung. Genau darauf weisen Classical Art Memes in aller Deutlichkeit hin. Zweitens ist auch in vielen Meisterwerken mal ein Gesichtsausdruck oder Detail nicht ganz gelungen, das ist die Realität. Porträts sind nicht immer idealisierend – was heute Filter und Weichzeichner erledigen, hing und hängt in der Malerei weiterhin völlig vom Können und der Gnade des Malers ab. Nur gab es bis vor nicht allzu langer Zeit eben keine Alternative in Form von Fotos.

5. Fassen wir zusammen: Art Memes sind in ihrem Humor oft gnadenlos, und sie können erstaunlich düster, nihilistisch, brutal sein.

Aber sie treffen den Humor vieler User, und die mediale und historische Distanz eines Gemäldes abstrahiert so erfolgreich, dass wir auch solche Memes als lustig empfinden, die objektiv tragische Situationen darstellen. Die Selbstironie der Szene und der kreative Einfallsreichtum der Macher (Wer sind die Macher von Memes?!) sind ein weiteres Plus.

6. Was sagt die Popularität von Classical Art Memes über uns und unser Kommunikationsverhalten im Bezug auf Gefühle aus?

Welche Effekte die Verbreitung der Art Memes auf uns hat, ist bisher noch kein großes Thema in der Forschung. Dabei ist das Phänomen potenziell durchaus aufschlussreich. Wir alle setzen uns – mehr oder weniger bewusst – mit unseren Gefühlen auseinander und haben das Bedürfnis, uns mit anderen Menschen auszutauschen. Der wesentliche Vorteil der Memes ist: Wir müssen uns zu keinem Zeitpunkt selbst zeigen. Wir können anonym bleiben. Ein Meme zu erstellen oder auch nur zu liken, zu teilen oder zu kommentieren, ermöglicht die Teilhabe an einem kollektiven Austausch von Gefühlen, ohne dass wir dafür preisgeben müssen, welche Bedeutung ein konkretes Meme für uns wirklich hat. Ob wir es gelikt haben, weil wir es ganz einfach lustig finden, weil wir ihm zustimmen oder weil wir einen persönlichen Bezug dazu herstellen, ist irrelevant. Worauf es ankommt: Wir werden Teil einer kollektiven Therapiesitzung, ohne irgendetwas über unsere Gedanken zugeben zu müssen. Wieder funktioniert das dank der humoristischen Ebene der Memes, die genug Distanz herstellt (Vielleicht lachen wir ja nur aus gutmütigem Mitleid?) und dank wilder Übertreibungen – in denen vielleicht ein kleines bisschen Wahrheit steckt?

[Beispiel 4]

7. Darüber hinaus haben die Memes in unserer durch soziale Netzwerke strukturierten Kommunikation mindestens noch eine andere wesentliche Rolle. Ähnlich wie Emojis können sie geschriebene Sprache leicht ersetzen.

Auch hier gilt: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte (und noch mehr, wenn es zusätzliche Wörter enthält). Jemanden unter einem Meme zu taggen, kann ein Ausdruck für Empathie sein, oder ganz einfach ein Weg, Kontakte aufrechtzuerhalten oder Konversationen zu beleben. Dabei ist der Zeitaufwand minimal – das ist keinesfalls kritisch gemeint, nur realistisch. Und nicht zu vergessen: Viele Memes-Produzenten scheinen durchaus gesellschaftskritische und klare politische Haltungen zu vertreten, die sich in Form humoristischer Snippets leicht an ein wohlwollendes Publikum kommunizieren lassen.

8. Eine weitere Perspektive auf Classical Art Memes scheint in der Debatte bisher kaum eine Rolle zu spielen: Welche Bedeutung hat der Boom für die Kunst selbst?

Optimistisch könnte man hoffen, dass die Memes klassische Malerei bei einem breiteren Publikum populär machen. Doch ist das realistisch, ohne Künstlername (in den meisten Fällen) und mit kleinen Bildausschnitten, aus denen nur diejenigen auf das Originalgemälde schließen können, die es zufällig gut kennen? Handelt es sich nicht vielmehr um eine Trivialisierung der Kunst, die zur Parodie wird und deren wahrer Inhalt durch den neuen Sinngehalt des Memes in den Hintergrund rückt? Machen Memes den Gang ins Museum sogar obsolet, und wie beurteilen Museen den Trend eigentlich? All dies sind interessante Fragen, auf die es sicherlich nicht nur eine richtige Antwort gibt.

Ein brillantes Beispiel für Memes, in denen die klassische Kunst sich ihre Bedeutung zurückerobert, sind die Fotos von Stefan Draschan. Und nein, sie sind tatsächlich nicht gestellt!