Kunst
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Der Kuss in der Kunst – auf den Spuren einer intimen Geste
Der Kuss ist ein intimer, flüchtiger Moment. In der bildenden Kunst inspiriert er Maler, Bildhauer und Designer zu außerordentlichen Werken. Vor allem im Jugendstil wird der Kuss zum beliebten Motiv, dabei ist er mehr als ein Zeichen der Liebe und Zärtlichkeit. Ein Kuss kann dämonisch, gar tödlich, politisch oder einfach nur in seiner Symmetrie ästhetisch sein. Unsere Reise durch die Kunstgeschichte führt über Rodin zu den Künstlern des Jugendstils und Symbolismus. Wir erleben die bedrohliche Seite des Kusses in all seiner Konsequenz und spüren die politische Macht dieser scheinbar kleinen Geste selbst an zeitgenössischen Kunstwerken.
- Text: Julia Schattauer
Der Kuss in der Kunst – auf den Spuren einer intimen Geste
Der erste Kuss in der großen Liebe, der Kuss, der die Hochzeit besiegelt, ein tränenreicher Kuss zum Abschied – Küsse verbinden wir mit der großen romantischen Liebe, Zärtlichkeit und Lust. Doch in dieser Geste steckt noch viel mehr als Erotik. Ein Gutenachtkuss zeugt von Mutterliebe, er ist mit Wangenküsschen Teil gesellschaftlicher Konvention. Er kann Zeichen von Macht sein, wenn wir an Küsse auf den königlichen Ring denken, und in der Religion ist der Kuss auf die Heilige Schrift Teil der Liturgie.
Der Liebeskuss als Inspiration für Künstler im Jugendstil
So vielfältig eine Lippenberührung sein kann, in der Kunst spielt der erotische Kuss in all seinen Facetten meist die Hauptrolle. Eine unsterbliche Liebe, eine unerlaubte Affäre mit fatalen Folgen – das ist der Stoff, der Künstler zu Hochform bringt. Dass das schon vor 2000 Jahren so war, beweist ein Fresko in der Casa die Casti Amanti in Pompeji. Das Museum Bröhan widmet sich 2017 mit einer ganzen Ausstellung dem Kuss in der Kunst. Eine der populärsten Darstellungen des Kusses in der westlichen Kunst ist die Skulptur »Le Baiser« von Auguste Rodin aus dem Jahr 1886. In inniger Umarmung sitzen die beiden Küssenden eng beisammen. Der Rücken des Mannes ist gerade, er wirkt angespannt. Bei dem Liebespaar handelt es sich um Francesca da Rimini und ihren Liebhaber Paolo Malasta. Das Liebespaar aus Dantes »Göttliche Komödie« begeht Ehebruch und erfährt die fatalen Konsequenzen, die ein Kuss haben kann. Er wird ihnen den Tod bringen. Die Skulptur mit ihrer naturalistischen Darstellung löst bei der ersten Ausstellung einen Skandal aus, zu obszön sei sie. Doch wahrscheinlich ist gerade das der Grund, warum sich die Verbreitung des Kussmotivs von nun an nicht mehr stoppen lässt.
Hochkonjunktur erhält der Kuss in der Kunst dann im Jugendstil. Kein Wunder: Liebe, Körperlichkeit, Leid, neue Geschlechterrollen und Ästhetik sind die Themen, mit der sich die Kunst um die Jahrhundertwende mit Passion beschäftigt. Der Kuss wird nicht nur gemalt, er erhält Einzug in Zeitschriften, Möbel, Lampen und Vasen. Der vielleicht bekannteste Kuss der westlichen Welt ist das »Liebespaar« (1907-1908) von Gustav Klimt. Das wohl populärste Bild des Jugendstilkünstlers stammt aus seiner sogenannten »Goldenen Periode«. In inniger Verbundenheit steht das Paar vor goldenen Hintergrund. Das Paar steht so eng umschlungen beieinander, dass es in organischer Weise zu verschmelzen scheint. Natur und Kunst werden durch florale Darstellungen und geometrischen Ornamente ästhetisch ineinander verwoben. Das Bild gilt als Ikone in der Darstellung der Zärtlichkeit und Harmonie der romantischen Liebe und der Verbundenheit des Menschens mit der Natur. Ob es sich bei dem Paar nun um den Maler selbst mit seiner Lebensgefährtin Emilie Flöge handelt oder nicht, in erster Linie stellt das Bild die Liebe selbst als Allegorie dar: Als etwas Unendliches, etwas Naturgegebenes und Göttliches.
Weniger romantisch geht der vom Jugendstil geprägte Künstler Peter Behrens bei der Auswahl des Kusses als Bildmotiv vor. Er schätzt den Kuss aus rein ästhetischen Gründen. Die Vereinigung zweier Lippen zum Kuss bringt eine Symmetrie mit, die der Künstler für seinen Farbholzschnitt im Jahr 1898 nutzt. Behrens zeigt zwei Gesichter, deren klare Konturen ineinander übergehen. Der flüchtige Kuss ist mit dicken Linien im Holz manifestiert. Nicht die Emotionen spielen hier die Hauptrolle, sondern die ornamentale und geometrische Ästhetik des Küssens.
Die dunkle Seite der Liebe
Der dunklen und zerstörerischen Seite des Kusses widmet sich der Symbolismus und Expressionismus. Während in Märchen und Mythen der Kuss vor allem als Mittel dient, um einen Zauberbann aufzuheben, so bei Dornröschen oder dem Froschkönig, geht es bei den Symbolisten um den leidbringenden Kuss, den die Frauen nutzen, um die Männer in ihren Bann zu ziehen. Franz von Stuck widmet sich in seinem »Kuss der Sphinx« 1895 diesem zerstörerischen Kuss. Das in dunklen Farben gehaltene Ölbild zeigt die Figur der Sphinx, die sich über den knienden Mann beugt, um ihn zu küssen. Sie gibt sich leidenschaftlich dem Kuss hin, er scheint zwischen Lust und Leid zu schweben. Es ist nicht nur die Unfähigkeit des Mannes, das Rätsel der Sphinx zu lösen, welches Verderben bringt, sondern die Wollust und Unfähigkeit, der Frau zu widerstehen. Der Malerfürst stellt die Frau als Femme Fatale dar. Sie verführt den Mann, bringt ihm Tod und Verderben. Hinter diesem Bild des »dämonischen Weibs« verbirgt sich ein Rollenkonflikt, der sich um die Jahrhundertwende zuspitzte. Die Frauen emanzipieren sich und entfliehen gewohnten Geschlechterrollen. Die Frau begegnet dem Mann nun auf Augenhöhe und das löst Angst und Begierde gleichermaßen aus.
Die Furcht vor der sexuellen Macht der Frau beschäftigt auch den Norweger Edvard Munch. Sein schwieriges Verhältnis zu Frauen, das sich aus persönlichen Erfahrungen und gesellschaftlichen Umbrüchen speist, ist immer wieder Thema seiner Kunst. Mal stellt er die Frau als heilige Madonna, mal als liebevolle Frau und Mutter, mal als gefährliches Dämonenweib dar. Besonders deutlich wird seine vielschichtig geprägte Einstellung zu Frauen im Bild »Vampyr« von 1894. Ob die Frau mit wallend roten Haaren den Mann nun liebevoll im Arm hält und tröstend seinen Nacken küsst oder ihn in blutsaugender Mission traktiert, lässt sich in der Betrachtung nicht abschließend klären. Vielleicht ist die Dame auch eine Prostituierte, die denn von Lust getriebenen Mann ausnimmt und an sich bindet?
Der Kuss in seiner politischen Dimension
Seine politische Dimension entfaltet der Kuss spätestens in den 1960er-Jahren mit aufkommenden gesellschaftlichen Debatten rund um Selbstbestimmtheit, Identität, (Homo-)Sexualität und Feminismus. Künstlerinnen wie Dorothee von Windheim oder Ilse Dwinger beschäftigen sich in den 1960er-Jahren mit dem Phänomen des Lippenabdrucks als Momentaufnahme. Gleichgeschlechtliche Küsse oder Küsse zwischen Personen verschiedener, gar verfeindeter Nationalitäten oder unterschiedlichen Glaubens sorgen regelmäßig für Skandale. In dieses Spannungsfeld gehören Banksys küssende Polizisten oder eine Kampagne namens »Jews & Arabs Kiss« mit Bildern von küssenden Juden und Arabern gleichen und gemischten Geschlechts in der israelischen Ausgabe des »Time Out Magazine« aus dem Jahr 2016. Der Kampagne zuvorgegangen war der Beschluss des Kulturministeriums, ein Buch vom Lehrplan zu nehmen, das von einer Liebe zwischen einer Jüdin und einem Palästinenser handelt.
Der Bruderkuss zwischen Erich Honecker und Leonid Breschnew gerät 1979 bei einem Staatsbesuch versehentlich zum Mundkuss. Der Fotograf Régis Bossu hält den Moment für die Nachwelt fest. Dimitri Vrubel wählt das Bild später als Motiv für sein Gemälde auf der Berliner Mauer und sorgt erneut für dessen Bekanntheitsgrad als Lieblingsmotiv der Touristen an der East Side Gallery.
Das Motiv des Kusses in der Kunst zeigt, die Berührung zweier Lippen ist mehr als ein Zeichen von Liebe und Leidenschaft. Ein Kuss kann Lust und Leid bringen, Leben und Tod. Er kann ein intimer Moment sein oder Zeichen gesellschaftlicher Debatten. Egal, in welchem Rahmen: Ein Kuss in der Kunst lässt keinen kalt.