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Interview Mauritshuis Den Haag

»Das Mädchen mit dem Perlenohrring« (1665) von Jan Vermeer ist ein echter Klassiker der europäischen Kunstgeschichte! Caro vom sisterMAG Team hat mit der Kuratorin Lea van der Vinde vom Mauritshuis in Den Haag, dem Aufenthaltsort des Gemäldes, über Vermeer und seine Kunst gesprochen. Was war charakteristisch für seinen Malstil? Wer ist eigentlich das »das Mädchen« und was gibt es in dem niederländischen Museum sonst noch zu bestaunen? Erfahrt hier mehr.

Interview mit dem Mauritshuis in Den Haag  

Kuratorin Lea van der Vinde über Vermeer und seine Kunst

Die niederländische Malerei nimmt in der europäischen Kunstgeschichte einen besonderen Platz ein. Es ist demnach an der Zeit, dass wir uns im sisterMAG mal bei einem richtigen Klassiker bedienen! »Das Mädchen mit dem Perlenohrring« (1665) von Jan Vermeer ist ein weltweit rezipiertes Meisterwerk, dem wir in dieser Ausgabe etwas genauer auf den Grund gehen wollen… Mit der Kuratorin Lea van der Vinde vom Mauritshuis in Den Haag, wo das Kunstwerk im Original zu bestaunen ist, haben wir über Vermeer und seinen Einfluss auf die Kunstwelt gesprochen.

Zunächst eine generelle Frage: Wer war Jan Vermeer und was charakteristisch für seinen Malstil?

 Johannes (oder Jan) Vermeer (1632-1675) hat sein ganzes Leben in seiner Heimat Delft verbracht, einer florierenden Stadt, die ein wichtiges Zentrum für Handel und Industrie war. Sein Vater hat als Seidenweber, Gastwirt und Kunsthändler gearbeitet. Im Jahr 1653 heiratete Vermeer Catharina Bolnes. Das Paar bekam schließlich 15 Kinder, von denen vier in jungen Jahren verstarben. Vermeer war als Künstler aktiv, aber wie sein Vater auch als Gastwirt und Kunsthändler tätig. Er starb mit 43 und hinterließ seine Frau und die minderjährigen Kinder mit finanziellen Schwierigkeiten. Das war ein eher trauriges Lebensende für einen Künstler, der heutzutage – zusammen mit Rembrandt und Frans Hals – als einer der wichtigsten niederländischen Maler des 17. Jahrhunderts gilt.

Verglichen mit dem Output von Malern, wie Rembrandt und Hals ist das Werk von Vermeer außergewöhnlich klein: Nur 36 von ihm geschaffene Gemälde sind erhalten. Er muss mehr geschaffen haben, aber Kunstwerke trotzen nicht immer dem Zahn der Zeit. Vermeer hat möglicherweise lange und hart an jedem Gemälde gearbeitet, besonders da er seine Technik mit der Zeit immer mehr verfeinerte. Er begann seine Karriere mit riesigen Gemälden, die biblische und mythologische Szenerien zeigen (wie »Diana mit ihren Gefährtinnen« im Mauritshuis), fing aber bald an, sich auf die so genannte Genremalerei – also auf Szenerien aus dem Alltag – auf viel kleineren Formaten zu konzentrieren. Er malte auch einige Stadtansichten, wobei die bekannteste seine »Ansicht von Delft« aus der Sammlung des Mauritshuis ist. Eine wichtige Eigenschaft von Vermeers Malstil ist die Verwendung von kleinen Farbflecken, die die Illusion von Licht schaffen, das auf der Oberfläche eines Objekts spielt. Nach 1660 setzte Vermeer diese Lichteffekte sehr sparsam ein und malte Konturen auf weichere und diffusere Weise. An diesem Punkt in seiner Karriere, um 1665, malte er »Das Mädchen mit dem Perlenohrring«.

Wen zeigt das berühmte Gemälde »Das Mädchen mit dem Perlenohrring« und wie ist sein Entstehungskontext?

Niemand kennt die wahre Identität vom »Mädchen mit dem Perlenohrring«, und sie bleibt womöglich für immer ein Mysterium. Das Model könnte eine Person aus Vermeers Familie oder seinem inneren Kreis sein. Der Grund, weshalb ihr Name unbekannt ist, ist hauptsächlich, dass das Gemälde kein offizielles Portrait ist. Es ist eine Art von Gemälde, das im 17. Jahrhundert in den Niederlanden »Tronie« genannt wurde, was »Gesicht« bedeutet. Dies waren äußerst populäre Gemälde, die ähnlich wie Studien waren und eher die Köpfe oder Gesichter von bestimmten Persönlichkeiten oder Typen zeigten als von wiedererkennbaren Personen. Manchmal waren dies »exotische Typen«, wie es auch beim »Mädchen mit dem Perlenohrring« der Fall ist. Sie trägt ein Kopftuch wie einen Turban, wobei niederländische Mädchen im 17. Jahrhundert üblicherweise keinen Turban trugen. Vermeer hat dieses Accessoire verwendet, um sein Model zu einer exotischen, morgenländischen Persönlichkeit zu machen. Zum exotischen Look des Gemäldes trägt auch der auffallende, übergroße Perlenohrring bei. Das idealisierte, hübsche Gesicht des Mädchens und ihre ungewöhnliche Bekleidung verleihen dem Bild einen zeitlosen und noch mysteriöseren Charakter.

Wie lässt sich das Werk in der Kunstgeschichte verorten: Was war prägend für die Zeit, in der Vemeer künstlerisch tätig war?

 Vermeers Wahl von Motiv, Pose und Kleidung für das »Mädchen mit dem Perlenohrring« scheint von der Arbeit eines zeitgenössischen Künstlers aus den südlichen Niederlanden inspiriert zu sein, von Michael Sweerts. Wir denken, dass Vermeer einige seiner Gemälde kannte. Sweerts hat mehrere Büstenportraits mit hell beleuchteten Gesichtern vor dunklem Hintergrund gemalt, ähnlich wie »Das Mädchen mit dem Perlenohrring«. Diese Charakterstudien von Sweerts waren auch »Tronies« und keine traditionellen Portraits. Allerdings war es Rembrandt, der »Tronies« in der niederländischen Kunst populär gemacht hat. Er hatte sich schon in den 30er-Jahren des 17. Jahrhunderts auf diese Art der Malerei spezialisiert. Für seine virtuosen Studien, die durch ihr starkes Spiel mit Licht und Schatten sowie exzentrische Kleidung und Accessoires der Figuren herausstachen, verwendete er ebenfalls anonyme Models.

Seit wann befindet sich das Gemälde im Besitz des Mauritshuis? Ist es dort dauerhaft ausgestellt?

 Das Gemälde gelangte 1903 durch einen »geheimen Nachlass« des niederländischen Kunstliebhabers und Sammlers Arnoldus des Tombe in die Sammlung. Er hatte das Bild 1881 auf einer Auktion in Den Haag erworben, wo er und ein befreundeter Kunsthistoriker es als Werk von Vermeer erkannten. Niemand anderes tat dies, da Vermeer zu dieser Zeit noch nicht so bekannt war wie heutzutage. Des Tombe konnte das Gemälde für gerade einmal zwei Gulden und 30 Cent kaufen – ein unglaubliches Schnäppchen! Das Bild wurde bereits 1881 im Mauritshuis ausgestellt, ist aber erst (fast) dauerhaft im Museum zu sehen, seitdem es ihm 1903 geschenkt wurde. Das Gemälde war Teil einer einmaligen monografischen Ausstellung von Vermeers Werk in den Jahren 1995 und 1996, die vom Mauritshuis und der National Gallery of Art in Washington organisiert wurde. »Das Mädchen mit dem Perlenohrring« war auch Teil einer Wanderausstellung der Highlights aus der Sammlung des Mauritshuis von 2012 bis 2014, als das Museum vorübergehend wegen eines umfangreichen Projekts zur Renovierung und Erweiterung geschlossen war. Aber das waren sehr spezielle Anlässe. Wer das Mauritshuis in Den Haag besucht, der kann sicher sein, »Das Mädchen mit dem Perlenohrring« an seinem gewohnten Ort im Musem vorzufinden!

Was erwarten die Besucher neben Vermeers Meisterwerk noch für Kunstwerke im Mauritshuis in Den Haag?

Das Mauritshuis weist eine der weitweit größten Sammlungen niederländischer Kunst aus dem 17. Jahrhundert auf, die in einem Gebäude aus der gleichen Epoche untergebracht ist. Die Besucher erwarten drei Gemälde von Vermeer, aber auch eine starke Sammlung von Werken Rembrandts. Andere bekannte Gemälde sind »Lachender Junge« von Frans Hals, der ikonische »Distelfink« von Carel Fabritius und der eindrucksvolle »Junge Bulle« von Paulus Potter. In den intimen Räumen des Museums finden sich auch Meisterwerke von Rubens, Holbein, Jan Steen, Jacob van Ruisdael, Hendrick Avercamp und vielen anderen. Erwähnenswert sind sicherlich auch die prächtigen Werke von Meistern, die weniger bekannt sind, wie die der Stillleben-Malerin Clara Peeters oder ein einzigartiges Blumengemälde von Dirck de Bray.