Die neun Kreise der Hölle
Rodins »Denker« sollte eigentlich nur ein Teil einer riesigen Skulptur sein, die das Tor zur Hölle darstellt. Die entsprechenden Motive holte sich der Bildhauer aus der »Göttlichen Komödie« von Dante Alighieri. Falls ihr vergessen habt, wie sich Dante die Hölle vorgestellt hat, haben wir hier in der neuen Ausgabe des sisterMAG eine kleine Zusammenfassung von Alexander Kords für euch.
- Text: Alexander Kords
Die neun Kreise der Hölle – Wie sich Dante die Unterwelt vorgestellt hat
»Der Denker« war ursprünglich als Teil einer riesigen Skulptur vorgesehen, die das Tor zur Hölle darstellt. Dafür orientierte sich Auguste Rodin an den Motiven aus der »Göttlichen Komödie« von Dante Alighieri. Falls ihr euch nicht mehr an euren Literaturunterricht erinnern könnt, haben wir mal zusammengefasst, wie sich Dante die Hölle vorgestellt hat.
In so gut wie jeder Religion existiert das Konzept, dass dem Mensch nach seinem Tod entweder das ewige Himmelreich winkt oder die Hölle droht – je nachdem, wie gut oder schlecht er sein irdisches Leben geführt hat. Ob es beide Orte tatsächlich gibt, lässt sich natürlich nicht beweisen. Dennoch regen sie die Vorstellungskraft der Menschen von jeher an. Ein sehr lebendiges und bis heute präsentes Bild von der Hölle zeichnete etwa der italienische Philosoph Dante Alighieri in seinem Hauptwerk »Göttliche Komödie«. Insgesamt 13 Jahre, nämlich von 1307 bis 1320, schrieb Dante an dem Buch, zahllose Künstler aus sämtlichen Bereichen – von der Literatur über die Musik bis hin zu Comics und Videospielen – befassten sich seither mit seinem Inhalt. Auch der Bildhauer Auguste Rodin widmete der »Göttlichen Komödie« einen Großteil seines künstlerischen Lebens. Sein berühmter »Denker« war nur eine von 180 Figuren, aus denen seine monumentale Skulptur »Das Höllentor« bestand. Wie aber sah sie aus, die Hölle, die Dante in seiner »Commedia« entworfen hat?
Ein toter Dichter hilft
Die Hauptfigur in Dantes »Göttlicher Komödie« ist Dante selbst, ein Dichter, der mit 35 Jahren in der Mitte seines Lebens an-, zugleich aber auch vom rechten Pfad abgekommen ist. Auf dem Weg zum Berg der Tugend irrt er durch einen dunklen Wald und wird von wilden Tieren bedroht. Zu seiner Erleichterung trifft er rechtzeitig auf den römischen Dichter Vergil. Dass der zu dieser Zeit schon mehr als 1.300 Jahre tot ist, irritiert Dante nicht weiter – auch nicht, dass Vergil ihm rät, einen Umweg durch die Hölle zu nehmen. Und so machen sich die beiden Männer auf zum Höllentor, das Rodin viele Jahrhunderte später in Form einer Skulptur gestalten sollte.
Trichterförmige Hölle
Dantes Vorstellung zufolge sah die Hölle aus wie ein riesiger Trichter, der entstanden ist, als der gefallene Engel Luzifer mit voller Wucht auf die Erde prallte. Auf der Südhalbkugel, die in Dantes Weltbild komplett von Wasser bedeckt war, erhob sich durch Luzifers Aufprall der Läuterungsberg – der Ort also, an dem die Seelen, die nicht unmittelbar für den Einzug in den Himmel bestimmt waren, reingewaschen wurden. Dort spielt der zweite Teil der »Göttlichen Komödie«, während der dritte und letzte Abschnitt Dante ins Paradies führt. Doch erst einmal gilt es für Dante und Vergil, die Hölle zu überstehen.
Je tiefer, desto böser
Den Trichter müssen wir uns wie ein Amphitheater vorstellen, der aus insgesamt zehn Terrassen besteht – der Vorhölle sowie den neun Höllenkreisen. Je tiefer in die Erde es geht, desto kleiner werden die Kreise und desto brutaler werden die Strafen, die die »Bewohner« erleiden müssen. In der Vorhölle zum Beispiel irren die wertlosen Menschen umher, die weder im Himmel noch in der Hölle gewünscht sind und permanent von Wespen und Hornissen gepiesackt werden. Von der tatsächlichen Hölle wird dieser Ort durch den Fluss Acheron getrennt. Den darf Dante als noch lebender Mensch eigentlich gar nicht überqueren, aber Vergil überredet den Fährmann Charon, die Überfahrt dennoch zu übernehmen.
Minos richtet
Der erste Kreis der Hölle ist der Limbus, also der Bereich, in dem all die schmoren müssen, die ohne Schuld Schuld auf sich geladen haben. Ein bisschen verwirrend, oder? Gemeint sind damit vor allem Heiden sowie Kinder, die vor ihrer Taufe verstorben sind. Ab dem zweiten Kreis geht dann die Hölle so richtig los. Am Anfang steht der unterweltliche Richter Minos, der bei Dante zum Dämon geworden ist und alle Neuankömmlinge in den passenden Höllenkreis schickt. Dafür schlingt er seinen Schwanz um seinen Körper; je mehr Umdrehungen er macht, desto tiefer nach unten muss der Sünder. Wollüstige Seelen landen beispielsweise im dritten Kreis, geizige im vierten. Ab dem siebten Kreis sind die wirklich bösen Menschen zu finden: Gewalttäter, Selbstmörder, Gotteslästerer, Betrüger, Diebe und Verräter. Sämtliche Kreise sind übrigens mit allerhand Figuren aus der griechisch-römischen Mythologie und der Zeitgeschichte besetzt. So begegnen Dante und Vergil etwa Odysseus, der für seinen Verrat an Troja bestraft wurde, und Francesca da Rimini. Die lebte zur gleichen Zeit wie Dante und wurde von ihrem Ehemann Giovanni Malatesta umgebracht, weil sie ein Verhältnis mit dessen Bruder Paolo hatte.
Selbst Goethe war beeindruckt
Im neunten und letzten Kreis der Hölle hat Dante die Verräter verortet. Sie sind bis zum Hals im See Cocytus festgefroren und müssen in dieser unvorteilhaften Position ihr ewiges Dasein fristen. Eine Szene im letzten Höllenkreis hat niemand Geringeren als Johann Wolfgang von Goethe tief beeindruckt. Als »das Höchste, was die Dichtkunst hervorgebracht hat«, bezeichnete Goethe die Beschreibung dessen, was dem Adligen Ugolino della Gherardesca widerfuhr. Gefangen im ewigen Eis, nagt er immerfort den Schädel eines anderen Mannes an. Dieser stellt sich als der Erzbischof Ruggieri heraus, der Ugolino zu Lebzeiten Schlimmes angetan hatte. Der Kirchenmann hatte den Adligen nämlich mitsamt seinen Söhnen und Enkeln in einen Turm sperren und dort verhungern lassen. Dort, so die Deutung von Dantes Versen, hat sich Ugolino von den Körpern seiner verhungerten Nachfahren ernährt, um selbst noch eine Weile zu überleben.
Am Fell nach oben
Nicht weit von der gruseligen Szenerie mit Ugolino und Ruggieri entfernt treffen Dante und Vergil schließlich auf den Höllenfürsten höchstpersönlich: Luzifer, der drei Gesichter hat und ebenfalls im Eis steckt. Mit jedem seiner Mäuler kaut er auf einem Verräter herum: Links und rechts sind das Brutus und Cassius, die Mörder von Caesar, in der Mitte der Verräter schlechthin – Judas. Um endlich der Hölle zu entkommen, klettern Dante und Vergil am Fell von Luzifer nach oben. Delikaterweise stellen seine Genitalien den exakten Mittelpunkt der Erde dar, von dort an kommen die beiden Höllenwanderer letztlich zum Fuße des Läuterungsbergs, den sie im weiteren Verlauf der »Göttlichen Komödie« besteigen.