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Die künstlerische Gigantenbeziehung: Rodin und Rilke

Die Freundschaft zwischen Rodin und Rilke steht paradigmatisch für eine ambivalente Beziehung zweier großer Künstler, die von einer emotionalen Annäherung ausgehend zu einer engen Zusammenarbeit und schließlich zur Entfremdung führte. Robert Eberhardt gibt in der neuen sisterMAG Ausgabe einen Einblick in das Schaffen und Seelenleben dieser beiden Kunst-Heroen des 20. Jahrhunderts.

 

Die künstlerische Gigantenbeziehung zwischen Rodin und Rilke

Die Freundschaft zwischen Rodin und Rilke steht paradigmatisch für eine ambivalente Beziehung zweier großer Künstler, die von einer emotionalen Annäherung ausgehend zu einer engen Zusammenarbeit und schließlich zur Entfremdung führte. Die künstlerischen Resultate der Zusammenarbeit stehen fernab der persönlichen Ebene und geben einen beeindruckenden Einblick in das Schaffen und Seelenleben dieser beiden Kunst-Heroen des 20. Jahrhunderts.

Mit 25 Jahren traf der Dichter Rainer Maria Rilke (1875-1926) am 1. September 1902 in Paris erstmals auf den weltbekannten, 61-jährigen Auguste Rodin (1840-1917). Rilke schrieb damals an einem Buch über den französischen Bildhauer, das er zu Jahresende 1902 fertigstellte. 1905 kehrte Rilke nach Paris zurück. Er zog in Rodins Anwesen in Meudon vor den Toren der Hauptstadt und wurde sein Sekretär. Rilke fungierte als Ansprechperson für Enthusiasten aus Deutschland, hielt Kontakt zu Verlagen und Zeitschriften, diente als Sachverständiger für alle möglichen Anfragen zum Werk und Leben Rodins, unternahm Vortragsreisen über den Bildhauer und verkündete dessen Ruhm.

Stefan Zweig (1881-1932), österreichischer Schriftsteller, beschrieb später das Zusammenkommen der beiden und das Ansinnen des jungen Dichters, der künstlerisch ja nicht mit hartem Stein, sondern mit luftigen Worten zu wirken beabsichtigte, wie folgt: »Jene Schickung, die man Zufall nennt, hatte Rilke nach Paris getrieben, dort war er Sekretär Rodins geworden und lebte in jenem weiten hallenden Saal draußen in Meudon, wo weiß und rein die Werke standen, ein steinerner Wald und doch eines abgesondert von dem andern durch die Leere des Raums und die innere Endgütigkeit ihrer Konturen. Dort sah er den Meister, den alten, mit seiner abteilenden Kraft, und es reizte ihn mächtig, wie er zu sein und seinerseits im lyrischen Material ebenso streng und abschließend wie jener im Plastischen irdische Bildnisse zu formen, im gläsern gewichtlosen Element des Verses die Härte des Umrisses zu erzwingen wie jener in marmorn wuchtender Materie des erdgebundenen Steins.«

Für Rilke war die Zeit bei Rodin eine Schule des Sehens – er verfolgte detailliert die Werkentstehung, aber auch den Vertrieb, das Eingebundensein des Meisters in die Pariser Stadtgesellschaft und den Kunstmarkt. Die Zusammenarbeit zeitigt sich gerade in der Nachbetrachtung als ein klassisches Meister-Schüler-Verhältnis, bei dem der Jüngere in seiner kreativen Entwicklung entscheidend geprägt wird.

Doch schon ein Jahr später, 1906, lösten beide die Zusammenarbeit abrupt auf – und schieden nicht als Freunde. Danach kam es immer wieder zu Begegnungen, Rilke wohnte gar zeitweise im Hotel Biron, seit 1908 Rodins Pariser Stadtpalais, dem heutigen Musée Rodin, doch zu einer wirklichen Annäherung kam es nicht mehr, der Bruch war definitiv.

2001 wurden die Briefe der beiden Künstler in einer deutschen Ausgabe herausgebracht. Vor allem sind es Briefe Rilkes, denn Rodin nutzte die schriftliche Mitteilung eher für den Informationsaustausch, hingegen der Schriftsteller qua Berufung Seelentiefe und kunsttheoretische Überlegungen in seinen Briefen ausformulierte. Wir erfahren in dem Briefwechsel daher vor allem etwas über das Befinden und die Weltsicht des jungen Dichters Rilke, der den Altmeister zu Anfang geradezu vergötterte. Rilke hielt freilich auch viele Reflexionen und Aussprüche des Maître fest; »Ja, man muss arbeiten, nichts als arbeiten und Geduld haben.« oder »Der Künstler muss zum Urtext Gottes zurückkehren.«

In seinen ersten Briefen an Rodin im Sommer 1902 schreibt Rilke noch ehrerbietend: »Ich sage ihnen nochmals innigen Dank für Ihren guten Brief, und ich grüße Sie, erlauchter Meister, mit all meiner Bewunderung«. Doch in den Briefen sind auch die schrittweise »Entzauberung« und die emotionalen Konfliktlinien nachzulesen, denn nach und nach zerfiel das idealisierte Bild des Skulpteurs, der aus festem Stein so sinnlich, ansprechende, anthropomorphe Bildwerke schuf und doch eine sehr reale Seite hatte. Rilkes ästhetizistische Vorstellung des Künstlers als enthobenes Genie, als Seher, geradezu eine menschliche Verbindung aus Geist und Materie, war mit den Realitäten nicht deckungsgleich. Denn Rodin war ein großer Künstler – doch natürlich auch ein Mensch mit einem recht normalen Alltag. Nach getaner Arbeit verhielt er sich wie jeder andere Pariser Mann: er ging aus, hielt sich Mätressen, hatte mitunter Langeweile. Der »Mythos Rodin« zerfiel für den träumerischen Dichter. Rodin war augenscheinlich doch kein in kosmischen Sphären schwebender Himmelsgänger, sondern ein grandioser Handwerker. Außerdem war zunächst angedacht, dass Rilke dem Meister zwei Stunden seiner täglichen Arbeitszeit widmen sollte. Doch dies reichte bei Weitem nicht aus. Rilke war überfordert, vor allem, weil er das Französische nicht perfekt beherrschte und die Korrespondenz fast den gesamten Tag kostete. Einem banalen Ärger rund um ein simples Missverständnis folgte schließlich die harsche Kündigung durch Rodin – mit sofortiger Wirkung. Rilke, sich im Unrecht sehend, setzte seine Vorträge über Rodin dennoch zunächst fort.

Auch vieles andere unterschied die beiden Ausnahmeerscheinungen: So fest Rodin an die Stadt Paris gebunden war, so unstet und vagabundierend sollte Rilke sein Lebtag lang bleiben: stets zu Gast bei Freunden und in Grandhotels absteigend mäanderte er durch Europa, hielt sich zumeist an beschaulichen oder exquisiten Orten auf und machte die Wanderschaft zu seinem künstlerischem Prinzip. Die letzten fünf Jahre seines Leben verbrachte er in totaler Abgeschiedenheit in einem Steinturm im Schweizer Kanton Wallis, wo er 1926 an Leukämie starb.

In der Beziehung von Rodin und Rilke zeigt sich beispielhaft das zeitweise Bündnis zweier Künstler, wie es sich so oft darstellt: ein intensives Austarieren von Nähe und Distanz, glühende Verehrung und herbe Enttäuschung, alles geformt und gewandelt zur Kunst – in diesem Fall zu den größten Gedichten des Jahrhunderts und zu ikonischen Bildwerken, die heute weltweit Kult und höchste Preise erzielen.

Wer sich dieser besonderen Künstlerbeziehung widmen möchte, dem sei der herausgegebene Briefwechsel empfohlen (mit vielen Zusatzinformationen), der tief in die Gedanken und die Wechselbeziehung dieser beiden Künstler hineinführt. Am besten liest man diese philologische Meisterleistung im wunderbaren Garten des Musée Rodins in Paris – mit Blick auf frisches Kastaniengrün und den hübschen Kalkstein dieses Hôtel particulier, in dem Rodin zwischen 1908 und 1917 lebte. Wer ein wenig mehr Zeit beim nächsten Paris-Besuch hat, der kann ebenso das Musée Rodin in Meudon entdecken. Hier starb der Bildhauer 1917 (und liegt unter der Skulptur »Der Denker« im Garten begraben). 1895 hatte er dieses Anwesen gekauft, um neben dem Studio in Paris einen idyllischen Rückzugsort zu haben.