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Zur Ausstellung »Neue Sachlichkeit. Kunst in der Weimarer Republik« in den Kunstsammlungen Chemnitz

Einer der grausamsten Kriege war beendet, der 1. Weltkrieg, 1914 bis 1918 und Deutschland besiegt. Weltweit starben rund neun Millionen Soldaten und mehr als sechs Millionen Zivilisten. Schon während des Krieges hungerten die Menschen, aber all das, Hunger, soziales Elend und Wohnungsnot, steigerte sich nach dem Krieg ins Unvorstellbare. Tuberkulose und Rachitis fanden zahlreiche Opfer. Rückkehrer waren körperlich gebrochen, oft gelang ihnen die psychische Verarbeitung des Erlebten nicht. Zwar war 1919 die Weimarer Republik, die erste moderne parlamentarische Demokratie in Deutschland, gegründet worden, aber republikfeindliche Parteien, auf der rechten und linken Seite, extremistische Gruppierungen und hasserfüllter Antisemitismus destabilisierten den Staat. Erst nach 1924, nach der Währungsreform verbesserten sich die Verhältnisse. Zunehmend bestimmten Amüsement im Kino, in Revue- und Tanzpalästen, sportliche Aktivitäten das Leben. Die »Goldenen Zwanziger«!  Bedeutende Leistungen in der naturwissenschaftlichen und technischen Forschung führten dazu, dass von den zwischen 1919 und 1933 verliehenen 36 naturwissenschaftlichen Nobelpreisen jeder dritte an einen Forscher aus Deutschland ging.

Messzylinder und Mischzylinder, 1932
Albert Renger-Patzsch (1897 – 1966)
Silbergelatine, 25 x 18,7 cm
Kunstsammlungen Chemnitz
Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/Lásló Tóth
© Albert Renger-Patzsch / Archiv Ann und Jürgen Wilde, Zülpich / VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Aber auch kulturell tat sich diese Periode hervor. Mit bedeutenden innovativen Filmschöpfungen schaute die Welt auf die Republik, in Literatur und bildender Kunst orientierte man sich wieder an der Realität. Das Glück währte nicht lange. Schon 1929, die Weltwirtschaftskrise führte rasch zu hoher Arbeitslosigkeit mit Verelendung und Resignation der Bevölkerung, bekamen rechtsgerichtete, nationalistische Gruppierungen vermehrt Oberwasser. Sie gewannen 1932 die Wahlen, am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt, die Weimarer Republik war Geschichte.

Dominierten im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts avantgardistische Gedanken eines Wassily Kandinsky oder El Lissitzky die bildende Kunst und führten über »Das Geistige in der Kunst« zu einer expressiven, abstrakten Ausdrucksweise, so änderte sich die Sichtweise nach dem 1. Weltkrieg deutlich. Künstler wie Dix, Beckmann, Felixmüller oder Martha Schrag hatten das Grauen des Krieges erlebt und gesehen. »Es gilt die Dinge zu sehen, wie sie sind«, so formulierte zum Beispiel Otto Dix seinen künstlerischen Anspruch. Das Einfache und Banale, der Alltag in nüchterner Bildsprache, Arm und Reich in ungewöhnlichen Perspektiven, oft karikaturesk dargestellt, beschäftigten die Künstler. Erstmals wurden Bilder der neuen, wieder figürlichen Darstellung 1925 in der Städtischen Kunsthalle Mannheim unter dem Namen »Neue Sachlichkeit« gezeigt. Bald bezeichnete dieser Begriff allgemein die Kunst zwischen 1918 und 1933. Der Expressionismus verlor an Einfluss.

Die Bilder der Neuen Sachlichkeit zeigen eine große Vielfalt. Neben kritischen, die schwierigen gesellschaftlichen Verhältnisse vor allem in den ersten Jahren der Weimarer Republik darstellend finden sich eine Reihe von Künstlern, die nach dem Schönen, Positiven in der Realität suchten und es darstellten.

100 Jahre nach Verkündung der Weimarer Verfassung zeigen die Kunstsammlungen Chemnitz im Museum Gunzenhauser 120 Gemälde, Grafiken und Fotografien aus ihren Beständen zur Kunst der Neuen Sachlichkeit – zum ersten Mal nach 93 Jahren! Insgesamt sind 34 überregional bekannte, aber auch regional tätig gewesene Künstlerinnen und Künstler vertreten (s. unten). In sehr anschaulicher Weise hat die Kuratorin Anja Richter die Arbeiten geordnet. Alle Facetten des Lebens zwischen 1918 und 1933 werden Themen bezogen dargestellt, der abgehärmte Kriegsinvalide, viel zu oft sich nur noch mittels Prothese abstützen könnend oder die Radierung »Im Fleischerladen« (1921) von Bernhard Kretzschmar, wo Wurst und Fleisch nur besichtigt werden können, wenn das Geld fehlt. Otto Dix zeigt mit dem »Mädchen am Sonntag« (1921) und dem »Sonntagsspaziergang« (1922) in der Sächsischen Schweiz (Umgebung des Hocksteins) das wieder aufkeimende bürgerliche Leben.

Sonntagsspaziergang, 1922
Otto Dix (1891 – 1969)
Öl auf Leinwand, 74,5 x 60 cm
Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser
Eigentum der Stiftung Gunzenhauser
Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/PUNCTUM/Bertram Kober
© VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Die Bilder sind farbenfroh, bunt, in lockerem Umgang mit dem Maßstab gemalt und zeigen skurrile, bizarre Menschentypen.

Mit der Lithografie »Hilde im Bauhausstuhl« (1928) von Karl Hubbuch erinnert der Maler an das auch in der Weimarer Republik gegründete, in die Zukunft weisende Bauhaus.

Hilde im Bauhausstuhl, 1928
Karl Hubbuch (1891 – 1979)
Lithografie auf Papier, 33 x 42,5 cm/38 x 54 cm
Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser
Eigentum der Stiftung Gunzenhauser
Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/PUNCTUM/Bertram Kober
© Karl Hubbuch Stiftung

Erst 1935 »Steht die Verlobung bevor«, wobei das grobblasige Pärchen bei Kaffee und Bier, wohlsituiert und aufmaulig die Bedingungen der Liaison bespricht, man ist wieder wer!

Verlobung steht bevor, um 1935
Karl Hubbuch (1891 – 1979)
Harzölfarbe auf Goldgrund auf Hartfaserplatte, 30 x 32 cm
Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser
Eigentum der Stiftung Gunzenhauser
Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/PUNCTUM/Bertram Kober
© Karl Hubbuch Stiftung

Wunderschöne Beispiele gezeichneter Frauenmode gepaart mit modernen, »feministischen« Frisuren täuschen jedoch nicht über die gewandelte problematische Geschlechterrolle hin, die mit dem Erstarken der Frau in der Gesellschaft einherging, »Die Frau wurde als Bedrohung der männlichen Identität angesehen«. (»Lustmordbilder« von Otto Dix).

Der Untertan, 1924
Karl Hubbuch (1891 – 1979)
Lithografie auf Velin
Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser
Eigentum der Stiftung Gunzenhauser
Foto: M. Neubauer
© Karl Hubbuch Stiftung

Porträts, Stillleben, Gemälde von Conrad Felixmüller aus dem Arbeitermilieu, Fotografien aus Technik und Wissenschaft und Szenen aus Bordells dieser Zeit vervollständigen die Präsentation. Vorwiegend werden in der Ausstellung Motive aus Berlin, Dresden, aber auch Zeitdokumente aus Chemnitz wie der »Falkeplatz« (1928) von Martha Schrag gezeigt.

Am Falkeplatz, 1928
Martha Schrag (1870 – 1957)
Öl auf Leinwand, 96,5 x 71 cm
Kunstsammlungen Chemnitz
Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/PUNCTUM/Bertram Kober

Die Ausstellung gibt einen ungemein umfangreichen Einblick in die Kunst der »Neuen Sachlichkeit« mit all ihren Schattierungen, seien sie gemalt, lithografiert, radiert oder fotografiert, aber auch in die sozialen, gesellschaftlichen Verhältnisse der ersten deutschen Demokratie. Dabei drängen sich Parallelen zur Gegenwart auf, die in einem umfangreichen kunsthistorischen, aber auch gesellschaftlich-politischen Begleitprogramm bearbeitet werden. Termine sind über die unten angeführten Adressen gegeben.

Zwei Kinder auf der Bank, 1924
Pol Cassel (1892 – 1945)
Öl auf Leinwand, 81,6 x 78 cm
Kunstsammlungen Chemnitz
Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/PUNCTUM/Bertram Kober

Neue Sachlichkeit. Kunst in der Weimarer Republik

Vom 26. Mai bis 25. August 2019
Kunstsammlungen Chemnitz
Museum Gunzenhauser

Stollberger Straße 2
09119 Chemnitz

Öffnungszeiten:
Di, Do – So, Feiertag 11 bis 18 Uhr
Mi 14 – 21 Uhr

Website: http://kunstsammlungen-chemnitz.de/

In der Ausstellung vertretene Künstlerinnen und Künstler der Neuen Sachlichkeit:

Hans Baluschek (1870–1935) Max Beckmann (1884–1950) Rudolf Bergander (1909–1970) Pol Cassel (1892–1945) Otto Dix (1891–1969) August Wilhelm Dreßler (1886–1970) Hugo Erfurth (1874–1948) Conrad Felixmüller (1897–1977) Friedrich Wilhelm Görz (1905–1971) George Grosz (1893–1959) Hans Grundig (1901–1958) Karl Holtz (1899–1978) Karl Hubbuch (1891–1979) Eric Johansson (1896–1979) Käthe Kollwitz (1867–1945) Bernhard Kretzschmar (1889–1972) Willy Kriegel (1901–1966) Karl Kröner (1887–1972) Reinhold Nägele (1884–1972) Bill Nagel (1888–1967) Hanna Nagel (1907–1975) Otto Nagel (1894–1967) Karl Nolde (1902–1994) Albert Renger-Patzsch (1897–1966) Józef Rosner (1892–1971) Gustav Schaffer (1881–1937) Martha Schrag (1870–1957) Georg Schrimpf (1889–1938) Fritz Schulze (1903–1942) Friedrich Seidenstücker (1882–1966) Kurt Teubner (1903–1990) Karl Völker (1889–1962) Gustav Wunderwald (1882–1945) Heinrich Zille (1858–1929)

Hier findet ihr außerdem unseren weiteren Ausstellungsbericht zu Max Liebermann. Zeichnungen und Grafiken in den Kunstsammlungen Chemnitz.