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Venezia500<< Die sanfte Revolution der venezianischen Malerei. Alte Pinakothek München

Lorenzo Lotto (um 1480–1556),
Bildnis des Giovanni della Volta mit Frau und Kindern, 1547
Leinwand, 104,5 x 138 cm
London, The National Gallery,
© The National Gallery, London

Venedig 1500

„Eine komplexe Verfassung garantierte Venedig politische Stabilität. Konkurrenz und Kontrolle sicherten die Balance des republikanischen Systems.“
Saaltext in der Ausstellung, Blatt 2

So liest man es in dem einführenden Saaltext der Ausstellung Venzia 500. Die sanfte Revolution der venezianischen Malerei“. Man könnte in der gegenwärtigen Situation nahezu neidisch werden. Konkurrenz – Kontrolle – Balance, die Renaissance!

Die Gedankenwelt der Menschen konzentrierte sich auf das Irdische, ihre eigene Existenz rückte in den Mittelpunkt des Interesses. Eine eher kleine, gebildete Elite, bestehend aus Wissenschaftlern, Handwerkern, Künstlern, auch maßgeblichen Vertretern des Adels formten eine Weltanschauung, die sich mit dem Wesen und dem Sinn der menschlichen Existenz beschäftigte – dem Humanismus. Was war das in Gesellschaft, Politik und Kunst für eine aktive, phantastische Zeit!

Mit Beginn des 15. Jahrhunderts dominierte über 200 Jahre ein selbstbewusster, interessierter und an der Antike orientierter Mensch alle Gesellschaftsbereiche. Unangefochtenes Zentrum der „Rinascita“, der Wiedergeburt, war Florenz, wo sich neben Venedig und auch Rom die genialsten Köpfe der Literatur (Dante), der Kunstmaler (Leonardo da Vinci, Michelangelo, Raffael u.a.), Bildhauer (Donatello u.a.) und Architekten (Brunelleschi u.a.) trafen und wirkten.

Und Venedig, „La Serenissima“, die stolze Allerdurchlauchtigste unter diesen Capitalen? Sie schloss sich nicht nur an, sondern Malerheroen wie Giovanni Bellini (1435 – 1516), Giorgione (1477 – 1510), Giulio Campagnola (um1482  – 1516), Tizian (um 1488 – 1576), Lorenzo Lotto (um 1480–1556) oder Paolo Veronese (1528 – 1588) erweiterten, modernisierten das Neue, das Wiedergeborene …in einer Zeit als Machtkämpfe, Krieg und Gebietsverluste die Republik erschütterten. Die Kunst, die Malerei jedoch erklomm neue Höhen. Mit der Porträt- und Landschaftsmalerei beschritten venezianische Maler Wege, die weit in die Zukunft wiesen.

 

 

Giovanni Bellini (um 1435–1516),
Maria mit Kind zwischen Johannes dem Täufer und einer Heiligen, 1500–1505
Holz, 55 x 77 cm
Venedig, Gallerie dell’Accademia,
© Gallerie dell’Accademia di Venezia/su concessione del Ministerio della Cultura

So malte man Porträts in Venedig

Die bisher übliche strenge Linienführung z.B. der Florentiner wurde weicher, verschwommener, natürlicher und lebensfroher. Die Künstler betonten Licht und Schatten anders, die Rolle der Farbe definierte sich neu, sie wurde wichtiger. Neben Giovanni Bellini war es vor allem Giorgione, der ein neues, ein venezianisches Porträtbild schuf.

 

 

Die Erkenntnis, dass eine Dreiviertelansicht der Porträtierten und ihre Darstellung aus der Fläche heraus, also plastisch, räumlich dem Leben viel mehr entspricht als das strenge Profil, war eine große, eine moderne Entscheidung.

 

 

Sebastiano Luciani, gen. Sebastiano del Piombo (um 1485–1547),
Bildnis des Ferry Carondelet mit seinem Sekretär, um 1510/12
Holz, 112,5 x 87 cm
Madrid, Museo Nacional Thyssen-Bornemisza,
© Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid

Typisch war für die Maler Venedigs um 1500 folgendes. Sie hatten in ihren jungen Jahren Werke der alten Schule im strengen Stil der Linie gemalt und boten später Bilder, in denen die Farbe Konturen und das Design bestimmten. Die Porträtierten zeigen so natürliche Gesten, als wollten sie den Betrachter ansprechen, zeigten in ihrer Mimik, wie ernst ihnen eine Situation ist oder strahlten die Würde ihres Daseins aus.

 

 

So malte man vor 500 Jahren! In Venedig.
Stolz und selbstbewusst demonstrierten die Künstler die Wirklichkeit einer gebildeten, fortschrittlichen Gesellschaft.

 

 

 

Giorgio da Castelfranco, gen. Giorgione (1473/74–1510),
Bildnis eines jungen Mannes, um 1505/10
Pappelholz, 69,4 x 53,6 cm
München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek,
© Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München

Die weiblichen Porträts waren in der Regel Idealbildnisse. Die Liebeslyrik Francesco Petrarcas (1303 – 1374), eines frühen Mitbegründers des Humanismus in der Renaissance und einer der wichtigsten italienischer Dichter dieser Zeit, hatte Vorstellungen zur Schönheit der Frau entwickelt. Nur in wenigen Fällen kann man in den Porträts real lebende venezianische Frauen erkennen, eher waren es dem Ideal folgende Phantasiedarstellungen.  Die „belle donne“, in Venedig „belle veneziane“ zeigte sich in einem Halbfigurenbild, selbstbewusst, herrschaftlich gekleidet. Ihre sinnliche Ausstrahlung hinterließ gern eine animierende Unbestimmtheit, die durch erotische Details durch freizügige Kleidung, Schmuck oder auffällige Farben unterstützt wurde.

 

 

 

 

Tiziano Vecellio, gen. Tizian (um 1488/90–1576),
Junge Frau bei der Toilette, um 1515
Leinwand, 99 x 76 cm
Paris, Musée du Louvre,
© bpk | RMN – Grand Palais | Thierry Le Mage

 

Dieser Trend übertrug sich auch auf die Darstellung von Jünglingen, auch sie waren mit symbolischen Utensilien ausgestattet.

 

Giorgio da Castelfranco, gen. Giorgione (1473/74–1510),
Knabe mit Pfeil, um 1505
Pappelholz, 48 x 41,8 cm
Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie,
© KHM-Museumsverband

Der Pfeil des Jünglings symbolisiert seinen „pfeilartigen“ Blick, der auf die Angebetete trifft …

Wie wichtig Porträts im Zwischenspiel der Geschlechter war, zeigt ein Gedicht des italienischen Kardinals und Dichters Pietro Bembo (1470 – 1547), das er dem Bildnis einer Dame widmete:

Oh himmlisches und reines Bildnis mein    

Oh himmlisches und reines Bildnis mein,
heller als die Sonne in meinen Augen,
Erinnern an jene unter den Frauen,
die deutlich meißelte in mein Herz ich ein:

Dass mein Bellini auch ihr ganzes Sein
in deine Gestalt gelegt, will ich glauben,
du versengst mich, treffen dich meine Augen,
doch bist du kalte Farbe, kein Schicksal dein.

Süß scheint, wie das der Dame, auch dein Gesicht:
du zeigst zwar Mitleid, wenn um mich Qualen sind,
doch bitte ich um Gnade, so bleibst du still.

Doch in einem bist du so grausam nicht,
du zerstreust nicht mein Hoffen in den Wind:
Du bleibst zumindest, wenn ich dich sehen will.

aus „Welt der Renaissance“ von Tobias Roth, Galiani-Verlag, Berlin, MMXX, S. 404

Das neue Verhältnis zur Landschaftsmalerei

Bei der Darstellung von Landschaften bemühten sich die venezianischen Maler, für die schöpferische Natur selbst einen künstlerischen Ausdruck zu entwickeln“(Ausstellungs-Katalog S.24). Das Studium der antiken Literatur rückte das Bild idyllischer Landschaften in den Focus dichtender und malender Künstler. Modern war der mit der Natur in einem weiten Landschaftspanorama harmonisch verbundene Hirte. Bukolik der Antike. Dabei erzeugte das neue venezianische Bildkonzept lyrische Qualitäten, Poesie und Ästhetik triumphierten. Es versuchte anspielungsreich, Bilddetails einen übertragenen, bedeutungsvollen, aber auch vielsagenden Sinn zu geben. Allein für das Gemälde „Tempest“ (Das Gewitter) 1505/10 von Giorgione gibt es heute über 50 Deutungsversuche unter Kunsthistorikern (Ausstellungs-Katalog, S. 72) .

 

 

Giovanni Bellini (um 1435–1516),
Hl. Hieronymus lesend in einer Landschaft, um 1480/85
Holz, 46,8 x 33,8 c
London, The National Gallery,
© The National Gallery, London

 

 

Die Präzision in der Darstellung von Tieren, Bäumen, Felsen, Gebäuden – an flämische Akribie erinnernd –  und das Bildarrangement von Personen, Heiligen und Mythen zur Umgebung erlaubten und erlauben eine allegorische Deutung, es animiert „zu einem denkenden Schauen

Zeichnungen und Druckgraphiken

Sie gewannen in der Landschaftsdarstellung am Beginn des 16. Jahrhunderts große Beachtung. Vor allem Giulio Campagnola (um1482 – 1516) und sein Adoptivsohn Domenico Campagnola (um 1500 – 1564) beherrschten diese Szene mit kleinen Formaten. Strebte Giulio mit seinen Techniken nach Feinheit und Originalität, betonte Domenico die schroffe Wildheit der Landschaft. Beide hatten Kontakte zum graphischen Schaffen Giorgiones, Tizians und auch Albrecht Dürers (1471 – 1528).

Aber natürlich gab es auch kritische Stimmen, die die moderne Malweise der venezianischen Maler als „grob hingeworfene Fleckenmalerie“ (Giorgio Vasari) bezeichneten. Erkannte man in den früheren Techniken mit straffen Konturen und klarer Abgrenzung der Details jedes Bildmotiv aus der Nähe, verlangte die etwas verschwommenere Malweise einen größeren Abstand zur Beurteilung. Das sagten die Kritiker z.B. zu Tizians Spätwerk.

Auch das kann man bei einem Rundgang mit Interesse nachempfinden und beurteilen.

Karl V. (1500 – 1558) bestellte Tizian 1548 zum Reichstag nach Augsburg, wo er neben dem Kaiser zahlreiche Fürsten und Würdenträger malte. Das Bild des sitzenden 48 Jahre alten Kaisers, ist in diesem Jahr entstanden und zeigt einen alten, kranken, dennoch willensstarken Herrscher.

Rechts sieht man Isabella von Portugal (1503-1539), Karls Ehefrau. Tizian schuf es nach ihrem Tod nach einer nur wenig älteren Vorlage

 

Raumansicht
Foto: Haydar Koyupinar
© Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München

Kunstszene in Venedig um 1500

Private Kunstsammlungen von hohem Niveau entstanden, die der Kunst von Venedig bis Padua ein Podium boten. Mäzene und Sammler verkehrten mit den Malern in humanistischen Zirkeln, wo sie gemeinsam ihren musischen Interessen nachgehen konnten. Schnell wurden bei den standesbewussten Venezianern Wünsche wahr,  die in modisch höfischer Kleidung und zwangloser Haltung gemalten Porträts mündeten, so wie sich diese Eilten auch in ihren Gesprächs- und Diskussionsrunden in diesen privaten Salons trafen.

Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) hat die Renaissance „das goldene Zeitalter des (vergangenen) Jahrtausends“ genannt. Ja, man kann über diese Zeit nur staunen, sie stand am Beginn des modernen Europas. Eine besondere Rolle nahm Venedig als See- und Handelsmacht dabei ein. Ihr daraus resultierender Reichtum beförderte einen kulturellem Aufschwung, der allen anderen gleichartigen Strömungen vorauseilte, revolutionierend in der Malerei.

„Eugene Delacroix (1798 - 1863): Es scheint tatsächlich, daß diese Männer des sechzehnten Jahrhunderts wenig zu tun übriggelassen haben : sie haben als erste den Weg ausgeschritten und scheinen in allen Gattungen die Grenze erreicht zu haben. Man ist bestürzt über die Kraft, die Fruchtbarkeit, die Universalität dieser Männer des sechzehnten Jahrhunderts. “
Ausstellungs-Katalog S. 13

Es ist förmlich zu spüren, wie die Stadt Venedig, die umgebende Natur mit ihren Hügellandschaften, in der Ferne den Gipfeln der Südalpen, und dem Farbspiel des leuchtenden Marmors die Künstler zu ihren Arbeiten und den Kurator für diese Ausstellung begeistert haben.

Alte Pinakothek – Bayerische Staatsgemäldesammlungen
Barer Str. 27, 80333 München

VENEZIA 500<<. DIE SANFTE REVOLUTION DER VENEZIANISCHEN MALEREI
26.10.23, 11.00

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