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Zeitlos schön? Tapeten der Jahrhundertwende. Kunstsammlungen Chemnitz

FloraleTapete mit Vogelmotiv,
vor 1915

Herstellung: F. A. Schütz
Maschinendruck, Leimfarbe
45,7 x 49 cm
Kunstsammlungen Chemnitz
Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/Frank Krüger 

Für den einen oder anderen wird erst der zweite Blick offenbaren, welche kreative Vielfalt, welche Ausstrahlung Farben und Muster bei einer als zunächst wenig innovativ empfundenen Ausstellung zum Thema „Tapeten“ vermitteln können. Natürlich beschäftigen sich die Chemnitzer Kuratoren nicht mit Raufasertapeten, nein, sie zeigen einen Schatz aus ihren Beständen, der seinesgleichen sucht: Tapeten aus den Jahren 1900 bis 1920 – eine Pracht in Form und Farben.

Von einst 4000 europäischen und amerikanischen Exemplaren beherbergen die Chemnitzer Kunstsammlungen noch 1000. Sie zeigen in diesen Tagen eine große Auswahl von Handdrucken und maschinell angefertigten Tapeten in ihren Räumen am Theaterplatz.

 

 

Tapeten-Druckmaschine für 20 Farben
aus Louis Figuier: Les merveilles de l’industrie ou
Description des principalez industries modernes
Bd.2, Paris 1873 – 1877
Kunstsammlungen Chemnitz
Foto: Michael Neubauer

Chemnitz war an der Wende zum 20.Jahrhundert wirtschaftlich eine prosperierende Stadt. Im Laufe des 19. Jahrhunderts war sie zu einer der wichtigsten Industriestandorte Deutschlands geworden. Neben der Produktion von Maschinen, Lokomotiven, Fahr- und Motorrädern dominierte die Textilindustrie die sächsische Metropole. Webstühle entstanden und natürlich wollte man auch Papier gestalten, verschönern. Drucken nicht nur per Hand, jetzt wollte man schneller und billiger drucken. Rollendruckmaschinen entstanden. Hinzu kamen Ideen der Reformbewegung, die zwar das allzu Technische verwarfen, aber den Segnungen ausdrucksstarker, mit naturnahen Motiven bedruckter Tapeten viel abgewinnen konnten. 

 

 

Tapete mit Mohn und Hortensien,
um 1900 Herstellung:
Chemnitzer Tapetenfabrik Max Langhammer
Maschinendruck, Leimfarbe
80 x 48 cm
Kunstsammlungen Chemnitz
Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/Frank Krüger 

Das spornte die innovativen Sachsen an. Mit Max Langhammer in Chemnitz entstanden in Hainichen (Ottokar Anderlik „Europa“), in Dessau (Ernst Schütz),  in Wurzen (August Schütz) und in Coswig (Christian Wulf) technisch hochentwickelte Tapetenfabriken. Alle beschäftigten wertvolle Musterzeichner. Oft waren es Architekten oder bildende Künstler, genannt seien Peter Behrens, Bruno Paul und Valerie Petter. Ob ihrer wichtigen Funktion blieben sie aber oft bewusst im Verborgenen. Es entstanden Motive aus dem Historismus, dem Jugendstil, aber auch in Form des Art deco. Ornamente, geometrische und abstrakte  Formen, Blätter, Vögel, Pfauen, Blumen in regelmässiger Wiederkehr zierten die künstlerisch anspruchsvollen Tapetenprodukte. 

 

 

Bruno Paul
Tapete, vor 1919
Herstellung: Strauven G.m.b.H.
Tapeten-Fabrik Handdruck, Leimfarbe
140,3 x 56,8 cm
Kunstsammlungen Chemnitz
Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/Frank Krüger 

Begeistert sorgte Max Langhammer in Chemnitz mit einer grossen Motivvielfalt seiner Tapeten für eine grosse Nachfrage weit über die Landesgrenzen hinaus. Dabei nutzten die sächsischen Hersteller Anregungen französischer, englischer, aber auch Wiener Vorbilder. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts dominierten den europäischen Tapetenmarkt qualitätvolle französische Handdrucke. Ihre Motive mit Ranken, Architekturornamenten und Blumendessins wurden europaweit, auch in Sachsen nachgeahmt. Nach 1850 allerdings konnten die Engländer Tapeten mit ihren dampfbetriebenen Druckwalzen sehr viel billiger herstellen als die per Hand gedruckten französischen Luxustapeten. Auch in der Motivwahl schlugen die Engländer, beeinflusst durch ihre Reformbewegung „Arts and Crafts“ neue Wege ein. Pflanzen und Tiere sollten fortan »lebendig« dargestellt werden. Die französische Tapetenherstellung verlor an Einfluss. Amerikanische Produzenten schlossen sich auch den englischen Vorstellungen an. In Wien war man zunächst zurückhaltend, entsprach eine Tapete aus Papier tatsächlich den verwöhnten Wiener Ansprüchen? Erst eine große Ausstellung der drei größten Tapetenhersteller Österreichs änderte 1913 die Einstellung. Sie verhalf mit vielfältigen Flächenmustern für Gardinen, Möbelbezüge und Teppiche zum Durchbruch auch für papierne Tapeten.

 

 

Dagobert Peche für Wiener Werkstätte Semiramis, 1913/1914
Herstellung: Max SchmidtTapetenfabrik Wien Handdruck, Leimfarbe
68×53,5cm
Kunstsammlungen Chemnitz
Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/Frank Krüger 

Die ungewöhnliche Chemnitzer Sammlung verschiedener internationaler Tapeten und -muster, weitere gibt es nur in Stuttgart, Berlin und Kassel, verdankt das Museum privaten Chemnitzer Industriellen wie Max Langhammer und Oskar Haebler. Langhammer war als Tapetenfabrikant in Chemnitz auch Politiker und Vorstand des Industrievereins. Sein Einsatz für das Anlegen einer Mustersammlung von Tapetenmustern bildete den Vorläufer der heutigen Textil- und Kunstgewerbesammlung der Stadt. Die damalige Sammlung sollte den sächsischen Musterzeichnern internationale Trends in der Motiventwicklung für Tapeten zeigen. Nur so konnten sie dem Zeitgeschmack folgen und einen gewinnbringenden Absatz garantieren. 

 

 

Tapete aus der Kollektion „SächsischeTapeten- Industrie“,
vor 1916
Herstellung: Tapetenfabrik Coswig GmbH Maschinendruck, Leimfarbe
75,5 x 53,5 cm
Kunstsammlungen Chemnitz
Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/Frank Krüger 

Neben den zahlreichen Motiven und Mustern erklärt die Ausstellung länderspezifische Besonderheiten in der Tapetenfertigung, gibt Einblick in die Drucktechniken und präsentiert Beispiele typischer modischer Einrichtungsvarianten in Bezug zu den gezeigten Tapeten um 1900.

 

Zeitlos schön?
Tapeten der Jahrhundertwende
25. Juni – 24. September 2023 

Kunstsammlungen Chemnitz
Theaterplatz 1
09111 Chemnitz
T +49 (0)371 488 4474

Öffnungszeiten
Di, Do–So,
Feiertag 11–18 Uhr,
Mi14–21Uhr

Begleitprogramm, Führungen und weitere Informationen unter
kunstsammlungen-chemnitz.de

Kunstsammlungen Chemnitz
Foto: Michael Neubauer