Follow my blog with Bloglovin

Warum wir Häkeln müssen! Die Geschichte des Häkelns

Womit der Boom rund um das Häkeln begonnen hat, wird wohl niemand ganz genau bestimmen können. Autor Michael Neubauer beleuchtet die Geschichte des Häkelns von den Anfängen bis heute – mit einem Augenzwinkern und allerlei historischen Begebenheiten rund um die Handarbeitskunst des Hakenschlagens.

Auch wenn Häkeln insbesondere in letzter Zeit als typisches Quarantäne-Hobby auf Plattformen wie TikTok und Pinterest wieder an Popularität gewonnen hat, ist es als Handwerk keineswegs neu. Häkeln entwickelt sich in seiner Vielseitigkeit und seinen Möglichkeiten, künstlerische Kreativität auszudrücken, ständig weiter. Machen wir einen Ausflug in die Vergangenheit und erforschen die Geschichte des Häkelns, wie das Häkeln seinen Ursprung im 17. Jahrhundert hatte und sukzessiv zu dem Kunsthandwerk wurde, das wir heute sehen.

Warum wir Häkeln müssen! Die Geschichte des Häkelns

Ich kann nicht glauben, dass der aktuelle Häkel-Boom allein mit der Angst vor kühlen Büros und Wohnungen zu begründen ist. Sicher die Energieversorgung steht auf wackligeren Beinen. Gehe ich von mir aus, so erfasst mich am Schreibtisch schon bei 19-20 Grad eine von unten in die Beinkleider einziehende Kälte. Der Gedanke an eine wärmende, wohlige Bekleidung bis hin zu einer vielleicht gehäkelten Kopfbedeckung ist dann nicht mehr weit. Also, das mit dem aktuellen Run auf die Häkelnadeln geht schon in Ordnung! 

Dabei habe ich ganz vergessen, in welch phantastischer Bunt- und Raffiniertheit die gehäkelten Maschen Pullis, Taschen, Mützen in attraktive Bekleidung verwandeln. Einfachste Techniken verwandeln die Garne in Prachtstücke, die in den einschlägigen Magazinen, Online-Seiten und Social Media Accounts zu bewundern sind … aber auch welchen Preis sie haben! Also, was hilft’s, Häkeln ja, aber wir müssen selbst Häkeln!

So begann die Geschichte des Häkelns

So ist es ja auch losgegangen. Nicht ein Hobby war der Ursprung, praktische Gründe und kreative Ideen ließen an verschiedenen Orten dieser Welt den Wunsch aufkommen, sich mit Fasern zu schützen. Hatte man schon vorher, gedanklich reicht es bis in das alte Ägypten zurück, durch textile Längs- und Querverbindungen Netze, Behältnisse zu formen begonnen, so lag die Idee und der Anspruch nicht weit, mit verfeinerten Methoden etwas Kleidsames herzustellen.

Gestrickt wurde deshalb schon seit dem 13. Jahrhundert, aber es ist nicht einfach. Schon, dass man beim Stricken zwei Nadeln bändigen und am Maschengerüst viel mehr fixieren muss, macht es komplizierter als das Häkeln. Die geniale und an vielen Orten nachweisbare Idee war, dass man mit einer Nadel, an deren Ende ein Haken ist, den Wollfaden durch die nächste Masche ziehen kann und so Schritt für Schritt etwas Stabiles, etwas „Gewebtes“ entsteht.

… und so verdrängte Häkeln das Stricken – weil es einfacher ist

Ein „Häkchen“ muss dran sein, um zu „häkeln“ und glaubt man den Freunden des Häkelns ist Häkeln im Gegensatz zum Stricken viel leichter zu erlernen. Ganze 4 Grundmaschen muss man beherrschen: Luftmasche, feste Masche, Stäbchen und halbes Stäbchen. Ein oft nicht einfacher Anfang, Geduld, das richtige Häkelmuster, gute Baumwolle, Wolle, Kunstfaser oder gar Seide und fertig ist die erste Mütze.

Eine nicht aufzuhaltende Entwicklung

Mit diesen Gedanken nahm das Häkeln gegen Ende des 17. Jahrhunderts in vielen Ländern Fahrt auf. Wurden die verschiedenen Varianten, Häkelerfahrungen und Wissen zur Häkeltechnik zunächst mündlich in den Familien weitergegeben, erschienen im 19. Jahrhundert die ersten gedruckten Anleitungen zur Technik in Frauenzeitschriften. Man muss Mademoiselle Riego de la Brachardiere erwähnen, die 1847 in London das erste Buch zum Häkeln herausbrachte – 1875 bereits in der 17. Auflage! Immer mehr Häkelanleitungen kamen auf den Markt. Die Materialien wechselten, wichtig war immer, dass man einen Faden haben musste. An der Wende zum 20. Jahrhundert war Häkeln unter den Handarbeiten die Nummer eins. In grosser Zahl entstanden Muster zur Häkelkunst, Varianten für verschiedene Maschen, Häkel-Schulen bildeten sich. Die Entwicklung waren nicht mehr aufzuhalten. Häkeln war eine der Grundtechniken der Mode geworden.

Häkeln und Stricken im Vergleich

Häkeln verbraucht mehr Wolle als Stricken. Deshalb sind die fertigen Häkelprodukte schwerer, aber auch stabiler. Das Maschenmuster ist weiter, Gehäkeltes „umfließt den Körper“ sprichwörtlich. Ich glaube, mittlerweile vermischen sich die Indikationen für das Stricken oder Häkeln immer mehr. So werden z.B. Pullover oder Schals, früher eher Ziel des Strickens, heute gern auch gehäkelt. Selbst eine Kombination zwischen Häkeln und Stricken ist möglich. Man nennt es Tunesisch Häkeln. Die Häkelnadel, die ihren Haken behält, muss dafür viel länger als die regulären Häkelnadeln sein, um die zahlreicheren Strickmaschen aufzunehmen. Nadelvarianten sind möglich.

Geschichten, die sich um das Häkeln ranken

Natürlich gehören zum Häkeln auch Geschichten.

Im 19. Jahrhundert

Als Anfang des 19. Jahrhunderts das Häkeln zum preiswerten Fertigen von Gewebe, das wie Spitze aussah, verwendet wurde, distanzierte sich der Adel von diesen Häkelspitzen. Die Frauen des Adels hielten von dieser Methode nichts, bezeichneten sie als „verfälschte“ Ware.

In England

Die englische Königin Victoria förderte das Häkeln, indem sie während der verlustreichen Burenkriegen Ende des 19. Jahrhunderts Schals mit dem britischen Wappen häkeln ließ. Sie vertrieb Häkelanleitungen in verschiedenen Sprachen und animierte die Menschen dazu, möglichst viele Stücke zu fertigen.

Häkeln im Flower-Power-Zeitalter

Eine weitere Blütezeit erlebte das Häkeln während der 1960er Jahre zur Zeit des Flower-Power. Die Jugend wollte die Welt besser, schöner, gerechter, freundlicher und sauberer machen und drückte es äußerlich durch eine bunte, freudvolle Häkelgarderobe aus.

Es entstanden die auch heute noch populären „Oma-Quadrate“, die „Granny Squares“ mit großen Luftmaschen. Die unterschiedlichsten Farben und Ideen, Wollspezialitäten, auch Reste, lassen sich dabei verarbeiten.

Häkeln für die Umwelt

Aber damit nicht genug. Das Museum Frieder Burda in Baden-Baden hatte bis 30. November 2021 alle Häkel-Freundinnen und -Freunde aufgerufen, Korallenriffe mit den verschiedensten Häkelmustern zu häkeln. „Häkeln für die Weltmeere“ ist eine Reaktion auf die Zerstörung des Great Barrier Reefs vor der australischen Küste. Die Traumwelt des „Crochet Coral Reef“ ist noch bis zum 26. Juni 2022 in Baden-Baden zu sehen. Näheres ist auf der Webseite des Museums zu erfahren.

Häkeln gestern und heute

Anfang des 20. Jahrhunderts war man, was das Häkeln betraf, schon weiter als heute. Es wurde in den meisten europäischen Ländern einfach erwartet, dass jede Frau, gleich welchen Standes, diese Technik beherrschte.

Und heute am Beginn des 21. Jahrhunderts? Beginnen wir wieder, Häkelarbeiten zu lieben. Ob Topflappen, Schals oder Pullover – eine Häkelanleitung gibt es für alle Textilien. Die Häkelkunst und -technik überspringt mittlerweile Länder, Kulturen und alle Kategorien des Alters. Der „Häkel-Faden“ gehört zur Spitze der Handarbeiten. Denn bis heute gibt es keine industriellen Häkelmaschinen. Häkeln ist und bleibt eine harte Handarbeit. Aber vielleicht ist es genau das, wonach wir uns sehnen.

Häkeln ist mehr, eine Hilfe für das moderne Leben

Nicht das Streamen, das Surfen zwischen den vielfältigen Nachrichten, sozialen Netzwerken und Video-Diensten schafft zufriedene Gefühle, sondern etwas selbst Geschaffenes in den Händen zu halten, ist die Vorstufe zum Glück. Aus einer rein praktischen Erwägung, zu häkeln um sich vor Kälte zu schützen, wird Häkeln zur Freude, um sich vor dem modernen Müßiggang zu bewahren. Und so kommen heute, genau wie vor zwei- oder dreihundert Jahren, plötzlich wieder Häkelrunden zusammen, die bei Kaffee, Tee und Kuchen daheim oder im Café ihrem Hobby frönen. Neben der manuellen Fertigkeit, der notwendigen Kreativität für den modischen und farblichen Entwurf und der Freude, der persönlichen Zeit auch ein Ziel zu geben, bremst das Häkeln alle unnötige neuzeitliche Hektik aus. Man möchte fast sagen, es ist gesund zu häkeln und wärmen tut es ja zusätzlich auch noch … die Geschichte des Häkelns ist einfach eine Erfolgsgeschichte!