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Patrick Hourcade und Karl Lagerfeld. Eine Seelenverwandschaft?

1976 treffen Patrick Hourcade und Karl Lagerfeld aufeinander. Es entsteht eine unvergessliche Freundschaft zwischen den beiden Künstlern, die Hourcade erstmals anhand unveröffentlichter Dokumente nachgezeichnet hat. Martina Klarić hat für sisterMAG die Hommage »Karl – Wir Komplizen der Schönheit« gelesen.

Patrick und Karl.

Eine Seelenverwandschaft?

»Lieber Karl, das war’s. Du bist für immer gegangen. Vielen fehlst du, anderen weniger, aber niemanden lässt du gleichgültig zurück.«

Ob als erfolgreicher Modeschöpfer oder originelles Genie, ob als treuer Freund, verliebter Tagträumer oder scharfsinniger Gesprächspartner – Karl Lagerfeld ist, wie Patrick Hourcade am Ende seines Buches resümiert, stets in Erinnerung geblieben.

In seiner Hommage »Karl – Wir Komplizen der Schönheit« zeichnet der Künstler Patrick Hourcade erstmals anhand unveröffentlichter Dokumente seine Freundschaft zur Modeikone Karl Lagerfeld nach. Er gibt uns damit einen Einblick in die schillernde Welt einer Persönlichkeit, deren vorgelebte Extravaganz eine Hymne an das Leben selbst war.

Patrick Hourcade ist in Begleitung von Fashion-Muse Anna Piaggi, als er 1976 in einem Restaurant auf Karl Lagerfeld trifft. Dieser gilt als humorvoll und außergewöhnlich intelligent, wie Piaggi den Freund vorab unterrichtet. Es ist eine Verabredung zum Mittagessen – vielversprechend in jeglicher Hinsicht!

Lagerfeld bestellt Salat mit Cervelatwurst und führt – wie üblich – auch in dieser Runde das Gespräch. Er schwärmt von einem Schloss, einem »Wunder« der Architektur, das er kürzlich erstanden hat, als Hourcade sein Interesse auf sich zieht: Er zitiert aus Büchern über Häuser und Gärten des 18. Jahrhunderts, die er aus seinem Studium der Kunstgeschichte kennt. Lagerfeld ist begeistert!

Was an einem Nachmittag in der Brasserie Lipp beginnt, währt 25 lange Jahre – Hourcade wird zum engen Freund und Austauschpartner. So eng, dass er fortan ein eigenes Zimmer in Lagerfelds Schlössern bezieht, wo sie gemeinsam arbeiten und sich gegenseitig inspirieren.

»Unsere Beziehung war ungewöhnlich«, schreibt Hourcade im Vorwort, »in den Augen anderer seltsam, sie war weder brüderlich noch eine Liebesbeziehung, und geschäftlich war sie schon gar nicht, wir waren Seelenverwandte.« Ihre Verbundenheit erschöpft sich vor allem aus der Liebe zur Ästhetik und Kultur, welche sie teilen und als wegweisenden Kompass für das jeweils eigene Schaffen ausrichten. Das belegen die vielen persönlichen Fotografien, Anekdoten und Eindrücke Hourcades in diesem Buch.

Die beiden Künstler verlieren sich maßgeblich in der Kultur des 18. Jahrhunderts und ihrem »Geist der Aufklärung«. Namen wie Madame Pompadour, Voltaire und Friedrich II. symbolisieren für sie den Luxus, die Intelligenz und die Ausdrucksform einer Epoche, die sie zum Ideal erheben und nach der sich vor allem Lagerfeld sehnt. Er übernimmt den Stil für die Einrichtung seiner Häuser. Kauft mit Hourcade rare Antiquitäten, teure Tapeten, französische Teppiche und Kunst. Die Salons seiner Villen werden in prächtiges Königsblau eingetaucht und erstrahlen durch pompöse sonnengelbe Vorhänge. »Häuser waren Karls Seele«, heißt es an einer Stelle. Unverkennbar!

Hourcade ist Karl und Lagerfeld verfallen!

Das merkt man dem knapp 200 Seiten umfassenden und sorgfältig zusammengestellten Band gleich eingangs an: »Wie soll ich das Unbeschreibliche nur beschreiben?«, fragt Hourcade. Seine Sprachlosigkeit wird zum Zeichen eines komplexen Verhältnisses.

So sehr prägt ihn sowohl die Kultfigur Lagerfeld, dessen überbrodelnde Kreativität alles und jeden in seinem Umfeld ansteckt, als auch der Mensch Karl, dessen Herz für Bücher – Unmengen von Büchern! – und Begegnungen mit anderen schlägt, für seine Mutter Elisabeth und seine große Liebe Jacques de Bascher.

Karl Lagerfeld sei etwas Besonderes gewesen – das betont Hourcade an vielen Stellen. Dabei geht es nicht nur um sein herausragendes Talent, jene Werke auf Papier und Laufsteg, die dieser erschafft. Hourcade beeindrucken Lagerfelds Überzeugungen, seine Hingabe und Disziplin, die scheinbar allem Prunk zum Trotz Charisma und eine charakterliche Tiefe ausmachen.

Während Lagerfeld zur weltbekannten Ikone avanciert, und Chanel, Chloé und Fendi zum beispiellosen Erfolg führt, wird Hourcade zunächst künstlerischer Leiter der Vogue Paris. Und wendet sich anschließend der Fotografie, später der Installationskunst, zu. Die Wege trennen sich im wahrsten Sinne des Wortes: Ihre Verbindung bricht inmitten dieser Ereignisse ab.

Für Hourcade ist die Situation zu diesem Zeitpunkt unklar und unerträglich. Die Umstände entsprechend kompliziert: Es geht um Geld und Eifersucht, Verrat, Krankheit und überwältigende Trauer. Er fühlt sich von Lagerfeld hintergangen, beschuldigt, weggestoßen – und endlich frei.

Am Ende erinnert sich Hourcade: »[…] die Menge jubelte ihm [Lagerfeld] zu, aber im Grunde seines Herzens war er allein.« Bekanntlich bleiben vor allem die guten Erinnerungen hängen.

»Karl – Wir Komplizen der Schönheit« – eine Hommage, ein Abschied, ein Liebesbrief, ein Trauerspiel. Leicht geschrieben und nonchalant zu lesen.

BUCHANGABE:

Karl – Wir Komplizen der Schönheit

Von Patrick Hourcade, erschienen am 12. September 2021 im Suhrkamp Verlag (224 Seiten), ISBN: 978-3945543962, € 30,00 [D] 

Link zur Verlagswebsite: https://www.suhrkamp.de/buch/patrick-hourcade-karl-wir-komplizen-der-schoenheit-t-9783945543962