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J.J. Hat Center und der Hutmacher von New York

Die Fotografin Andrea Lang hat 2016 einen Hutmacher und das J.J. Hat Center, das älteste Fachgeschäft in New York besucht. In sisterMAG No. 61 berichtet sie über ihre Erfahrungen und das traditionsreiche Handwerk, das auch uns nach wie vor fasziniert. In einer Ausstellung 2020 hat die Fotografin neben dem Handwerk des Hutmachens auch noch viele weitere Traditionsberufe visuell festgehalten.

Der Hutmacher von New York

Und J.J. Hat Center, das älteste Fachgeschäft der Stadt

Man betritt den Laden und wird in eine andere Zeit versetzt. Die Gerüche, die Holzverkleidung der Regale und alte Kronleuchter, die schummriges Licht spenden. Eine Welt, die beruhigt, in der bedachte Handgriffe ausgeführt werden, in der Altes bewahrt wird und in der Menschen überzeugt sind, von dem, was sie tun. Das Gefühl der Entschleunigung setzte sofort ein, als die Fotografin Andrea Lang 2016 den Laden in Manhatten betrat, um das erste Foto für ihre Langzeit-Fotostrecke zu schießen. Mit einem charmanten und gleichzeitig verschmitzten Lächeln wurde sie von einem gut gekleideten Mann namens Jose empfangen, der ihr bereitwillig Verkaufsraum und Werkstatt zeigte.

Jose begann 1977/78 als Hutmacher zu arbeiten. Er erinnert sich nicht mehr genau. Seit den 70er-Jahren hat sich in diesem Beruf viel verändert. Es gibt nur noch wenige Hutgeschäfte in New York und immer weniger Menschen, die Hüte tragen und zu schätzen wissen. Und doch gibt es Trends, wie kurze und breite Krempen und bestimmte Farben, die immer beliebter werden. Verschiedene Hut-Stile werden durch Fernsehserien und Filme in die breite Masse getragen. Kappen erfreuen sich seit »Peaky Blinders« großer Beliebtheit. Der Homburger, ein hoher Herrenhut aus Filz mit hochgebogener, eingefasster Krempe und Mittelkniff in der Krone, erlangte durch »Boardwalk Empire« Bekanntheit. Und seit die Französin Sarah Bernhardt im Theater die Prinzessin Fédora Romanoff modebewusst mit einem Hut gab, wurde der Fedora weltbekannt und mit Vorliebe von Vertreterinnen der Frauenbewegung getragen. Durch »The Marvelous Mrs. Maisel« inzwischen wieder bevorzugt mit mittelbreiter Krempe.

Jose begann seine Karriere als Einkäufer von Accessoires für eine kleine Herrenausstatter-Kette. Eine der Abteilungen, für die er als Einkäufer verantwortlich war, war die Kopfbedeckung. Danach folgte eine Anstellung in einer Kopfbedeckungs-Manufaktur. »Der Rest ist Geschichte!«, sagte Jose und lachte.

Gegründet im Jahr 1911, ist J.J. Hat Center New Yorks ältester Hutladen und eine echte Institution. Seit über hundert Jahren sind die Hutmacher stolz auf exzellenten Kundenservice und kompetente Beratung. Der Hutkauf soll für ihre Kunden ein unvergessliches Erlebnis werden, bei dem sie genau den Hut finden, der zu ihrem individuellen Stil passt. Dabei können sie aus über 10.000 hochwertigen Hüten, die jederzeit auf Lager sind, auswählen; und damit aus der größten Auswahl an Kopfbedeckungen in New York City. Sollte man nicht das Vergnügen haben, das historisch eingerichtete Geschäft in an der 310 Fifth Ave in Manhatten besuchen zu können, bieten Jose und seine Kollegen auch einen Online-Service an und stehen beratend zur Seite.

Das Besondere an seinem Job sind die Leute, die er im JJ Hat Center trifft. »Hutträger sind größtenteils sehr exzentrisch. Aber der Service, den ich anbiete, erfüllt mich!«

Jose liebt es, mit dem Produkt Hut zu arbeiten. Und er sieht es als seine Aufgabe, Kunden, die sich zum ersten Mal mit dem Thema beschäftigen, an die Hand zu nehmen, zu führen und sie für das Huttragen anzuregen.

Manchmal kommen Leute herein, die unsicher oder unzufrieden sind und für die man viel Zeit und Geduld benötigt. »An anderen Tagen scheinen die Leute genau zu wissen, was sie wollen!« Und so weiß man nie, wer zur Tür hinein kommt und was der Tag so mit sich bringt.

Vor einigen Jahren kamen Großhändler in den Laden, um mit der Eigentümerin Aida zu sprechen und ihr Produkte anzubieten. Im Verlauf des Treffens machte einer der Großhändler eine Bemerkung, dass New York City einen guten Hutladen bräuchte. Das war es dann mit dem Geschäft. »Danach haben wir nie wieder bei ihnen bestellt!«, lachte Jose.

Neben dem Anpassen einer individuellen Kopfbedeckung gibt es auch einige Reparaturarbeiten, die immer wieder anfallen. Dazu gehören das Bürsten und Formen, das Weiten oder Engermachen, das Auswechseln des Schweißbandes, das Umflanschen und Abflachen der Krempe und das Wiedereinsetzen des Futters. Ebenso abwechslungsreich sind die Formen, wie Western, Travel, Crown Style, Newsboy Caps und Baretts, und die verschiedenenen Materialien, beispielsweise Filz, Stoff, Pelz, Leder und Stroh. »Unsere Hüte werden nicht nur durch die ganze Stadt, sondern auch weltweit getragen und zur Schau gestellt. Die Leute kommen aus allen Teilen der Welt, werden bei uns beraten und kehren mit den Einkäufen in ihre Heimatländer zurück. Besonders die Kappen finden großen Anklang und werden von den glücklichen Besitzern gezeigt und weiterempfohlen.«

Als die Pandemie im Frühling 2020 New York City und den Rest der Welt traf, musste der Laden schließen. Als kleines Unternehmen war die Situation beängstigend. Irgendwann erhielten sie die Erlaubnis, eine Person im Geschäft haben zu dürfen, um die Online-Bestellungen abzuwickeln. Dies brachte sie über die Sommermonate. Als der Laden im Juli wieder öffnen konnten, waren nicht mehr viele Leute in der Stadt und die Prioritäten hatten sich verändert. Ohne ihre Stammkunden und die fleißigen Mitarbeiter hätte sich JJ Hat Center nicht halten können. Und so hoffen alle, dass sich die Dinge bald wieder normalisieren, und der Laden auch in Zukunft weiterhin einen bleibenden Eindruck und ein einzigartiges Erlebnis hinterlassen wird.

In ihrem fotografischen Langzeitprojekt »Altes Handwerk & Traditionsberufe« zeigt die Hamburger Fotografin Andrea Lang Handwerker, alte und klassische Berufe, Berufungen mit Leidenschaft und Profession. Einfach in Szene gesetzte schwarz-weiß Portraits im alten Stil, inspiriert durch August Sander. Anders als bei ihren Werbe-Shootings mit Fotokonzept sind diese Aufnahmen nicht lange vorbereitet, sondern im Reportagestil, ohne größere Inszenierung entstanden.

»Ich durfte wahnsinnig spannende Geschichten hören, habe von ihren Tätigkeiten begeisterte Menschen getroffen und tolle Einblicke in Werkstätten und Arbeitsweisen gewonnen. Einer von ihnen fragte mich, was mein Beweggrund für diese Serie war. Mir war schon immer wichtig, mit meinen Fotos eine Geschichte zu erzählen. Ich sehe, wie viel in Vergessenheit gerät, und ich möchte einen Teil davon bewahren.«

Im Zuge ihrer Recherchen fand die Fotografin unter anderem heraus, dass es den Beruf des Kutschenbauers in Deutschland nicht mehr gibt. »Es lohnt sich einfach nicht mehr«, wurde ihr gesagt. Im September 2020 konnte Andrea Lang die erste Fotoausstellung zum Projekt in einem offenen Gewächshaus verwirklichen. 23 Portraits bewegten sich im Wind, in alten Eisen-Fensterrahmen präsentiert, und gingen eine Verbindung mit der idyllischen Umgebung und Natur ein. Der erste Schritt zur Erinnerung, dass qualitativ hochwertiges Handwerk auch bezahlt werden will, war gemacht. Und damit vielleicht auch der erste Schritt, ein fast vergessenes Handwerk nicht aussterben zu lassen.

 

In sisterMAG No. 56 haben wir uns schon einmal mit dem Handwerk des Hutmachens beschäftigt und die Hutmacherin Fiona Bennett in Berlin zu einem Interview getroffen, das ihr hier nachlesen könnt.