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Gerhard Richter – Über das Leben und Werk des Künstlers

Gerhard Richter gehört zu den einflussreichsten Künstlern der Gegenwart, seine Werke zu den teuersten des Kunstmarktes. Mit 29 Jahren verließ er seine sächsische Heimat Dresden und begann diese ungewöhnliche Karriere. Robert Eberhardt über das Leben und Werk des Künstlers in sisterMAG.

Gerhard Richter

Über das Leben und Werk des Künstlers

»Der Picasso des 21. Jahrhunderts«

Gerhard Richter gehört zu den einflussreichsten Künstlern der Gegenwart, seine Werke zu den teuersten des Kunstmarktes. Mit 29 Jahren verließ er seine sächsische Heimat Dresden und begann diese ungewöhnliche Karriere.

2015 vermeldeten die Zeitungen einen Rekord: Ein abstraktes Werk von Gerhard Richter wurde in London für 41 Millionen Euro versteigert. Zuvor hatte man für dieses Bild 27 Millionen erwartet, was für eine solche »Ikone« zeitgenössischer Kunst keine Seltenheit mehr ist.

Zuletzt wurde im November 2018 in New York David Hockneys »Pool-Gemälde« für rund 90 Millionen Dollar versteigert. Der globale Kapitalismus kennt mittlerweile wenige exklusive Statussymbole, die einzigartig, über alle Kulturgrenzen hinweg verständlich und damit universal einsetzbar sind wie eben jene ikonischen Kunstwerke von »Topkünstlern«. Solche Trophäen der Gegenwartskunst produzieren nicht so viel Aufwand und Nebenkosten wie ein eigenes Weingut in Bordeaux oder eine riesige Yacht im Hafen von Monte Carlo, sie passen stattdessen in das eigene Apartment, beweisen das Kunstinteresse ihrer Sammler und außerdem erkennen Freunde und Geschäftspartner diese Werke, wissen damit um deren hohen Preis und das dahinter stehende gewaltige Vermögen ihrer Besitzer. Doch wie konnte ein Sachse zu einem der teuersten Künstler der Gegenwart werden?

Was macht ihn aus? Wer ist Gerhard Richter?

Vielleicht kann man es so formulieren: Gerhard Richter, das sind viele Künstler unterschiedlicher Jahrzehnte in einer Person. Richter passte seinen Stil und seine künstlerischen Strategien nicht nur immer wieder an, sondern drückte mehrmals auf die ästhetische Reset-Taste, begann völlig neuen Werkgruppen, stieß zu neuen Materialien vor, schuf bildhauerische Werke, Fotografien, Glasfenster. So kennt das Kunstpublikum etwa seine verwaschenen, gemalten Schwarz-Weiß-Fotografien, die abstrakten Werke der Farbstreifen, der Farbraster, der ineinanderlaufenden Farben. Wegen seiner langen Schaffensphase hat Richter diverse Stile entwickelt und die deutsche Nachkriegskunst, wie internationale Kunstszene maßgeblich mitgestaltet und geprägt. Er setzte nicht auf ein einziges Charaktermerkmal seiner Kunst (wie etwa Günther Uecker auf Nägel in und als Bilder, Georg Baselitz mit über Kopf stehenden Bildern, Klaus Staeck mit grafischer Plakatkunst), sondern erfand sich immer wieder neu, häutete sich und erfüllte postmoderne Ansprüche von Varianz und Dekonstruktion des Künstlers.

In Richters Biografie spiegelt sich zudem mustergültig ein Lebensweg des 20. Jahrhunderts: geboren zur Zeit des Nazi-Regimes, im frühen, ostdeutschen Kommunismus zum Künstler gereift, in den Westen geflohen, Protagonist beim Aufbau einer neuen Kunstwelt nach dem Krieg in Westdeutschland und prägende Figur in vielerlei Hinsicht in den zahlreichen Jahrzehnten, bis zu seiner heutigen Rolle als Subjekt eines exorbitant aufgeladenen Kunstmarkts. Richter versteht es geradezu selbst nicht, warum er einer der teuersten Künstler der Welt wurde, wie er 2015 der ZEIT verriet: »Es kommen ja öfter solche Rekordmeldungen, und jedes Mal erschrecke ich mich erst einmal, auch wenn es ja eigentlich schöne, erfreuliche Nachrichten sind. Die Summe aber, die hat etwas Schockierendes. Sie wissen ja, der ganze Markt für Kunst ist so hoffnungslos überzogen. Es hat allerdings keinen Zweck, sich darüber zu ärgern. Man steht einfach davor, und es ist unverständlich, so wie für mich Chinesisch oder Physik unverständlich sind.«

1932 wurde Gerhard Richter in Dresden geboren, wuchs in zwei kleinen Orten im heutigen Dreiländereck Deutschland-Polen-Tschechien auf und studierte ab 1951 an der Dresdner Kunstakademie. Zehn Jahre entwickelte er in der Stadt an der Elbe seine Malerei, malte vor allem Wandbilder und Porträts, teils sogar Staatsaufträge der DDR. 1961 floh er dann über West-Berlin in die BRD. Die meisten seiner Bilder aus der Frühphase verbrannte er davor, oder sie wurden als öffentliche Werke später übermalt. Richter studierte schließlich erneut, zwischen 1961 und 1964 an der Düsseldorfer Akademie. Anschließend war er als Kunsterzieher tätig, erhielt Lehraufträge und wurde 1971 Professor in Düsseldorf, eine Stelle, die er bis 1993 inne hatte. 1964 stellte er erstmals Werke aus. Schnell folgten weitere Präsentationen in wichtigen deutschen und ausländischen Galerien und Museen. Neben der Malerei widmete er sich bereits damals der Fotografie. Richters Bekanntheit stieg stetig und die obersten Weihen der zeitgenössischen Kunstwelt erhielt er spätestens mit einer umfassenden Schau im Museum of Modern Art in New York 2002 zu seinem 70. Geburtstag. Heute verwaltet Gerhard Richters Atelier in Köln das umfassende Werk, verantwortet Bildrechte, Publikationen und Ausstellungen. Zudem arbeitet das Gerhard Richter Archiv in Dresden an der kunstwissenschaftlichen Aufarbeitung des Richterschen Bilduniversums.

Im Bildgedächtnis von Kunstliebhabern und Sammlern haben es einige Werkgruppen Richters zu besonderer Wertschätzung gebracht: etwa Fotografien, die Richter übermalte, seine berühmten Farbverlauf-Bilder, bei denen Richter über die nasse Farbe des Bildes eine Leiste zog, Wolken-Bilder aus den 1970er Jahren oder die Gemälde, die wie verwaschene Fotografien aussehen, wie der berühmte Akt auf einer Treppe, »Ema« von 1966. Eine umfangreiche Sammlung von Zeitungsausschnitten, Fotos und Skizzen ging in dem Projekt »Atlas« auf: Richter ordnete seine seit den 60er Jahren zusammengetragene Sammlung auf Blätter und ließ diese losen Dokumente ganz neue Sinnzusammenhänge entfalten. Diskussionen löste u.a. das nach seinem Entwurf gefertigte Fenster im Kölner Dom aus: auf 106 Quadratmetern wurden 11.263 Farbquadrate in 72 Farben nach dem Zufallsprinzip angeordnet – der damalige Kölner Kardinal Meisner forderte für das prominente Fenster eine figurative Darstellung von Glaubensinhalten und keine Abstraktion, wie sie wegen des Bilderverbots zum Beispiel bei islamischer Architektur Anwendung findet. 2011 erschien das Filmporträt »Gerhard Richter – Painting« von Corinna Belz, das den Deutschen Filmpreis 2012 für den besten Dokumentarfilm erhielt und der Richters künstlerische Praktiken vorstellt.

Werke von Richter finden sich heute in allen bekannten Sammlungen. Am meisten zu empfehlen ist wohl die Präsentation im Dresdner Albertinum, in der zahlreiche Arbeiten als Dauerleihgaben ausgestellt werden und von Zeit zu Zeit neu kuratiert werden. Wo sollte man sich einem Künstler (dem »Picasso des 21. Jahrhunderts«, wie er mitunter genannt wird), dessen Werke heute in den teuersten Penthouses und den größten Museen der Welt hängen, unaufgeregter und intimer nähern als in seiner Geburtsstadt, die er mit 29 Jahren verließ?