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Interview Belvedere Wien

In der sisterMAG Ausgabe No. 49 befinden wir uns an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert und blicken auf die dekorative und ornamentale Epoche des Jugendstils, für die der Wiener Künstler Gustav Klimt ein wichtiger Hauptvertreter war. Sein weltweit bekanntes Kunstwerk »Der Kuss« ist titelgebend für unsere neue Ausgabe. Im Interview mit Kurator Franz Smola vom Belvedere Museum in Wien, wo sich das Original befindet, könnt ihr mehr erfahren über die Bedeutung des Jugendstils, die Wiener Kunstszene und den Künstler selbst.

Interview Belvedere Wien

Ein Gespräch mit Kurator Franz Smola

Liegt der persönliche Bezug zur Kunstgeschichte auch noch so fern – den »Kuss« von Gustav Klimt (1862 – 1918) haben wir wohl alle schon einmal gesehen. Mit unzähligen Reproduktionen in Form von Kunstdrucken oder modernen Interpretationen und Klimt-Nachstellungen, wie z.B. von Kunstfigur Conchita Wurst im Jahre 2014 für den Wiener Life-Ball, hat sich die Jugendstil-Ästhetik, die an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden ist, in die Köpfe vieler eingebrannt. Vor allem mit der Stadt Wien ist sie unweigerlich und eng verbunden.

In einem Gespräch mit dem Kurator und Experten für die Klimt-Ära sowie für die Wiener Moderne, Franz Smola, können wir im sisterMAG etwas tiefer eintauchen in die mosaikhaften, goldenen Bildwelten des österreichischen Künstlers Gustav Klimt und mehr über sein Œuvre erfahren…

1. Was ist bezeichnend für Gustav Klimt und sein künstlerisches Werk?

Klimt gehört zu jener Generation von Malern, die an der Schwelle der Moderne stand. Einerseits erfolgte seine Ausbildung noch im Geist des späten Historismus, andererseits setzte er sich als Meister des Jugendstils und des Symbolismus auch mit den Neuerungen seiner Zeit auseinander. Klimt scheute dabei vor Tabubrüchen nicht zurück, etwa indem er nicht selten provokante Darstellungen von nackten Frauen schuf. Auch die damals höchst aktuellen Tendenzen des Pointillismus flossen in seine zahlreichen Landschaftsdarstellungen ein. Klimts spezielle Bedeutung für die Kunstgeschichte liegt darin, dass in seinem Werk das Ornament eine herausragende Rolle spielt. Vor allem in vielen seiner Porträts verbindet sich eine bereits hin zur Abstraktion weisende Ornamentik mit einer phänomenalen Porträtmalerei. Einzigartiges Beispiel dafür ist etwa das berühmte Bildnis der Adele Bloch-Bauer, die »Goldene Adele«.

2. Seit wann befindet sich »Der Kuss« im Belvedere, und wie ist das Werk in seinen Besitz gekommen? 

Das Bild kam bereits unmittelbar nach seiner Vollendung 1908 in die Sammlung des Belvedere, das damals noch »Moderne Galerie« hieß, und zwar als Ankauf durch das K. u. K. Kunstministerium. Es stellt einen der frühesten und wichtigsten Kunstankäufe von Klimts Werken durch die öffentliche Hand dar. Noch während der »Kunstschau Wien« im Sommer 1908, auf der das Bild das erste Mal zu sehen war, wurde es um 25 000 Kronen angekauft. Das entspricht heute umgerechnet 150/200 Euro. Auch wenn die Preise, die heute Gemälde von Klimt erzielen, sich vermutlich verzehnfacht haben, war das für damalige Verhältnisse doch auch eine gewaltige Summe, wenn man bedenkt, dass etwa der durchschnittliche Jahresverdienst eines Volksschullehrers nur rund 1 200 Kronen betrug. Und um 40 000 Kronen konnte man damals bereits eine stattliche Villa erwerben – die gesamte Einrichtung inbegriffen. Für Damenporträts aus der Hand des Meisters mussten die Auftraggeber rund 8 000 bis 10 000 Kronen bezahlen. Klimt zählte somit zu den bestverdienenden Künstlern seiner Zeit.

3. Wie lässt sich die Kunstperiode des Jugendstils beschreiben?

Unter Jugendstil versteht man eine Stilrichtung, die in Europa und den USA um 1900 tonangebend war, vor allem in der bildenden Kunst, in der angewandten Kunst und in der Architektur. Die Vertreter des Jugendstils kritisierten den traditionellen Akademismus und die Kunst des Historismus und strebten eine neue gesamtkulturelle Lebens- und Umweltgestaltung an. Auffällig ist im Jugendstil eine starke Neigung zu geschwungenen Formen und floralen Elementen, die vor allem das Kunstgewerbe, aber auch Malerei und Skulptur prägte. Künstlerische Zentren des Jugendstils waren Paris, Nancy, Brüssel, Barcelona, Budapest, Helsinki, München, Darmstadt, Wien und Glasgow; in letzteren beiden Städten waren allerdings nicht florale Elemente, sondern vielmehr geometrisch-orthogonale Formen vorherrschend, was vor allem die Wiener Variante des Jugendstils so besonders macht. 

4. Welche Bedeutung hatte das Schaffen Klimts für die Kunstszene in Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts? 

Zweifellos zählte Klimt bereits zu Lebzeiten zu den bekanntesten Künstlern der Stadt. Seine Werke, die zwar oft polarisierten und gelegentlich auch Anlass zu heftigen Protesten, ja sogar Skandalen innerhalb der medialen Öffentlichkeit Wiens am Beginn des 20. Jahrhundert führten, wurden generell sehr geschätzt und bewundert. Zudem hatte Klimt, obgleich er persönlich eher ein zurückgezogener und öffentlichkeitsscheuer Mensch war, stets wichtige Positionen im Kunstleben der Stadt inne. So war er der Gründungspräsident der 1897 ins Leben gerufenen Secession, einer Künstlergruppe, die die fortschrittlichsten und talentiertesten Kräfte des Landes vereinte. 1905 trat er jedoch aufgrund künstlerischer Unstimmigkeiten gemeinsam mit einigen weiteren Mitstreitern aus der Secession aus und gründete seine eigene Künstlergruppe, die sich zunächst Klimt-Gruppe nannte und später den Namen »Bund österreichischer Künstler – Kunstschau« erhielt, benannt nach den ab 1908 regelmäßig durchgeführten Ausstellungen. Sein Werk galt weithin als viel bewundertes Exempel der Kunst des Jugendstils, selbst in den Jahren um den Ersten Weltkrieg, als der Jugendstil immer mehr in die Defensive geriet, nachdem sich die neue Kunstrichtung des Expressionismus durchzusetzen begann.

5. Was gibt es für die Besucher*innen neben Klimt noch zu sehen im Belvedere?

Die Sammlung der Österreichischen Galerie Belvedere umfasst ca. 15 000 Werke, mehrheitlich Gemälde und Skulpturen. Eine Auswahl von rund 420 Werken, die vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert datieren, sind in der Schausammlung im Oberen Belvedere zu sehen. Neben der weltgrößten Sammlung von Gemälden von Gustav Klimt ragen unter den Highlights die Bilder von Egon Schiele und Oskar Kokoschka heraus. Auch Künstlerinnen der Wiener Moderne sind im Museum zu finden, etwa Helene Funke oder Elena Luksch-Makowsky. Ihre Werke sind im Bereich der klassischen Moderne in einen prominenten internationalen Kontext eingebettet, beispielsweise herausragende Gemälde von Claude Monet, Edvard Munch oder Vincent van Gogh. Highlights der Sammlung des 19. Jahrhunderts sind die monumentale Darstellung von Napoleon, gemalt von Jacques-Louis David, sowie die österreichweit größte Sammlung von Vertretern des sogenannten Biedermeier. Innerhalb der Werke des 18. Jahrhunderts erfreuen sich die »Charakterköpfe« des Bildhauers Franz Xaver Messerschmidt beim Publikum besonderer Beliebtheit.