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Der Turban – Von den Badenden und den Odalisken in Ingres Werken

Autorin Julia Laukert erforscht in der neuen sisterMAG Ausgabe den Turban als Motiv in den Werken des französischen Malers Jean-Auguste-Dominique Ingres (1780-1867). Aus seiner Hand stammen die wohl bekanntesten nackten Frauendarstellungen in der Kunstgeschichte. Was sie vereint: Der Turban als einziges Kleidungsstück.

  • Text: Julia Laukert M.A.

Der Turban

Ein Turban betont das Haupt, assoziiert Geheimnisvolles und erregt Aufmerksamkeit. Die gebundene Kopfbedeckung gehört in manchen Kulturen zum Ensemble einer religiösen Kleiderordnung. Woanders wird ein turbanartiges Tuch als avantgardistisches Mode-Accessoire getragen. In Gemälden oder Fotografien erzeugt ein Porträt mit Turban meist eine besondere Stimmung.

Französische Maler des 19. Jahrhunderts wie JEAN-AUGUSTE-DOMINIQUE INGRES (1780 – 1867) bekleideten ihre Protagonisten gerne mit diesem Kopfschmuck, um ihren Bilderwelten einen »EXOTISCHEN« Ausdruck zu verleihen.

Ingres

Aus INGRES Künstlerhand stammen die wohl berühmtesten nackten Frauen der Kunstgeschichte: DIE BADENDEN und die ODALISKEN. Das einzige Kleidungsstück, das sie tragen, ist ein TURBAN: mal fest um die Haare gebunden, mal locker hinabgleitend oder majestätisch geschmückt. Betrachtet man Ingres Kopftücher im Zusammenhang mit der Körperhaltung der Modelle, so erkennt man eine – neben der offensichtlichen sinnlichen Nacktheit der Modelle –zusätzliche Akzentuierung der erotischen Botschaften in seinen Werken.

La Baigneuse

Im Bild LA BAIGNEUSE von 1807 trägt die junge Frau einen solchen Kopfschmuck. In ihrer schamhaften Wegdrehung scheint dieser von den dunklen Haaren zu gleiten. Das sich lösende Tuch initiiert einen Moment der Entblößung, der sich am nackten Busen fortsetzt. Durch den erschrockenen Ausdruck im Gesicht der Frau wird der Betrachter automatisch zum ertappten Voyeur.

Verschlossen, jedoch nicht weniger sinnlich, erscheint La Grande Baigneuse (1808, auch als Die Badende von Valpinçon bekannt). Die intime Bildsprache des Gemäldes wird nicht nur von dem mit Tüchern abgetrennten Raum, der prominenten Rückenansicht und der verschlossenen Körperhaltung der Dargestellten, sondern auch durch das straff gebundene Kopftuch betont.

La Grande Odalisque

LA GRANDE ODALISQUE, die der berühmte Vertreter des Klassizismus im Jahre 1814 schuf, wird der Turban auf dem Kopf der Frau im Vergleich zu den zwei vorhergehenden Werken feierlich inszeniert und mit kostbarem Haarschmuck aus Perlen ergänzt. Hier wird der Blick verführerisch und kurvenreich entlang des nackten Rückens nach unten zu weiteren Accessoires geführt: zum Fächer aus Pfauenfedern, zu faltenreichen und opulenten Stoffen, zur Opiumpfeife und dem Räuchergefäß am rechten Bildrand. Der Turban der Odaliske gibt die feierliche und selbstbewusste Atmosphäre der Szenerie wieder.

Auffällig in den Gemälden ist, dass es sich immer um ein ähnliches Tuch handelt: ein heller, gestreifter Stoff, mal mit, mal ohne Fransen und Ornament. Selbiges taucht bei seinem großen Vorbild RAFFAEL (eigentlich Raffaello Santi, 1483 – 1520) auf. Der italienische Hochrenaissance-Maler setze dieselbe Kopfbedeckung seiner Geliebten LA FORNARINA 1518/1520 auf, die die Odaliske von Ingres dreihundert Jahre später trägt. Wie die große Konkubine erscheint die Bäckerstocher in Raffaels Gemälde selbstbewusst verführerisch.

Ihr Kopftuch ist in selber Manier gebunden wie das der Odaliske. Kein Wunder, denn Ingres kannte das Werk und die Lebensgeschichte seines Idols. So fantasierte er mit beiden im Bild Raffaello e la Fornarina von 1814 im Atelier des italienischen Meisters. Im Hintergrund dieser Malerei erkennt man im Übrigen die berühmte Madonna della Sedia (1512 – 1514) von Raffael, deren Kopf ein ähnliches Tuch bedeckt. Raffael orientierte sich hierfür an der gängigen Mode des Balzo: Eine turbanartige Kopfbedeckung, die sowohl von Frauen als auch von Männern der wohlhabenden Schicht in Italien getragen wurde.

Auch in Ingres Werken spielt die Mode seiner Zeit eine wichtige Rolle. Neben Pfauenfedern, Pluderhosen, transparenten Stoffen oder Räuchergefäßen zählten Turbane zum Sortiment des im 19. Jahrhunderts aufkommenden Trends »À LA TURQUE«. Die »TURQUERIE« bezeichnet pittoreske »ORIENTBILDER« mit Darstellungen von Haremsfrauen, Sklaven, Reitern oder Araberpferden. Künstler wie JEAN-AUGUSTE-DOMINIQUE INGRES, JEAN-LÉON GÉRÔME und EUGÈNE DELACROIX verfielen diesem Hype und nutzen die aufgezählten Motive, um eine arabeske Bildsprache zu kreieren.

Das Interesse am »Orient« ist zurückzuführen auf Napoléons Ägyptenfeldzug (1798 – 1801), die Eroberung Algeriens durch französische Truppen ab 1830 sowie auf Reiseberichte und literarische Schilderungen wie die Geschichte aus Tausendundeinernacht. Ingres zum Beispiel entwickelte seine Faszination für das »Exotische« nur aus Erzählungen. Er selbst bereiste kein arabisches Land.

Wie sehr Ingres der Gedanke an einen Harem beflügelte, zeigt das Gemälde Le bain turc, das er mit zweiundachtzig im Jahr 1862 malte.

Le Bain Turc

In diesem Meisterwerk trifft man auf die bereits bekannte Frau mit der nackten Rückenansicht und dem festgezurrten Kopftuch – aber auch auf eine Vielzahl an weiteren Kopfbedeckungen auf nackten Frauen. Das rundförmige Gemälde (tondo), das einem Schlüsselloch gleicht, offenbart Ingres übersexualisierte Vorstellung von einem Hamam. Die ORIENT-BILDER, in denen sich hellhäutige Damen mit Turbanen auf Böden oder gepolsterten Möbeln wälzen, sind reine Fantasiebilder. Sie bildeten eine »Alternative« zu den altbekannten, nackten Mythologiefiguren, um den Frauenkörper ein weiteres Mal legitim und in künstlerischer Hülle zur Schau zu stellen. Der orientalische Rahmen, der mit islamischen Accessoires ausgeschmückt wird und in dem die Fantasievorstellungen stattfinden, zeigt zum einen den eurozentrischen Blick auf den südlichen und östlichen Mittelmeerraum des 19. Jahrhunderts. Zum anderen wird in den Werken dieser Zeit auch eine starke Sehnsucht nach Ausbruch aus alltäglichen und gesellschaftlichen Zwängen sowie der vorherrschenden, prüden Ehemoral erkennbar.