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Das Goldene Zeitalter der Niederlande

In keiner anderen Region Europas führten ökonomische und gesellschaftliche Verhältnisse zu einer solchen Bilderflut wie in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts. Selbst Bauern konnten zu Sammlern werden, indes manche heute weltbekannte Künstler nebenbei ein Wirtshaus betrieben oder mit Tulpen handeln mussten. Kunsthistoriker Robert Eberhardt stellt dieses besondere Jahrhundert vor.

Das Goldene Zeitalter der Niederlande

Wie ein ganzes Jahrhundert kunstverrückt wurde

In keiner anderen Region Europas führten ökonomische und gesellschaftliche Verhältnisse zu einer solchen Bilderflut wie in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts. Selbst Bauern konnten zu Sammlern werden, indes manche heute weltbekannten Künstler nebenbei ein Wirtshaus betrieben oder mit Tulpen handeln mussten.

Die holländische Malerei des Goldenen Zeitalters im Überblick

Jede nationale Kunstgeschichtsschreibung hat eine bestimmte Epoche zur »Goldenen« gekürt, in der besonders viele und meisterhafte Kunstwerke entstanden, oder auf die sich nachfolgende Generationen sehr einfach beziehen konnten. Mögen es in Frankreich die goldenen Jahrzehnte des Sonnenkönigs Ludwig XIV. sein, in Deutschland die Weimarer Klassik oder in Italien die großen Renaissance-Jahre mit Leonardo, Michelangelo und Raffael: in den Niederlanden ist es ohne Frage die barocke Epoche. Im 17. Jahrhundert verdichtete sich in dem flachen, kleinen Landstrich weltpolitische Macht durch die Seefahrt, wissenschaftliche Innovation, ein liberaler Geist und religiöse Toleranz mit Kapital und einem Sinn für Kunst. Die Künstler produzierten für eine Gesellschaft, die immer wohlhabender wurde und Bilder in nie gekannter Menge nachfragte. Auch wenn die heutige akademische Kunstgeschichte ungern in den engen Grenzen (zum Teil erst später) national definierter Kulturräume denkt, darf das Phänomen des „Goldenen Zeitalters der Niederlande“ beruhigt als ein besonderes Konglomerat aus Ideen und Bild, Geld und Kunst gesehen werden.

In den großen Gemäldegalerien folgen die meisten von uns Besuchern und Besucherinnen den vorgezeichneten Werken zu den Meisterwerken (und damit freilich einem noch immer recht altertümlich gedachten hierarchischen Kunstverständnis von wenigen fern jeder Kategorie stehenden Spitzenarbeiten und vielen dazwischen hängenden von niederer Bedeutung). Bekannte Namen, die zu überepochalen Marken wurden, ziehen mehr Interessenten an, als dass es ästhetische Eigenschaften der Bilder selbst schaffen würden – eine Tatsache, die durch Blockbuster-Ausstellungen und eine kunstpädagogische Engführung auf wenige Spitzenkünstler für Alte Meister wie zeitgenössische Kunst gilt. Jeder hat diese Erfahrung sicherlich schon gemacht: auf dem Weg zu weltbekannten Gemälden bleibt man plötzlich stehen und die Blicke werden angezogen, etwa von einem Blumenstillleben mit kleinen, täuschend echt aussehenden Insekten, einem Stillleben mit Austern und angeschälten Zitronen oder Porträts von schwarz gekleideten Personen vor dunklem Hintergrund, deren weißen Spitzenkragen edel leuchten. Diese Bilder überzeugen uns mit ihrer handwerklichen Fertigkeit, optimaler Bildkomposition und den unerklärlichen Gesetzmäßigkeiten überzeitlicher Malerei, weil sie Artefakte dieser Hochzeit der Kunst sind, dem Goldenen Zeitalter der Niederlande.

Weit gefasst versteht man unter dieser Begrifflichkeit das gesamte 17. Jahrhundert. Wirtschaft und Kunstsinn kamen damals in den Niederlanden zusammen. Um 1650 wurden etwa 70.000 Gemälde pro Jahr gemalt! Allein diese Zahl spricht von dem  damaligen großen Interesse für Kunst. Denn dies hatte es vorher (und auch lange nachher) nicht gegeben: dass sich breite Bevölkerungsschichten für Kunst im Allgemeinen und Malerei im Speziellen interessieren und aufgrund des generellen Wohlstandes auch Werke kaufen konnten. Kunst war in den Niederlanden jener Jahrzehnte kein Eliteprojekt, sondern weit verbreitet. Kleine Kaufleute, Offiziere, Handwerker, Beamte – alle wollten ihren sozialen Aufstieg durch Kunst markieren. Selbst Bauern zeigten ihren sozialen Status und kauften dafür besonders prachtvolle Truhen, Drechselarbeiten und kunstvolle Betten. Dadurch steigerte sich auch das Kunstverständnis, was die Bezeichnung eines »Goldenen Zeitalters« völlig berechtigt erscheinen lässt.

Viele Ateliers wurden als Werkstätten betrieben und Maler spezialisierten sich auf bestimmte Gattungen: Porträts, Historienbilder oder Stillleben, maritime Motive und vieles mehr. Auch bildeten sich neue Bildformen überhaupt erst in dieser Zeit aus wie etwa das Sittengemälde oder die Landschaftsmalerei. Die Käufer wünschten ihr privates Umfeld in den Bildern wieder zu erkennen, möglichst schön und vorteilhaft. Jeder, der etwas auf sich hielt, ließ sich und seine Familie porträtieren. Nur eine Gattung fand wenig Interesse: traditionell, kirchliche Bildthemen, denn die Reformation und der Bürgerstolz der reichen Niederländer führten zur Ablehnung dieser eher katholisch konnotierten Motivik.

Besonders beliebt waren Stillleben, die Elemente der vergänglichen Natur (zum Beispiel faulendes Obst) oder symbolische Gegenstände des fragilen Lebens oder des Todes (ausgelöschte Kerzen) zeigten, damit dem barocken Motto des »memento mori« folgten und an das unausweichliche Ende allen Reichtums und aller Macht gemahnten: den Tod. Es sind zu viele bekannte Maler jener Epoche, um diese hier auch nur im Ansatz vorzustellen. Wer einen Eindruck vom »Goldenen Zeitalter« bekommen und sich durch seinen Blick in diese Zeit zurückversetzen möchte (und das gelingt bei einer Bildbetrachtung mit offenen Augen und Gefühlen doch tatsächlich immer wieder), der sollte in den Museen auf bestimmte Künstler achten, die bei ihren speziellen Bildthemen ewige Meisterschaft erreichten und Weltkunst schufen: Willem Claesz Heda und Willem Kalf etwa beim Stillleben, Jan van Goyen und Jacob van Ruisdael in der Landschaftsmalerei, Jan Steen bei Bauernsatiren, Frans Hals bei Porträts, Emanuel de Witt in der Architekturmalerei, Gerard ter Borch beim Genrebild, Willem van de Velde bei Schiff-Bildern, Jan van Huysum bei Blumen Pieter Claesz bei Silberzeug oder Abraham van Beijeren bei Austern und Hummer.

Diese immense Nachfrage nach Gemälden führte dazu, dass die Malergilden kein zierendes Beiwerk der Stadtgesellschaften waren, sondern elementar wichtig für die städtische Ökonomie. Bereits im 16. Jahrhundert gab es in Antwerpen mehr Meister für Malerei und Graphik als Fleischer und Bäcker zusammen, nämlich etwa 300. Geradezu »am Fließband« verließen Kunstwerke die Werkstätten in den Kunstmetropolen Haarlem, Delft, Utrecht, Leiden und Den Haag. Historiker haben sich bemüht diese »Bilderschwemme« quantitativ zu fassen: jeder Einwohner besaß damals 2,5 Bilder, etwa 100 Bilder schuf jeder der rund 700 niederländischen Maler im Jahr im Durchschnitt, so dass über die Jahrzehnte mehrere Millionen Bilder (!) hergestellt wurden, von denen in heutigen öffentlichen und privaten Sammlungen weniger als zehn Prozent erhalten sind.

Die Preise für die Bilder waren wegen der Bilderflut jedoch meist niedrig. Ein Handwerker konnte deshalb durchaus 60 Bilder in seine Stube hängen (die heute ein eigenes Museum erlauben würden), aber viele Künstler mussten wegen dieser Marktlage darben, beziehungsweise noch andere Berufe ausüben: Jan Steen war etwa Gastwirt (hier konnte er die Vorlagen für seine Gesellschaftsporträts finden), Jan van Goyen handelte mit Tulpen, auch gab es Steuereintreiber, Ärzte und Tüncher unter der Riege der heute in den größten Museen der Welt hängenden Künstler. Breit aufgestellte Künstler wie Rembrandt oder Jan Vermeer konnten zwar von ihren Aufträgen gut leben, wurden in ihrer Meisterhaftigkeit aber damals nur von wenigen erkannt… Am profitabelsten liefen die Geschäfte jener Künstler, die nicht den weiten Markt der neuen Käufer bedienten, sondern weiterhin für aristokratische Kreise, für die Statthalter oder für feudale und klerikale Auftraggeber in Flandern arbeiteten oder gar als Hofmaler in Italien, Frankreich und Spanien, etwa Gerard Dou oder Peter Paul Rubens.

Das wichtigste Museum für die Kunst des Goldenen Zeitalters ist heute das Rijksmuseum in Amsterdam, wenngleich viele der genannten Künstler in allen universalen Sammlungen vertreten sind.