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Kunstansätze in Venedig und Florenz

Venedig und Florenz sind bedeutende Kunststädte, besonders zur Zeit der Hochrenaissance. So nah und doch so verschieden: Autorin Julia Laukert erklärt in der neuesten Ausgabe des sisterMAG die verschiedenen Kunstansätze in Venedig und Florenz, die die Künstler in den Städten verfolgten.

  • Text: Julia Laukert

So nah und doch so verschieden 

Kunstansätze in Venedig und Florenz zur Zeit der Hochrenaissance

Venedig und Florenz sind für die Entstehung der Renaissance (frz. Wiedergeburt) bedeutend. Knapp 260 km voneinander entfernt, prägten beide Städte nicht nur den Handel in Italien, sondern auch die Kunst. In Florenz wird das Bankwesen durch die Medici – die einflussreichste Mäzenenfamilie aller Zeiten – eingeführt. Geographisch optimal für den Handel zwischen Westeuropa und dem östlichen Mittelmeer gelegen, ist Venedig.

In der Epoche der Renaissance (spätes 14. Jahrhundert bis Ende des 16. Jahrhunderts) entfalten sich nicht nur die Handelsgeschäfte, sondern auch Kunstschaffende: Architekten, Maler und Bildhauer gewinnen – nicht zuletzt durch ihre Förderer – an Selbstbewusstsein und entwickeln ihren individuellen und unverwechselbaren Stil. War ihre Arbeit in mittelalterlicher Tradition zu den gering geschätzten handwerklichen Tätigkeiten gezählt worden, erfuhr sie in der Renaissance einen hohen Stellenwert. Während die Künstler im Mittelalter noch anonym agierten, setzten sie nun ihre Signaturen. Mit dem Interesse an Bildung, wuchs das Interesse an bildender Kunst und damit auch der Anspruch an die Künstler. Stilbeschreibungen, damalige Meinungen und biografische Fakten haben Kunstschriftsteller und – theoretiker wie Giorgio Vasari (1511 – 1574) verfasst.

disegno vs. colorito

Während die Künstler auf dem Festland ihre Farben von Apothekern bezogen, gab es in Venedig bereits Farbenhändler. Die virtuose Farbzusammensetzung und Farbenpracht ist stilprägend für venezianische Malerei. Im Vergleich zu seinen Kollegen in Florenz oder Rom arbeitete der venezianische Maler Tizian (1488/90 -1576) nicht nur farbkräftig, sondern in einer freieren Manier ohne Vorzeichnung. Tizian belebte vor allem in seinen späteren Werken seine Leinwände durch dynamische „Malskizzen“. Dies brachte ihm kritische Stimmen seitens der zu dieser Zeit aufkommenden Kunsttheorie aus Florenz:  Vasari warf Tizian einen Mangel an „disegno“, an geistigem Können vor.

In der Renaissance führte die Auseinandersetzung über den Wert der Zeichnung „disegno“ (ital., Zeichnung) und der Malerei „colorito (ital., Farbigkeit) zu verschiedenen Meinungen bei Künstlern und Theoretikern. Es gab die florentinische Auffassung, die Zeichnung sei der eigentliche Entwurf, der in einem Gemälde umgesetzt wird und der das „Können“ eines Künstlers zeigt. Eine „disegno“ sei die ursprüngliche künstlerische Idee, die jedem Kunstwerk zugrunde liege. In diesem Sinne sind ihr Architektur, Skulptur und Malerei unterlegen. Für die Venezianer war es jedoch die Farbe, die das Wesentliche der Malerei ausmache, da erst sie ein Werk beleben  konnte. Diesen beiden Anschauungen zufolge, stand die dynamische Farbmalerei der Venezianer dem Kunstideal von Zeichnung, Perspektive und Proportion der Florentiner gegenüber.

Tizians Stil ist leidenschaftlich, dynamisch und mit schnellen Pinselstrichen gesetzt. Sicherlich konnte er ebenso wie viele seiner zeitgenössischen Maler meisterhaft zeichnen – seine Prioritäten lagen jedoch woanders. Trotz Vasaris Kritik beeinflusste Tizian dennoch fast 70 Jahre lang die Malerei in Venedig. Er saß schließlich an der Farbquelle, die ihm seine Stadt bot. Als Nachfolger Tizians vereint Jacopo Tintoretto (1518 – 1594) gekonnt die Zeichnung und die Dynamik des Farbauftrages miteinander.

Venedig – ganz anders

Die Handelsstadt mit ihren Künstlern wurde im Gegensatz zu Rom oder Florenz etwas weniger von den kirchlichen Institutionen tangiert. Hier kamen Menschen unterschiedlicher Religionen und Herkünfte zusammen. Noch heute sieht man in der Lagunenstadt die osmanischen Einflüsse an architektonischen Exempeln.

Anderswo herrschten Päpste, Kaiser oder Könige. In Venedig die Dogen – oberste Inhaber und Repräsentanten der ausführenden Gewalt in Venedig von 697 bis 1797. Sie wurden  von mehreren Instanzen kontrolliert, um ein Machtmonopol zu verhindern und eine ausgewogene Gewaltenteilung der Republik zu gewährleisten.

Venedigs Unabhängigkeit ermöglichte es den Künstlern, während des 16. Jahrhunderts ein gewisses Selbstbewusstsein zu entwickeln. Die Venezianer verstanden es, den Bildaufbau durch Licht zu bestimmen. Sie perfektionierten die Lichtspiegelung, sie setzten Figuren in landschaftliche Szenerien und wurden Vorbilder für ihre Nachfolger im Barock. Künstler aus anderen Ländern reisten nach Venedig, um sich auszutauschen und die beeindruckenden Werke der venezianischen Meister mit ihren bewegten Pinselstrichen, ihrer leuchtenden Farbigkeit, landschaftlichen Szenerien und Kontrasten zu bewundern.