Follow my blog with Bloglovin

Interview mit FRAC über experimentelle Kunst in Spanien

Wir bleiben räumlich in Frankreich, die Kunst aber kommt für sisterMAG N°45 aus Spanien. Das FRAC Centre-Val de Loire in Orléans zeigt aktuell die Ausstellung »Madrid, October 68. The Spanish experimental scene«, die sich mit experimenteller Kunst aus Spanien der 1960er und 1970er Jahre auseinandersetzt. Unser Titel-Kunstwerk für diese Ausgabe des sisterMAG »sans titre« von Abel Martín, ein computergenerierter Siebdruck von 1974, ist in dieser Ausstellung im Original zu bestaunen. Caro vom sisterMAG-Team konnte in einem Interview mit dem Direktor des Hauses und Kurator der Ausstellung, Abdelkader Damani, etwas mehr über die zeitgenössische Institution, die Ausstellung und die künstlerische Arbeit von Abel Martín erfahren. Lest hier das ganze Interview!

In dieser Ausgabe bleiben wir räumlich in Frankreich, genauer gesagt in Orléans, wenden uns nun aber künstlerisch dem Raum Spanien zu. Das FRAC Centre-Val de Loire, eine Institution, die zeitgenössische Kunst mit Architektur verbindet, zeigt derzeit eine Ausstellung, die sich der experimentellen Kunstszene in Spanien der 60er und 70er Jahre annimmt. Unser Titelwerk »sans titre« von Abel Martín ist in dieser Schau zu bestaunen.

Ein Interview mit dem Direktor des Hauses und Kurator der Ausstellung, Abdelkader Damani, gibt euch einen Einblick in die Arbeit des Museums und Hintergründe zu der Ausstellung »Madrid, October 68. The Spanish experimental scene«.

Zuerst eine allgemeine Frage: Erzählen Sie uns ein bisschen mehr über das FRAC Centre-Val de Loire, die Mission und die Ausstellungen. Wann wurde es gegründet und weshalb?

 

FRAC wurde 1982 gegründet, als Teil der Dezentralisierungspolitik in Frankreich. Ein Kulturausschuss der staatlichen und regionalen Räte implementierte den Fonds Régional d’Art Contemporain (regionaler Fonds für gegenwärtige Kunst) in jeder französischen Region. Diese Initiative sollte es jeder Region ermöglichen, einen Repräsentanten der gegenwärtigen Kunst auf nationaler und internationaler Ebene zu unterstützen.

Die Mission von FRAC besteht aus folgenden Elementen: eine Sammlung erstellen, die darin enthaltenen Werke an die Außenwelt senden (Ausstellungen und Leihwerke), das Schaffen von Kunst unterstützen und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wecken.

1991 hat sich der FRAC Centre-Val de Loire für eine untypische Sammlung entschieden und zeitgenössische Kunst mit experimenteller Architektur von 1950 bis heute verbunden. Mit internationalen Dimension enthält diese Kollektion wegweisende Projekte der architektonischen Avantgarde der 1960er und 1970er Jahre – auch unter dem Begriff »radikale Architektur« bekannt.

Heute beinhaltet die Sammlung des FRAC Centre-Val de Loire über 1.000 Kunstwerke, 900 Architekturmodelle und über 17.000 Zeichnungen sowie viele Kollektionen von Architekten. Sie repräsentiert über 231 Architekten und 212 Künstler. In ihrer Gesamtheit bildet die Kollektion ein einzigartiges Erbe experimenteller Architektur der letzten 50 Jahre in direkter Verbindung zu künstlerischem Schaffen – sie ist mit eine der besten Architektursammlungen der Welt (neben dem Centre Pompidou-MNAM in Paris, dem MoMA in New York, dem CCA in Montreal und dem Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt).

Das FRAC Centre-Val de Loire ist auf drei Achsen aufgebaut: eine Nähe zu zeitgenössischer Kunst und dem Publikum in der Region Centre-Val de Loire zu schaffen, eine Sammlung moderner Kunst aufzubauen, die, im Fall des FRAC, die Beziehung zwischen Kunst und Architektur betrachtet, sowie die Landschaft architektonischer Innovation seit 1950 zu prägen. Die dritte Achse beschäftigt sich mit den Zusammenhängen europäischer Geo-Geschichte, um Texte über die Kunstgeschichte Afrikas, Lateinamerikas und Asiens neu schreiben zu können.

Können Sie uns etwas mehr über die jetzige Ausstellung »Madrid, October 68« erzählen? Was inspiriert die Ausstellung?

 

Die Sammlung des FRAC Centre-Val de Loire ist tief in den 1960er und 1970er Jahren verwurzelt und betrifft die Territorien Italien, Österreich, Vereinigtes Königreich und Frankreich. Die Szene stand an den Seitenlinien der Geschichtsschreibung wegen ihres Effekts auf die politische Situation in Spanien und die Franco-Diktatur zwischen 1939 und 1977, die künstlerisches Zusammentreffen mit der innovativen Szenen in der Welt ignoriert hat.

Ein Fokus auf Spanien fehlt in dieser europäischen Landschaft. 2015 haben wir im FRAC eine tiefgehende Studie über spanische Künstler und Architekten durchgeführt. Mit der Hilfe von Mónica García Martínez, Architektin und Professorin an der Polytechnischen Universität Valencia, haben wir versucht, ihre Arbeit mit den Prinzipien der Radikalität, der experimentellen Dimension und der prospektiven Einsicht zu verbinden, die unsere Sammlung beleben.

Zwei Ausstellungen sind aus dieser Recherche entstanden: die erste während der Orleans Architektur Biennale 2017, die zwei Generationen von Künstlern aus den 1960ern und den 2000ern zusammenbrachte, und die zweite ist diese Ausstellung um das Centre de Calcul in Madrid.

Was unterscheidet denn die spanische experimentelle Kunst von anderen im Jahr 1968?

 

Nochmals: Die politische Situation Spaniens unter dem Franco-Regime während dieser Zeit hat freien künstlerischen Ausdruck unmöglich gemacht. In diesem Kontext lag die Innovation des Computer-Zentrums in den Möglichkeiten seines Leiters, damals Herr Florentino Briones, um das Zentrum allen Disziplinen, auch außerhalb grundlegender und angewandter Recherche, zu öffnen.

Die Seminare wurden zu Orten der Freiheit und des Experiments. Die Maschine, ein von IBM gespendeter Computer, war in ihren Anfängen, und die Arbeit um die Kapazitäten der Kalkulationen des Computers haben sowohl die Kreation (auf systematische Art und Weise) als auch das analytische Verstehen der Möglichkeiten eines solchen Computers vorangetrieben.

Es sollte aber nicht vergessen werden, dass jedes Bild, jede Skulptur und Zeichnung, jedes Video und jede Installation (auch kombinierter Disziplinen), die aus dem langen Prozess eines Künstlers entstehen, nichts als einen Moment der Recherche dieses Künstlers darstellt.

Wie ist die Ausstellung thematisch strukturiert? Wie wurde diese Entscheidung getroffen? Wie beeinflusst dies die Wahrnehmung der Besucher in Bezug auf die Arbeiten und das Verständnis der Bewegung?

 

Die Ausstellung ist in drei Kapitel aufgeteilt. Die erste Halle stellt die Ursprünge des Abenteuers vor und versucht, die Arbeit des Dichters Ignacio Gómez de Liaño darzustellen. Das zweite Kapitel ist entworfen, um zwei parallele Wege zu erkunden: automatische Generierung architektonischer Räume auf der einen Seite, eine Analyse und automatische Generierung plastischer Formen auf der anderen Seite. Der Abschluss der Ausstellung ist einer Arbeit von José Luis Alexanco mit MOUVNT (1971) und Solitude Interrumpida mit Luis de Pablo gewidmet.

Abschließend: Das Kunstwerk »sans titre « (Ohne Titel) von Abel Martín von 1974 ist der thematische Anlass für die Februar-Ausgabe des sisterMAG. Könnten Sie uns etwas über den Künstler und seine Arbeit erzählen? Weshalb ist er Teil der Ausstellung? Welche Rolle spielt seine Arbeit in der Szene, und was macht ihn und seine Arbeit besonders?

 

Abel Martín ist einer der ersten Künstler des Siebdrucks in Spanien, ein Handwerk, das er in der Werkstatt von Wilfredo Arcay im Paris der 1950er Jahre lernte. Abel Martín hat Siebdrucke für viele Künstler hergestellt, vor allen Dingen aber Eusebio Sempere.

Ende der 1960er Jahre hat er am Seminar für Analyse und automatische Erstellung plastischer Formen im Computer-Zentrum teilgenommen, wo er an Serigrafie und Lithografie arbeitete.

Kurzbiografie Abdelkader Damani:

Direktor des Frac Centre-Val de Loire

Abdelkader Damani leitet seit 2015 das Frac Centre-Val de Loire. Er hat in Oran (Algerien) Architektur studiert. Nach seiner Ankunft in Frankreich im Jahr 1993 studierte er Kunstgeschichte und Philosophie an den Universitäten Lyon 2 und Lyon 3. Nach seiner Tätigkeit für Kunst- und Architekturprojekte im »Centre Culturel de Rencontre« von La Tourette (eine Architektur von Le Corbusier), führt er von 2007 bis 2015 das Programm »VEDUTA« auf der Biennale für zeitgenössische Kunst in Lyon. 2014 war er Co-Kurator der Dakar Bienniale (Our Common Future, DAK’ART 2014). Als Direktor des Frac Centre-Val de Loire führt er 2017 die erste Biennale d’Architecture d’Orleans durch. 2019 ist er Generalkurator der ersten Biennale von Rabat.