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Die Entwicklung des Regenschirms

Einst bestand er aus Holz und wog fünf Kilo, inzwischen passt er in jede Handtasche: Der Regenschirm. Warum Regenschirme in England lange abgelehnt wurden und was der Erste Weltkrieg mit der Entstehung des legendären Knirps zu tun hat, erfahrt ihr in unserer kleinen Geschichtsstunde in dieser Ausgabe vom sisterMAG mit Alexander Kords.

Wie beruhigend es doch ist, den Regen von drinnen zu erleben! Sanft plätschert er gegen die Scheibe und läuft in Tropfen langsam am Glas hinunter. Unangenehm wird es nur, wenn wir bei Regenwetter nach draußen müssen. Klar, man kann immer die Regenjacke anziehen. Aber was, wenn wir unterwegs vom Regen überrascht werden? Dann haben wir hoffentlich einen kleinen praktischen Helfer bei uns: den Regenschirm. Der ist heutzutage meist zusammengefaltet in der Handtasche zu finden. Bis er aber dieses handliche Format erreicht hat, musste der Schirm eine wechselvolle Historie hinter sich bringen.

Unhandlicher Sonnenschutz

Erfunden wurde der Schirm vor etwa 4.000 Jahren in China – und zwar nicht zum Schutz gegen Regen, sondern gegen Sonne. Damals handelte es sich außerdem eher um eine Art Dach, das mehrere Diener über dem Herrscher trugen, um ihm Schatten zu spenden. Mindestens so wichtig wie seine Funktion war seine Wirkung: Nur der höchste Mann im Staat wird vor der Sonne geschützt und wirkt durch den reich geschmückten Schirm noch größer und erhabener. Handlich war das antike Modell aber nicht, bestand es doch aus Bambusstangen, die mit Ölpapier oder Palmblättern bespannt waren. Zwar gab es bald auch Exemplare, die von einer Person getragen werden konnten, schwer waren sie aber immer noch. Von Fernost kam der Schirm erst nach Persien und dann nach Europa. Im Alten Griechenland galt es übrigens als unmännlich, einen Schirm zu benutzen, weshalb nur Frauen und ihre weiblichen Sklaven damit herumliefen. Nur in einer kurzen Phase zwischen 505 und 470 vor Christus waren Schirme auch Teil der Ausstattung reicher Männer.

Praktisch, aber schwer

Es sollte eine Weile dauern, bis Schirme auch als Regenschutz verwendet wurden. Zwar schickte der Abt Alcuin von Tours etwa um 800 ein solches „Schutzdach“, wie er es nannte, an den Bischof Arno von Salzburg. Alltäglich war der Regenschirm dann aber noch lange nicht. Im Mittelalter setzte er sich vor allem deshalb nicht durch, weil er bei Streitigkeiten stets eine Hand buchstäblich außer Gefecht setzte. Erst als der Pariser Kaufmann Jean Marius Anfang des 18. Jahrhunderts einen Regenschirm erfand, der zusammenklappbar war, wurde das praktische Teil langsam alltagstauglich. Allerdings war die Konstruktion aus Holzstäben und den hornartigen Platten von großen Walen, die mit einem wasserabweisenden Stoff bespannt war, mit fünf Kilogramm noch immer ein ziemliches Schwergewicht.

Konkurrenz für Kutscher

Interessanterweise lehnten ausgerechnet die notorisch vom Regen geplagten Engländer den Schirm anfangs ab. Als der Reiseberichterstatter Jonas Hanway um 1750 mit einem Regenschirm aus Paris zurückkam und als einziger Mann in London damit herumlief, erntete er nichts als Spott und Häme. Viel zu sehr waren die Engländer und die Franzosen verfeindet, als dass ein englischer Gentleman unbehelligt mit einer französischen Erfindung durch Londons Straßen flanieren durfte. Vor allem waren es aber die Fahrer von Pferdekutschen, die Hanway anfeindeten. Wenn es regnete, hatten sie eine Art Monopol auf trockenen Transport, weil ihre Kutschen überdacht waren. Hanway und seinen Schirm betrachteten sie daher als geschäftsschädigend, weshalb sie ihn mit Müll bewarfen. Ein Fahrer versuchte einmal sogar, ihn zu überfahren. Bei der Gelegenheit machte sich Hanway das hohe Gewicht seines Schirms zunutze und verprügelte den dreisten Kutscher. Irgendwann erkannten die Engländer dann aber doch, wie unheimlich praktisch so ein Regenschirm gegen permanenten Niederschlag ist. Und dann war es auch noch ein Engländer, der dem Schirm das leichte Gerüst aus Stahl verlieh, das wir bis heute kennen. Samuel Fox hieß der gute Mann, der 1852 für den endgültigen Durchbruch des Regenschirms sorgte. Im Laufe der Zeit entwickelte sich vor allem die Gestaltung des Griffes zu einer regelrechten Kunst. Elfenbein und Silber, Bambus und Leder – es gab kaum ein Material, das nicht dafür verwendet wurde. Noch dazu arbeiteten findige Handwerker Gegenstände wie Uhren, Taschenlampen und Pillendosen in den Griff ein. Wirklich praktisch war dagegen die Entwicklung von Automatikschirmen Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie hatten die bis heute bekannte Funktion, dass sie sich durch das Drücken eines Knopfes von selbst öffneten.

Die Geburt vom Knirps

Dass Regenschirme heute sogar in die Handtasche passen, ist auf gewisse Weise dem Ersten Weltkrieg zu verdanken. In dem wurde nämlich der Solinger Hans Haupt verletzt und war anschließend nicht mehr in der Lage, sowohl seinen Gehstock als auch einen Schirm mit sich zu führen. Also überlegte er sich eine Möglichkeit, seinen Schirm in die Tasche stecken zu können. Er versah ihn mit einem Teleskopgestell, das sich auf ein handliches Format zusammenschieben ließ. Im Jahr 1928 meldete er seine Erfindung beim Patentamt an, vier Jahre später begann der Unternehmer Fritz Bremshey mit der Serienproduktion. Trotz eines für damalige Verhältnisse hohen Preises von 12,50 Reichsmark wurde der Knirps, wie der Schirm genannt wurde, zu einem Bestseller. Auch wenn die Konkurrenz mit Sprüchen warb wie: „Mit Schirm ein Herr, mit Knirps ein Knirps”, florierte das Geschäft weiterhin. Bis heute wurden rund 200 Millionen Exemplare in alle Welt verkauft, selbst John F. Kennedy, die niederländische Königin Beatrix und Papst Benedikt XVI. legten sich einen zu.

Billig aus Fernost

Schwer zu schaffen machte der kultigen Marke jedoch das Aufkommen von billig hergestellten Schirmen aus China ab den 1960er-Jahren. Die waren für wenig Geld zu haben und überschwemmten den Markt. Bis heute ist China der mit Abstand größte Hersteller von Regenschirmen. Rund 98 Prozent aller Schirme, die in Deutschland verkauft werden, stammen von dort. Allein in der Stadt Shangyu stehen mehr als 1.000 Fabriken für Schirme. Der durchschnittliche Preis für einen Regenschirm liegt heute bei unter fünf Euro, etwa ein Drittel ist sogar kostenlos – der Werbebranche sei Dank. Wer aber denkt, dass sich das Design des Regenschirms nicht mehr weiterentwickeln lässt, der liegt falsch. Im US-amerikanischen Patentamt sind vier Mitarbeiter allein damit beschäftigt, die Tausenden von Anträge für Erfindungen rund um den Schirm zu prüfen. Zuletzt hat beispielsweise der Unternehmer Alan Kaufman den Nubrella entwickelt – einen Regenschirm, dessen Gestell man sich auf die Schultern schnallt. Es ist also immer noch möglich, diesen alltäglichen Gegenstand neu zu gestalten.