Follow my blog with Bloglovin

»Zukunftsräume. Kandinsky, Mondrian, Lissitzky und die abstrakt-konstruktive Avantgarde in Dresden 1919 bis 1932« im Albertinum Dresden

Schon in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg häuften sich in Europa die Bestrebungen, die bis dahin natürliche impressionistische Wiedergabe des Gegenständlichen durch eine expressivere Darstellung wiederzugeben. Wassily Kandinsky überholte diese Ideen (siehe auch Kupferstichkabinett Dresden »Tendenz Abstraktion. Kandinsky und die Moderne um 1910«), indem er mit seinen Überlegungen in der 1912 erschienen Schrift »Über das Geistige in der Kunst« Grundlagen für die Abstraktion in der Malerei schuf.

Ausstellungsansicht »Zukunftsräume«, 01.03.2019
Albertinum
© SKD, Foto: Klemens Renner

Befreit von den Wirren des Krieges, befreit von einem starren, administrativen Kaiserreich erwachten auf dem Kontinent Ideen, diesen Weg in die Moderne aufzugreifen. In Russland hatte die Revolution gesiegt, Künstler mit neuen, visionären Vorstellungen drängten in die aufgewühlte Künstlerwelt Europas. 1919 gründete Walter Gropius in Weimar das Bauhaus mit sensationellen Vorstellungen einer ganzheitlichen Kunst aus Architektur, Malerei, Kunstgewerbe, Möbelbau und Handwerk.

Noch hüteten die Kunstvereine ihre traditionsgebundenen Ausstellungsgepflogenheiten, Museumsdirektoren, Kunsthistoriker, Kunstinteressierte belächelten die ersten teilabstrakten Arbeiten. Das Moderne war aber nicht aufzuhalten. Ob in Frankreich, Holland, der UdSSR oder auch in Deutschland setzten sich kubistische, futuristische, konstruktivistische und suprematistische Richtungen abstrakter Kunst durch. Neben Weimar, später Dessau waren es Berlin, Düsseldorf, Mannheim, Essen und vor allem Hannover, wo sich »Avantgardisten« der Malerei zusammenschlossen, um ihre moderne Kunstauffassung auszuführen und bekannt zu machen.

Ausstellungsansicht »Zukunftsräume«, 01.03.2019
Albertinum
© SKD, Foto: Klemens Renner
Schweres Rot, 1924
Wassily Kandinsky
Öl auf Karton, 58,7 x 48,7 cm
Kunstmuseum Basel
© Kunstmuseum Basel

Aber halt – einen nicht geringen Anteil hatte auch die sächsische Hauptstadt Dresden an der Durchsetzung der neuen Kunstformen. Dabei waren die Kunsthochschule, Teile der Museen, Kunstvereine Dresdens immer noch dem Herkömmlichen verpflichtet. Aber in der Stadt lebte eine sehr aktive Galerieszene mir Galeristen, die den Werken eines Kandinsky, Klee, Lissitzky, Moholy-Nagy, Feininger, Baumeister, Buchartz u.a. eine große Liebe und Achtung entgegenbrachten.

Ausstellungsansicht »Zukunftsräume«, 01.03.2019
Albertinum
© SKD, Foto: Klemens Renner

Wie gern möchte man heute vom Hauptbahnhof kommend seitlich von der Petersburger Straße rechts in die Struve Straße abbiegen und bei Rudolf Probst in der »Neue(n) Kunst Fides« vorbeischauen, am Ferdinandplatz die Bauhaus-Stühle probieren, bei Ludwig Wilhelm Gutbier in »Ernst Arnolds Galerie« in der Schloßstraße einen Schlemmer kaufen und aus Übermut bei »Kühn« in der Kleinen Brüdergasse eine Zeichnung von Klee erstehen. Auch ein Besuch des »Graphischen Kabinetts« des Fotografen Hugo Erfurth in der Zinsendorfer Strasse, Nähe Hygienemuseum würde sich lohnen.

Ausstellungsansicht »Zukunftsräume«, März 2019
Albertinum
Foto: Michael Neubauer

All diese Herren hatten die Mutigen, die »Avantgarde« nach Dresden geholt und präsentierten sie hier – oft mit Unterstützung der Ausstellungsmacherin, der Hannoveranerin Sophie Küppers – mit Ausstellungen, Vorträgen und Gesprächen dem aufgeklärten Publikum. Möglich war das, weil es einzelne Personen gab, die als Mäzene, Käufer oder Förderer den Malern einen finanziellen Rahmen boten: die Gattin des Mühlenbesitzers E. Bienert Ida Bienert und ihr Sohn Friedrich, der Rechtsanwalt Fritz Glaser, ein verständiger Bürgermeister Dresdens Bernhard Blüher, der leider deshalb bald geschasste Direktor des Stadtmuseums Paul Ferdinand Schmidt und Alois Schardt, Leiter der »Neuen Schule Hellerau«. Die Staatlichen Kunstsammlungen wurden erst nach der Internationalen Kunstausstellung 1926 mit Ihrem Direktor Hans Posse aktiv und kauften einige wenige Arbeiten der modernen Kunst. In Dresden selbst traten nur zwei Maler in den Kreis der abstrakten Kunst ein, Edmund Kesting und Hermann Glöckner. Alle Bemühungen endeten 1933. 1937 wurden die allermeisten Werke als »entartet« und der deutschen Seele nicht zuträglich verkauft, eine der barbarischen Handlungen dieser dunklen Zeit Deutschlands.

Ausstellungsansicht »Zukunftsräume«, 01.03.2019
Albertinum
© SKD, Foto: Klemens Renner
Model for ‚Rotating Fountain‘, 1925, zusammengesetzt 1986
Naum Gabo
Metall und Plastik, 44 x 40 x 40 cm
© Tate, London 2018

Die Ausstellung »Zukunftsräume. Kandinsky. Mondrian. Lissitzky und die abstrakt-konstruktive Avantgarde in Dresden 1919 – 1932« Im Albertinum ist eine ganz besondere. Sie zeigt Gemälde, Zeichnungen, Graphiken, Holzschnitte, Skulpturen, Fotografien und Bücher dieser Avantgarde aus vielen bedeutenden internationalen Museen, von Privatsammlern und aus eigenen Beständen.

Das Besondere sind aber 5 Ideen, die uns in ihrer Vision und Wirkung gedanklich und gefühlsmäßig ganz nah an die Künstler der 20er Jahre des 20ten Jahrhunderts rücken lassen:

Ausstellungsansicht »Zukunftsräume«, 01.03.2019
Albertinum
© SKD, Foto: Klemens Renner
Rot, 1924
Wassily Kandinsky
Öl auf Karton, 70,6 x 40,8 cm
Emanuel Hoffmann-Stiftung
© Emanuel Hoffmann-Stiftung, Depositum in der Öffentlichen Kunstsammlung Basel, Foto: Bisig & Bayer, Basel
  • Als Rudolf Probst, der Besitzer der Galerie »Neue Kunst Fides« neue Galerieräume in der Struvestraße einrichten ließ, holte er Hinnerk Scheper, Farbgestalter am Bauhaus. Mit einer ausgeklügelten Farbgestaltung der Wände gelang es, die Wirkung der gehängten Gemälde als Einzelbild aber auch als Ensemble zu erhöhen. In der aktuellen Ausstellung hat man diese Gestaltung für Wand und Gemälde sehr erfolgreich nachempfunden.
  • Ida Bienert war von der modernen Kunstauffassung begeistert. Sie fasste sie für sich befreiend und richtungsweisend auf. Sie wünschte sich deshalb für ihr Damenzimmer eine entsprechende Raumlösung, die dem entsprach. Sie beauftragte den in Paris lebenden holländischen Maler und Konstruktivisten Piet Mondrian. Leider ist sein Entwurf nie realisiert worden – erst jetzt für diese Ausstellung! Der österreichische Künstler Heimo Zobernig hat diesen Raum bearbeitet, interpretiert und nach Mondrians Entwürfen die Innen- und Außenhaut gestaltet. In Originalgröße steht er im Lichthof des Albertinums, sichtbar aus verschiedenen Ebenen kann man die Raum-Flächen-und Farbideen Mondrians erfühlen.
Proun 6, um 1920
El Lissitzky
Öl auf Leinwand, 81 x 59 cm
Kulturstiftung Sachsen-Anhalt – Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale)
© Kulturstiftung Sachsen-Anhalt – Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Foto: Punctum/Bertram Kober
  • Zur Internationalen Kunstausstellung 1926 schuf der russische Architekt El Lissitzky einen, in sich abgeschlossenen »Raum für konstruktive Kunst«. Er sollte die Wahrnehmung und die Aufmerksamkeit der Besucher verbessern. Der Raum ist abgedunkelt, schafft damit eine gesonderte Atmosphäre, die den Besucher »überrascht«, aufmerksam werden lässt. Im Raum sorgen lamellenartige Wandverkleidungen durch schwarze und weiße Bemalung ihrer Seiten für wechselnde Eindrücke je nach Blickrichtung des Betrachters. Die Gemälde sind durch verschiebbare Flächen verdeckt oder frei sichtbar, so dass der Besucher bewusst und konzentriert aussuchen und genießen kann. Lissitzkys »Raum für konstruktive Kunst« ist, selbst mit der berühmten Sichtachse auf diesen Raum, in die Ausstellung integriert.
Ausstellungsansicht »Zukunftsräume«, 01.03.2019
Albertinum
© SKD, Foto: Klemens Renner
Ausstellungsansicht »Zukunftsräume«, 01.03.2019
Albertinum
© SKD, Foto: Klemens Renner
  • Vier moderne Künstler setzen sich mit den Raumvorstellungen der Avantgardisten auseinander und schlagen damit eine Brücke zur modernen Kunst von heute. Geometrische Abstraktionen Heimo Zobernigs mit Acrylfarbe und Tape-Streifen betonen das Raster als eine mögliche Ausdrucksform. Mehrere seiner Gemälde regen eine Diskussion darüber an.
Farbentwurf für den Salon der Ida Bienert (Axonometrie II), 1926
Piet Mondrian
Deckfarben, Tusche, Bleistift, 37,6 x 56 cm
Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
© SKD, Foto: Herbert Boswank

Die drei jungen Künstlerinnen Judy Radul, Kapwani Kiwanga und Celine Condorelli beschäftigen sich mit Darstellungsmöglichkeiten von Kunst im Raum. Judy Radul hinterfragt die konventionellen, musealen Sehgewohnheiten, indem sie der frontalen Sicht z.B. die Darstellung von Skulpturen über wechselnde Kamerasichten über einen Monitor gegenüberstellt.

Slevogts Gemälde, die auf einer Ägyptenreise entstanden sind, boten für Kapwani Kiwanga Anregung, eine aus Stoffen bestehende Skulptur in den Farben des ägyptischen Lichts zu erschaffen. In Kombination mit diesen Bildern wird ein zusätzliches Erleben erzeugt. Celine Condorelli schuf aus vorhandenen Sitzmöbeln des Museums skulpturale Sitzmöglichkeiten, die das räumliche Erleben der Kunstwerke positiv beeinflusst. An einer Museumstheke sind an Öffnungstagen von 15:00 – 18:00 Uhr Raumentwürfe von Piet Mondrian und El Lissitzky virtuell erlebbar.

Ausstellungsansicht »Zukunftsräume«, März 2019
Foto: Michael Neubauer

»Zukunftsräume« im Albertinum vermitteln aufgrund der Fülle der dargebotenen Exemplare einen umfassenden Überblick über die Kunst avantgardistischer Maler, die in den 1920er Jahren eine besondere Affinität zu Dresden hatten. Die Ausstellung gewinnt an Gewicht durch umfangreiche und aufwendige Nachbauten einstiger Raumvorstellungen als Ausdruck des konstruktiven neuen Denkens dieser Künstler. Die sich an die historische Aufstellung der Gemälde, Zeichnungen und Drucke anlehnende Präsentation der Kunstwerke ist eine Freude und vermittelt einen intensiven Bezug zu dieser Zeit. Bücher und Fotografien von Künstlern und Mäzenen ergänzen die Schau vorzüglich.

Ausstellung »Zukunftsräume. Kandinsky, Mondrian, Lissitzky und die abstrakt-konstruktive Avantgarde in Dresden 1919 bis 1932«
02.03. – 02.06.2019

Albertinum Dresden
Tzschirnerpl. 2
01067 Dresden
https://albertinum.skd.museum/

Di-So 10 bis 18:00 Uhr
Mo geschlossen

Ein umfangreiches Begleitprogramm erschließt sich unter: https://albertinum.skd.museum/programm/

Zur Ausstellung ist ein reich bebilderter und sehr umfangreicher und informativer Katalog im Sandstein Verlag Dresden erschienen, im Buchhandel für 48,- € zu erwerben.