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Ausstellung »Tendenz Abstraktion. Kandinsky und die Moderne um 1910 | Hiroshi Sugimoto. Fotografien« in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden

Als Student der Rechtswissenschaften in Moskau besuchte Wassily Kandinsky (1866 – 1944) nicht nur Ausstellungen, sondern malte auch schon zu dieser Zeit. Von beidem beeinflusst, fühlte er, dass für ihn die Farbe eine viel größere Wirklichkeit hatte als der Gegenstand selbst. Intensiv stellte er Beziehungen zur Musik her, in deren Klang und Virtuosität er »seine Farben erkannte«. Als 30jähriger siedelte Kandinsky nach München über, genoss das »komische, ziemlich exzentrische und selbstbewusste«, von Künstlern besetzte Schwabing.

Abschied – große Fassung, 1903
Wassily Kandinsky
Farbholzschnitt, 313 x 312 mm
© Privatbesitz, Foto: SKD, A. Diesend

Neue Strömungen in der europäischen Malerei wie Fauvismus, Kubismus, Futurismus und Symbolismus bedrängten die einheimischen Maler nicht nur in München, sondern auch in Dresden und Berlin (»Die Brücke«) und zwangen sie zur Auseinandersetzung mit diesen.

Wassily Kandinsky hatte sehr klare Vorstellungen über seinen weiteren Weg als Maler. Zunehmend verbannte er das Gegenständliche aus seinen Bildern. In den Münchner Ausstellungen provozierte er damit nicht nur ein verständnisloses Publikum, sondern auch die Ablehnung vieler seiner unmittelbaren Malerkollegen. Lediglich in Franz Marc fand er einen Mitstreiter und Freund, der von den gleichen Ideen und Ansichten beseelt war. Mit seiner 1910 fertiggestellten und 1911 veröffentlichten Schrift »Über das Geistige in der Kunst« entwickelte Kandinsky die Gedanken, die »Resultate von Beobachtungen und Gefühlserfahrungen« waren, »die sich allmählich im Laufe der letzten fünf bis sechs Jahre sammelten.«

Reitermotiv in ovaler Form, 1911
Wassily Kandinsky
Holzschnitt, 66 x 75 mm
© Privatbesitz, Foto: SKD, A. Diesend

So wie er empfanden auch die Vertreter der neuen, oben genannten Kunstrichtungen in der Malerei: Das Empfinden, die innere Reaktion, die beim Betrachten der Dinge entsteht, ist wichtiger als ihre Erscheinung im Gegenständlichen. Ihnen allen war an der geistigen Umsetzung des Gesehenen gelegen. Kandinskys immer wieder beschworene Gemeinsamkeit mit allen Künsten vor allem der Musik beschreibt er in »Über das Geistige in der Kunst« auf Seite 37:

„Ein Künstler, welcher in der wenn auch künstlerischen Nachahmung der Naturerscheinungen kein Ziel für sich sieht und ein Schöpfer ist, welche seine innere Welt zum Ausdruck bringen will und muß, sieht mit Neid, wie solche Ziele in der heute unmateriellsten Kunst – der Musik – natürlich und leicht zu erreichen sind. Es ist verständlich, daß er sich ihr zuwendet und versucht, dieselben Mittel in seiner Kunst zu finden. Daher kommt das heutige Suchen in der Malerei nach Rhythmus, nach mathematischer, abstrakter Konstruktion, das heutige Schätzen der Wiederholung des farbigen Tones, der Art, in welcher die Farbe in Bewegung gebracht wird usw. ... “
Wassily Kandinsky »Über das Geistige in der Kunst«

Wassily Kandinsky untersetzte den Weg zur Abstraktion mit seinen theoretischen Überlegungen. Anhand seiner malerischen Werke bis 1912 lässt sich diese Entwicklung nachvollziehen.

Bogenschütze, 1908/09
Wassily Kandinsky
Farbholzschnitt, 164 x 152 mm
© Privatbesitz, Foto: SKD, A. Diesend

»Die Form ist der äußere Ausdruck des inneren Inhaltes. Deshalb sollte man sich aus der Form keine Gottheit machen. Und man sollte nicht länger um die Form kämpfen, als sie zum Ausdrucksmittel des inneren Klanges dienen kann. Deshalb sollte man nicht in einer Form das Heil suchen …«

aus »über die Formfrage« im »Blauen Reiter«

Zwei Reiter vor Rot, 1911
Wassily Kandinsky
Farbholzschnitt mit den vier Druckstöcken in Gelb, Rot, Blau und Schwarz, 105 x 157 mm
© Privatbesitz, Foto: SKD, A. Diesend
Zwei Reiter vor Rot, 1911
Wassily Kandinsky
Druckstöcke, je 105 x 157 mm
© Privatbesitz, Foto: SKD, A. Diesend

Der Gedanke, sich mit anderen seines Faches darüber auszutauschen, beseelte ihn, als er mit Franz Marc einen »Almanach« konzipierte, in dem nur Künstler für Künstler, Maler, Musiker und andere ihre Ansichten zur Kunst kundtun sollten. All das waren Vorstufen und Vorbereitungen einer geistigen Bewegung in der bildenden Kunst, die in der Bezeichnung »Blaue Reiter« ihre Erfüllung fanden. Der Almanach erschien 1912 auch unter dem Namen »Der Blaue Reiter«. Marc liebte blaue Pferde, Kandinsky blaue Reiter.

Almanach »Der Blaue Reiter«
Foto: Michael Neubauer

Wassily Kandinsky war in dieser Zeit wenig präsent in Dresden, Kontakte bestanden lediglich durch Vorträge und Galerieausstellungen. Erst 1932 fand eine repräsentative Einzelausstellung statt, es war bis heute die letzte. Berühmtester Ankauf der Dresdner Kunstsammlungen waren 1930 die »Kleinen Welten« von ihm. Erfreulich ist es deshalb, dass im Jahr des 100jährigen Bauhaus-Geburtstages umfangreiche Präsentationen der expressionistischen Kunst stattfinden.

Im Kupferstichkabinett kann man bis zum 12. Mai 2019 67 Druckgrafiken vornehmlich aus Privatbesitz, Zeichnungen, Aquarelle und Gemälde und originale Schrift-Dokumente Kandinskys bewundern. Chronologisch und thematisch aufbereitet zeigen sie anschaulich seinen Weg in der Zeit 1902 bis 1912 von der gegenständlichen Malerei zur abstrakten, die sich um 1910 ihren Weg bahnte. Weitere Arbeiten der damaligen Kunstszene u.a. von Franz Marc, Alexej von Jawlensky, Oscar Kokoschka, Paul Klee, Lyonel Feininger und Otto Dix, Malern der »Brücke« flankieren die Schau in hervorragender Weise.

Im Kupferstichkabinett in Dresden ist man aber nicht bei den avantgardistischen Malern des beginnenden 20. Jahrhunderts stehengeblieben, sondern kuratiert eine wunderbare Linie zu einem heute fotografisch tätigen Künstler Hiroshi Sugimoto (*1948) aus Japan. Seine Arbeiten sind alle in schwarz-weiß, minimalistisch im Aufbau und verfolgen in Serien einen längeren Zeitraum. So geschehen ab 1980 in den Meeresansichten »Seascapes«, die in verschiedenster Weise als geometrische Komposition, Wasser und Himmel exakt geteilt, in gleich große Flächen darstellen. Die erzeugte Weite schafft einen fühlbaren Freiraum, in dem sich Geist und Materie begegnen, durch den Entzug des Oberflächlichen beschreiben diese und weitere Bilder ebenfalls nur die Darstellung der inneren Notwendigkeit, das im Inneren Gefühlte. Und wir sind wieder bei Kandinsky!

Caribbean Sea, Jamaica, 1980
Hiroshi Sugimoto
Silbergelatineabzug, 423 x 542 mm
Schenkung Sammlung Hoffmann, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
© Hiroshi Sugimoto/Courtesy of Gallery Koyanagi

Die Präsentation widmet sich damit gleichsam der Vorgeschichte des Bauhauses, dessen Rezeption in Dresden im Zentrum der Ausstellung »Zukunftsräume. Kandinsky, Mondrian, Lissitzky und die abstrakt-konstruktive Avantgarde in Dresden. 1919 bis 1932« (vom 2. März bis 2. Juni 2019) im Albertinum stehen wird.

Ausstellung »Tendenz Abstraktion. Kandinsky und die Moderne um 1910«
15.02. – 12.05.2019

Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Kupferstichkabinett im Residenzschloss Dresden
Taschenberg 2
01067 Dresden
https://kupferstich-kabinett.skd.museum/

Mo, Mi-So 10 bis 18:00 Uhr
Di geschlossen

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