Susch liegt in der Ostschweiz, im Engadin in Graubünden. Es liegt an der Straße, die von der österreichischen Grenze kommend, vorbei an St. Moritz, die herrlichen Oberengadiner Seen tangierend in Maloja endet. Nur die Mutigen stürzen sich von dort aus den Maloja-Pass hinunter, ca. 1 500 m Höhenunterschied, um im reizvollen Bergell nach Wohn- und Arbeitsstätten von Giovanni Segantini oder Giovanni Giacometti zu suchen oder gar den Grenzübertritt nach Italien zu wagen, um einen hervorragenden Kaffee in Chiavenna zu trinken.
Susch ist ein Dorf mit 219 Einwohnern (31.12.2008) in der Gemeinde Zernez. Der Ort liegt in dem malerischen, sich hier zwischen den Berghöhen erweiternden Tal des Inns.
Hier mündet der Fluss Susasca, der vom Flüelapass herunterfließt in den Inn. Susch ist der Ausgangspunkt zum Fluelapass (z.Z. gesperrt), der in 2383 m Höhe über die Albula-Alpen nach Davos führt. Seit 1999 erleichtert der 19 km lange Vereinatunnel die Verbindung nach Klosters bzw, Davos mit der Vereina-Bahn mit der Möglichkeit der Autoverladung … und macht Susch damit zum wichtigen Verkehrsknotenunkt.
Neben einer langen Tradition, handfesten, ideenreichen und wirksamen Handwerkern bietet Susch etwas ganz Besonderes – das „Muzeum Susch“, eingebettet in die Mitte des Ortes.
Das Museum besteht aus einem Gebäudekomplex des ehemaligen Klosters. Am Pilgerweg nach Rom und Santiago de Compostela bedurfte es am Flüelapass einer sicheren Raststätte für die Pilger. 1157 wurde das Kloster gegründet und im 19. Jahrhundert um eine Brauerei ergänzt. Daneben gibt es die Alte Brauerei (Bieraria Veglia) und das ehemalige Pfarrhaus. Alle Gebäude sind u.a. durch einen Tunnel miteinander verbunden.
Nach einer dem Denkmalschutz entsprechenden präzisen und „gefühlvollen“ Restaurierung strahlt das Museum, wie einst das Kloster, seit Anfang 2019 weit über die Grenzen dieser kleinen Bündner Gemeinde hinaus.
Dank gebührt der polnischen Unternehmerin, Kunststifterin und Mäzenin Grazyna Kulczyk (* 1950) , die mit diesem Kleinod einen Ort, der sich sowohl der zeitgenössischen Kunst, ihrer Interpretation, ihrem Verständnis, ihrer geistigen Basis widmet als auch ein Platz der Auseinandersetzung, Diskussion und Forschung geworden ist, geschaffen hat. Die Arbeiten von Künstlerinnen werden besonders beachtet, ihre Positionen objektiv kommentiert.
Neben wechselnden Einzelausstellungen beherbergt das Museum permanente, ortsspezifische Installationen internationaler Künstler. So sind Auseinandersetzungen mit der Architektur und Dialoge mit den Arbeiten wechselnder Ausstellungen möglich und gewünscht.
Zur Zeit meines Besuches konnte ich die Werke und die kreativen Ideen, vor allem deren Umsetzung von Wanda Czelkowska (1930 – 2021) sehen.
Mit
umriss sie eindeutig, wie wichtig, wie intellektuell, sie ihre Kunst sah, aber auch die Verantwortung der Betrachter/Kunsthistoriker in ihrer Interpretation derselben. Geboren im weissrussischen Brest verbrachte sie die Jugend im litauischen Vilnius, bevor sie das Studium an der Kunstakademie in Krakau aufnahm. Von 1968 bis 1982 war sie Mitglied der „Grupa Krakowska II“, einer Gruppe moderner Nachkriegskünstler. In ihren letzten Jahren arbeitete sie in Warschau, in einer ausgedienten LKW-Reparatur-Werkstatt.
Sie malte und schuf Skulpturen, deren bekannteste „Köpfe“ sind, figurativ ausgeführt, weisen sie auf das spannende Verhältnis zwischen Geist und Körper hin. 2006 schuf sie den monumentalen Brunnen „Chopins Klavier“ für Krakau. Ziel der abgelaufenen Ausstellung (15.7. – 26.11.2023) in Susch war, einen umfassenden Überblick über ihren künstlerischen Werdegangs ausserhalb Polens zu zeigen.
„Flock“ gehört zu den permanenten Installationen. Magdalena Abakanowicz (1930 – 2017) schuf diese kopflosen Körper aus Sackleinen und Kunstharz und nannte sie „Abakane“, ihre Kinder. Neben körperlicher Präsenz verkörpern sie Anonymität, das Unpersönliche, das Fremde, das in der Masse untergeht.
Sara Masüger (*1978) hofiert mit ihrem Werk „Inn Reverse“ von 2018 aus Acrystal, Eisen, Sisal, Holz und Polyurethan den für diese Gegend so wichtigen Fluss „Inn“. „Engadin“ heisst Garten des Inn. Da die Installation immer nur einzeln betreten werden kann, sollte der Besucher sich Zeit nehmen, es fühlen, mit welcher Zähigkeit und Kraft die Natur, ein Fluss Fakten schafft, wie dieses Bündner Ober- und Unterengadin, zu dem auch Susch sich zählen darf.
Aber am 3. Januar 2024 geht es auf ein Neues! Unter dem Titel “Space for My Body” zeigt das Museum die erste Retrospektive der estnische Künstlerin Anu Pöder (1947 – 2013) ausserhalb ihres Heimatlandes. 40 Werke, im Ausland nahezu unbekannt, warten auf aufmerksame, wohlwollende Besucher, Kunsthistoriker und Kunstliebhaber.
Im Begleittext des Museums heisst es:
Einfache, unkonventionelle Materialen unterstreichen dieses „ihr eigenes, intimes, sehr verletzliche visuelle Vokabular, ihre Konzentration auf die weibliche Subjektivität.
Eine 1995 geschaffene Skulptur Anu Pöders mit dem Titel „Raum für meinen Körper“ gibt der Ausstellkung in Susch ihren Namen
Anu Põder
Space for My Body (Ruum minu keha jaoks)
1995
Textile, wire and wooden hanger,
Courtesy of Gianni Manhattan, Estate of Anu Põder, Tartu Art Museum
Photo: Hedi Jaansoo
Anu Pöder studierte an der Tartu Art School und der Abteilung für Bildhauerei am Estonian State Art Institute.
Põders Werk kann in zwei Kapitel unterteilt werden: eines, das Mutterschaft und das Leben am Ende der sowjetischen Ära erforscht …
… und ein anderes, das sich mit sozialen Prozessen im neu unabhängigen Estland nach 1991 befasst.
Und nach allem, noch ein Highlight, der
Tuor per Susch von Not Vital (*1948),
der vierte Turm des Dorfes,
aus einem einzigen Marmorblock,
nach dem historischen Tuor La Praschun
aus der Zeit 12./13. Jahrhundert,
gefertigt 2020,
10 m hoch!
„Space for My Body” von Anu Pöder
Kuratiert von Cecilia Alemani, New York
bis 30. Juni 2024
Sur Punt 78, 7542 Susch, Schweiz
Tel.: 41 81 861 0303
Öffnungszeiten
Donnerstag bis Sonntag. 11 bis 17:00 Uhr
Montag bis Mittwoch. geschlossen