Follow my blog with Bloglovin

LYONEL FEININGER in der SCHIRN Kunsthalle Frankfurt. Eine Retrospektive.

Lyonel Feininger.
Retrospektive
,
Ausstellungsansicht,
© Schirn Kunsthalle Frankfurt 2023,
Foto: Norbert Miguletz 

Eine Museumsbesucherin vor dem Selbstbildnis Lyonel Feiningers aus dem Jahr 1915

Als Lyonel Feininger (1871 – 1956) am 19. Mai 1919 seiner Berufung an das neu gegründete Bauhaus in Weimar nachkam, war er ein bereits bekannter und anerkannter Künstler. Walter Gropius (1883 – 1969) hatte ihn in Berlin kennengelernt, wo sie als Mitglieder des Arbeitsrates für Kunst versuchten, das kulturelle Leben nach dem Krieg neu zu ordnen. Gleich gerichtete Ideen hatte sie in der Berliner Sturm-Galerie Herwarth Waldens zusammengeführt, wo Feininger 1913 im Ersten Deutschen Herbstsalon seine frühen kubistischen Gemälde gezeigt hatte. Hier hatte Herwarth Walden 1917 auch seine erste grosse Einzelausstellung ermöglicht. Lyonel Feininger zu diesem Zeitpunkt schon ein Mittvierziger hatte Jahre des Suchens, der Brüche, des Werdens hinter sich. 

Lyonel Feininger,
Die Radfahrer (Radrennen), 1912,
Öl auf Leinwand, 80,3 x 100,3 cm,
National Gallery of Art, Washington, DC, Sammlung von Mr. und Mrs. Paul Mellon, 1985.64.17, © VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Foto: Antonia Sutter

Die Geschwindigkeit der fünf Radfahrer ist in der Fläche aufgelöst. Das Bild war 1913 im ersten Deutschen Herbstsalon, organisiert von Herwart Walden, zu sehen. Die Ausstellung markierte Feiningers ersten wichtigen Auftritt in der deutschen Avantgarde und dokumentierte seine „Modernität“. Das Gemälde bildet einen frühen Höhepunkt in Feiningers Werk.

Als Sohn deutschstämmiger Eltern, der Vater war Geigenvirtuose, die Mutter Sängerin, wurde er 1871 in New York. geboren. Geigenunterricht, Musizieren, Freude am Zeichnen begleiteten den heranwachsenden Lyonel. Mit dem Ziel, in Leipzig ein Musikstudium aufzunehmen, war er 1887 in Hamburg mit dem Schiff angekommen. Die Bedingungen an der sächsischen Musikakademie entsprachen aber nicht den familiären Vorstellungen, so dass er in Berlin halt machte, weil hier seine Eltern Konzertverpflichtungen nachkamen. Sie schickten ihn wieder nach Hamburg.
Auf sich gestellt entschied sich Lyonel aber anders. Er bewarb sich an einer Zeichenschule zunächst in Hamburg und weil ihm Berlin besser gefiel, ab 1888 in Berlin als Student an der Königlichen Akademie. Über fast 50 Jahre wurde Berlin mit Unterbrechungen Feiningers zweite Heimat, sein Lebensmittelpunkt. 

„Berlin war überhaupt – und ist heute noch in der Erinnerung – für mich die einzigwahre Heimatstadt“, schrieb Lyonel Feininger als über Achtzigjähriger an seinen Künstlerfreund
 Gerhard Marcks, … “
aus „Weltkunst“ vom 11.06.2021 von Andreas Platthaus

Das Jahr 1906 war in Feiningers Biografie ein sehr entscheidendes. Im Jahr vorher hatte er Julia Berg (1880-1970)  kennengelernt. Sie besuchte in Weimar die Großherzoglich-Sächsische Kunstschule. Mit ihrem Verständnis und Kunstgefühl war sie für ihn die Partnerin, die er für seine weitere Entwicklung brauchte. Schnell begeisterte sie ihn für die Techniken der Lithografie und Radierung, zeigte ihm die für ihn später so wichtige Umgebung von Weimar mit ihren Dörfern, Kirchen und Landschaften.
Aber noch wichtiger: gemeinsam reisten sie nach Paris, wo er 1892/93 bereits 7 Monate in der Akademie Colarossi verbracht hatte. Das Entscheidende war, dass er mit Julias Hilfe aber jetzt den Weg zur Malerei fand. 

 

Rasch war er nach seinem Studium in den Jahren der Jahrhundertwende zum begehrten Karikaturisten für deutsche, französische und amerikanische Zeitschriften geworden, die ihn thematisch allerdings sehr eingeengt hatten.

Lyonel Feininger,
St. Louis, 1904,
Erschienen in ‚Lustige Blätter‘ XIX. 1904, Nr. 26, Cover, Farblithografie, Blatt: 30,8 x 22,6 cm,
© Kulturstiftung Sachsen-Anhalt,
Museum Lyonel Feininger,
VG Bild- Kunst, Bonn 2023 

Zwar zeigten schon diese Arbeiten seinen eigenen Umgang mit Farben, Farbverläufen und Flächen, aber jetzt, hier in Paris beendete er unter den Einflüssen von Robert Delaunay und Rudolf Levy diese Tätigkeit und wurde der Maler Lyonel Feininger, wie wir ihn kennen. 

 

 

Lyonel Feininger
Aufruhr
1910
Öl auf Leinwand
The Museum of Modern Art, New York

Schenkung von Julia Feininger, 1964
© VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Foto: Antonia Sutter

Erste Gemälde entstanden an Orten, die er später immer wieder aufsuchte. Häufig waren es kleinstädtische Milieus, wie das Ostseestädchen Ribnitz-Damgarten, Strandbilder auf Rügen, dazu im Gegensatz Straßenszenen von Paris mit maskierten zeitlosen Figuren, zwiespältigen Personen, Prostituierten, Geistlichen in kuriosen Aufmachungen, die an die „guten alten Zeiten“ erinnern sollten, „Mummenschanzbilder“. Überhöhte Figuren mit kantigen Profilen, lange Nasen und kuriose Hüte erinnerten noch an seine Zeit der Karikaturen und Satiren.  

 

 

 

Lyonel Feininger,
Der weiße Mann,
1907,
Öl auf Leinwand, 68,3 x 52,3 cm,
© Carmen Thyssen Collection, Madrid and
© Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid / VG Bild-Kunst, Bonn 2023 

 

Und 1913, Lyonel Feininger war mittlerweile Mitglied der Berliner Secession geworden, entstand das erste Ölbild einer thüringischer Kirche: die Kirche von Gelmeroda!

 

Lyonel Feininger,
Gelmeroda II,
1913,
Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm,
Neue Galerie, New York. This work is part of the collection of Estée Lauder and was made available through the generosity of Estée Lauder,
© bpk / Neue Galerie New York / Art Resource, NY / VG Bild-Kunst, Bonn 2023 /
Foto von Hulya Kolabas 

Typisch für sein Arbeiten waren die in Sekunden entstehenden Skizzen „ Natur-Notizen“, die Situationen, Bilder, Stimmungen festhielten, die er bis an sein Lebensende als Vorlagen für seine Gemälde nutzte.

1911 – wieder ein entscheidendes Jahr. Anläßlich einer Ausstellung in Paris beeindruckte ihn zutiefst die dargestellte Kunst des Kubismus, so, dass sie seinen weiteren Weg maßgeblich beeinflusste. 

„Mit einem Male, es war Frühjahr 1911, auf einem dreiwöchigen Besuch in Paris, ging mir ein Licht auf, der Kubismus!", so schrieb er. "Hinterher war es erstaunlich, wie ich entdecken konnte, wie ich seit Jahren bereits auf dem Wege dahin gewesen war! “
aus „Die Welt“ vom 10.09.2006, geschrieben von Stefanie Stadel

Die Flächen wurden homogener, geometrischer,  die Linien kantiger, Feininger zerlegte die Formen, brach sie auf, um sie dann einander neu zu kombinieren. Dabei konzentrierte er die Objekte „bis zum absoluten Extrem“ und erreichte damit die gewünschte räumliche Tiefe, „aus der heraus das Motiv hervorwächst“ („Lyonel Feininger“, Junge Kunst, Klinkhardt & Biermann, 2015, S. 22). Das unterschied ihn von den französischen Kubisten, die durch die Zergliederung des Motivs das gleichzeitige Sehen verschiedener Ansichten anstrebten. Kristalline Elemente, die Aktuelles mit Virtuellem, Vergangenes und Imaginäres mit dem Gegenwärtigem überlagerten, ließen in den Jahren einzigartige Architekturkompositionen entstehen, die nicht ein Abbild, sondern seine freie „innere Vision“ darstellen.

.

Seine Berufung 1919 an das Staatliche Bauhaus Weimar als Leiter der druckgrafischen Werkstatt war nichtzuletzt seiner intensiven Beschäftigung mit dem Medium des Holzschnitts zu verdanken.

Eigentlich hielt Feininger aber nichts von Kunstschulen. 

„Grauen erfüllt mich bei dem Gedanken an die Zahl derer, die so „ausgebildet“ werden … Das einzige, was die expressionistische Kunst am Leben halten kann, ist, dass jeder sieht, wie er alleine zur Kunst gelangt. “
Brief an Julia Feininger, Berlin, 15.7.1916 in „Bauhaus“, Könemann Verlagsgesellschaft mbH, 1999, S.272

Lyonel Feininger
Bauhaus Laternenfest,
Mittwoch, 21. Juni
1922
Transferlithografie
Prasse Supplement II, Nr.7

VG Bild- Kunst, Bonn 2023
Foto: Antonia Sutter

Er gestaltete seinen Unterricht entsprechend, teilte Erfahrungen seiner eigenen Entwicklung mit, liess den Studenten freien Raum für ihre schöpferischen Ideen, übte den freien Gedankenaustausch mit ihnen.  Selbst blieb er, ebenso wie Paul Klee oder Wassily Kandinsky trotz der geforderten Bauhausideale seiner eigenen Bestimmung, die ihn als „freien Künstler“ sah, treu. Nach dem Umzug des Bauhauses nach Dessau wirkte er ab 1926 nur noch als „Meister ohne Lehrverpflichtung“ mit, um sich vollkommen seiner künstlerischen Arbeit widmen zu können. 1932 endete seine Bauhaus-Zeit.

Lyonel Feininger
Badende am Strande (V)
1915
Öl auf Leinwand
Privatsammlung

© VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Foto: Antonia Sutter

Neben der Architektur thüringischer Dörfer faszinierte ihn in den 1920iger Jahren das Meer. Regelmässig besuchte er das pommersche Fischerdorf Deep, das heutige polnische Mrzezyno, an der Ostsee. Zahlreiche „Natur-Notizen“, aber auch Aquarelle zeugen von seiner Begeisterung für diese Landschaft. Im Dessauer Atelier entstanden dann die ganz „eigenen Feininger Meereslandschaften“, die die Faszination für der Weite der Landschaft, die Varianz und Vielschichtigkeit der Farben wiedergeben. 

Lyonel Feininger,
Dünen am Römerberg,
Rahmenmaß 48,5 x 77,5 cm,
Privatsammlung, Courtesy Moeller Fine Art, New York,
© VG Bild-Kunst, Bonn 2023 

Der Raum ist klar gegliedert. Strand, Düne, Horizont mit Wolken sind klar voneinander absetzbare Flächen, in die sich die menschliche Figur einfügt. 

Ein Leben in Deutschland war bald nicht mehr möglich, seine Kunst wurde, wie die vieler anderer, verachtet. 1936 weilte Lyonel Feininger erstmals wieder in seinem Geburtsland, um einen Sommerkurs am Mills Collage in Oakland zu leiten. 1937, er war wieder eingeladen worden, nahm er die Einladung schweren Herzens zum Anlass, endgültig mit seiner Frau nach New York überzusiedeln. 

 

 

Lyonel Feininger,
Manhattan I,
1940,
Öl auf Leinwand, 100,5 x 80,9 cm,
The Museum of Modern Art, New York. Schenkung von Julia Feininger, 1964,
© The Museum of Modern Art, New York / Scala, Florence /
VG Bild-Kunst, Bonn 2023 

Fast 20 Jahre blieben ihm in der neuen, alten Umgebung. Er nutzte sie, malte allerdings weniger Ansichten seiner Umgebung, vielmehr griff er nach seinen „Natur-Notizen“, um sich immer wieder mit seinen geliebten Motiven thüringischer Kirchen oder dem pommerschen Meer zu beschäftigen. 

„Was ich wirklich misse, ist nach der Natur zeichnen und „Notizen“ zu Machen, wie an der Ostsee, in Deep, oder in den Dörfern um Weimar. Irgendwie genügen mir die Motive hier nicht, sie enthalten zu wenig von meinem inneren Wünschen und führen zu naturalistischen Ergebnissen. “
Brief an T.Lux Feininger, New York, 6. Oktober 1953, in „Lyonel Feininger“, Junge Kunst, Klinkhardt & Biermann, 2015, S. 44

Dr. Sebastian Baden, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt, sagt über die aktuelle Ausstellung LYONEL FEININGER. RETROSPEKTIVE : „In der einmaligen Zusammenschau wird die Vielseitigkeit seines Gesamtwerks deutlich, das einige Entdeckungen bereithält.“ Es sind 160 Gemälde, Zeichnungen, Karikaturen, Aquarelle, Holzschnitte und Fotografien. Alle Themen Feiningers Schaffen werden angesprochen. 

Lyonel Feininger lebte und arbeitete in einer Zeit großer gesellschaftlicher Turbulenzen, Konsolidierung des Deutschen Reiches nach 1871, der Erste Weltkrieg, die politischen Wirrnisse danach, Weltwirtschaftskrise während der Weimarer Republik, der aufkommende Nationalsozialismus – Feiningers Werk ließ das alles aus. Unangefochten beschrieb er das Schöne, das ausserhalb des Trubels bestehende Materielle und Natürliche. Es veranlasst heutige Rezensenten z.B. zu der Aussage „Malen ohne Bekenntniszwang“ („Die Welt“ vom 21.12.2023) und finden das irritierend. Spricht aber die Begeisterung der Besucher für Feiningers Werk und die Präsentation in der Schirn nicht ein eigenes Urteil, vielleicht gerade weil er so malte?

Lyonel Feininger, Der alte Mann im Wald
um/ca. 1950 – 1955, Öl auf Leinwand
Harvard Art Museums/ Busch-Reisinger, Museum Cambridge, MA,
Schenkung von Julia Feininger
VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto Antonia Sutter

Lyonel Feininger
Retrospektive
bis 18. Februar 2024

SCHIRN KUNST­HALLE FRANK­FURT am Main
GmbH, Römer­berg
D-60311 Frank­furt am Main
Tel +49 69 299882-0
welcome@ SCHIRN. de

Öffnungszeiten
Dienstag, Freitag – Sonntag 10–19 UHR
Mittwoch und Donnerstag 10–22 UHR