Das Museum Barberini Potsdam zeigt bis zum 1. April 2024 die grosse Sonderausstelllung „Munch.Lebenslandschaft.“
Gezeigt werden über 110 Werke des norwegischen Künstlers Edvard Munch (1863 – 1944).
Edvard Munch
Fruchtbarkeit
1892
(das linke Bild)
Ausstellungsansicht
Munch. Lebenslandschaft
© David von Becker
War Edvard Munch also ein Landschaftsmaler? Nein, war er nicht!
Seine Themen drehten sich um Leben und Tod, Frau und Sexualität, um Einsamkeit. Landschaften waren allerdings in seinen Werken von der ersten Stunde bis ins hohe Alter immer dabei. Landschaft und Figuren verschmolzen zu einer sich bedingenden Einheit, zeigten, wie das Seelenleben seine Landschaftsdarstellungen beeinflusste. Immer zwangen die Figuren die Landschaften auf diesen Bildern, sich ihnen unterzuordnen. Das Übrige drumherum war einfach da, um unterstützend „hervorzuheben, was die Figuren verkörperten.“
Munchs zunehmende Bevorzugung allgemeiner landschaftlicher Themen vor allem in seinen späteren Jahren versucht der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgard (*1968) so zu begründen:
Verständlicher ist vielleicht Munchs gesundheitlicher Zustand in diesen Jahren. 1908 hatte er in Kopenhagen einen schweren körperlichen und seelischen Zusammenbruch mit Halluzinationen und Lähmungen erlitten. 8 Monate Behandlung in einer Nervenklinik folgten. Genesen kehrte er nach Norwegen zurück. Es gelang ihm, sein Leben neu zu ordnen, sich auf sich zu besinnen, ein neues Atelier zu beziehen, vor allem ein geregeltes und naturverbundenes Leben zu führen. Das zeigte sich auch in seinem künstlerischen Schaffen.
Helle Farben, locker mit dem Pinsel aufgetragen vertrieben seine dunkle, matte und flächige Malweise, Landschaften ohne melancholische Untertöne, Porträts und Selbstporträts, Bauern, Fischer oder Gärtnerinnen gehörten jetzt zu seinen bevorzugten Motiven.
Edvard Munch
Frau mit Kürbis,
1942
Ol auf Leinwand, 130 x 100,5 cm
Munchmuseet, Oslo
Besonders vor diesem gravierendem Einschnitt 1908 in Kopenhagen beherrschten die grossen familiären Verluste, die er in jungen Jahren erfahren musste, sein Seelenleben, seine Kunst.
Er war fünf, als seine 33 Jahre alte Mutter an Tuberkulose starb. Neun Jahre später erlag seine geliebte, wenig ältere Schwester Sophie im Alter von 15 Jahren dieser Krankheit. Mit 25 verlor er seinen Vater, als Edvard 32 war, starb sein Bruder Andreas.
Angstzustände, Bindungsängste und Depressionen wurden seine Begleiter. Als gefühlsgeleitet, nervös und egozentrisch beschrieben ihn Zeitgenossen. Nach dem Tod seiner Mutter nahm deren Schwester Karen Marie Bjolstad (1839 – 1931) die Mutterrolle ein. Als sie starb, beteiligte sich Edvard Munch nicht an der Beerdigung. Er stand als 68jähriger ausserhalb der Kirchhofmauern und verfolgte die Zeremonie aus Distanz.
Knausgard schreibt:
Grosse Furcht hatte er vor intimen Beziehungen, die er zwar suchte, denen er im entscheidenden Moment aber wieder entfloh.
Sein Vertrauen in andere, in die Welt war zerbrochen.
Edvard Munch
Mädchen auf der Brücke,
1902
Ol auf Leinwand, 100 x 102 cm
Privatsammlung
Munch schrieb selbst:
Krankheit, Wahnsinn und Tod hielten wie schwarze Engel Wacht an meiner Wiege. Sie haben mich durch mein ganzes Leben begleitet.
© 2023 eppendorfer.de
Seine Tante und Stiefmutter Karen Marie Bjolstad war selbst eine begeisterte Zeichnerin und Malerin. Sie förderte das früh erkannte Talent Edvards entscheidend. Edvard Munch wuchs in Kristiania, dem heutigen Oslo auf. Schon sehr frühzeitig schloss er sich einem jungen Künstlerkollektiv „Pultosten“ an. Mit 22 Jahren gelang ihm sein erstes Meisterwerk „Das kranke Kind“ (1885-86), in dem er seine Trauer, den unrettbaren Verlust seiner geliebten Schwester Sophie thematisierte. Mit Häme wurde dieses Bild von den Einheimischen verrissen. Bis 1892 war er ein Suchender. In verschiedenen Ausdrucksformen, realistischer und impressionistischer Malweise, lassen sich Werke aus dieser Zeit finden. Weitere Ausstellungen stiessen auf zunehmendes Interesse und erlaubten ihm, Bildungsreisen nach Paris und Berlin zu finanzieren.
Die wichtigste Zeit brach für ihn an. In den letzten 10 Jahren des 19. Jahrhunderts schuf er die Arbeiten, die wir sofort mit seinem Namen verbinden, gedeckte Farben, flächig, minimalistisch, in denen er seine psychischen Befindlichkeiten sichtbar machte. Dafür stehen zum Beispiel:
„Abend auf der Karl-Johnn-Strasse“ von 1892
„Der Schrei“ von 1893,
„Der Sturm“ von 1893,
„Angst“ von 1894,
„Madonna“ von 1894/95,
„Pubertät“ von 1894/95, oder
„Melancholie“ von 1894/95
Erste Landschaften im Zuge seines „Lebensfrieses“ entstanden in der typischen symbolistischen Munch‘schen Malweise, wie „Sommernachtstraum (Die Stimme)“ von 1893 und „Mondschein“ von 1895.
Nach der Jahrhundertwende erschloss Munch neue Themen. Landschaftsstimmungen an der Küste, im und am Wald, Felder im Sommer und schneebedeckt im Winter rückten in den Mittelpunkt seiner Malerei.
Edvard Munch
Der gelbe Baumstamm,
1912
Öl auf Leinwand, 129,5 x 159,5 cm
Munchmuseet, Oslo
In den Jahren 1905/06 weilte er im thüringischen Bad Ilmenau, Bad Elgersburg und in Weimar. Hier entstanden 5 Landschaftsbilder, die in ihrer Orginalität, Farbigkeit und natürlichen Weite eine einmalige Ausstrahlung erzeugen, Angst?, Einsamkeit?
So wie er viele seiner Motive mehrfach malte, so entstanden in den 1920er Jahren bis 20 „Ulmenwald-Bilder“.
Neben dem „Lebensfries“ nahm Edvard Münch Anlauf für grosse Wandfriese. 1906 schuf er den sogenannten „Reinhardt-Fries“ für den sogenannten Bohnensaal der Berliner Kammerspiele. Diese Bilder wurden später, fast ungesehen, verkauft. Er schmückte die Arbeiter-Kantine einer Osloer Schokoladenfabrik mit 12 Gemälden aus (1922), eine geplante Arbeit für das Osloer Rathaus wurde aus gesundheitlichen Gründen fallengelassen. So stehen die stimmungsvollen Naturgemälde für die Aula der Osloer Universität für sein großes Können.
In der Potsdamer aktuellen Ausstellung werden die „Vorarbeiten für diese Aula-Bilder, die seit über 100 Jahren nicht mehr in Deutschland zu sehen waren“, gezeigt. Eindrucksvoll, an der Stirnseite der Aula hängend, ist das Monumentalwerk „Solen“, „Die Sonne“ zu bewundern. Er malte die gesamte Serie von 1909 bis 1916. „Solen“ zeigt die Dezembersonne über der Hafeneinfahrt der Stadt Kragero. Hier hatte er einige Zeit gelebt.
Edvard Munch
Die Sonne,
1910-1913
Öl auf Leinwand, 163,5 × 202,5 cm
Munchmuseet, Oslo
Sie bedeutet:
Die grundlegende Mission der Universität – Aufklärung – kommt in einem majestätischen Sonnenaufgang zum Ausdruck.
Die weiteren Gemälde zeigen, nach Munch, eine Ideenwelt mit folgenden Titeln: 1. Kjemien (Chemie). 2. Historien (Geschichte), 3. Nye stråler (Neue Strahlen), 4. Kvinner vendt mot solen (Frauen, der Sonne zugewandt), 5. Våknende menn i lysflommen (Erwachende Männer im Lichte), 6. Solen (Die Sonne), 7. Genier i lysflommen (Genies im Lichte) 8. Menn vendt mot solen (Männer, der Sonne zugewandt), 9. Høstende kvinner (Erntende Frauen), 10. Alma Mater, 11. Kilden (Die Quelle).
aus https://www.norwegenservice.net/munchs-sonne-in-der-aula
Edward Munch schuf in seinem 60 jährigem Arbeitsleben 1789 Bilder. Er verfügte, dass nach seinem Tod alle Aquarelle, Druckgrafiken, Holzschnitte, Radierungen, Lithografien, Kupferplatten und Skulpturen sowie Fotos, Skizzen- und Tagebücher und Manuskripte der Stadt Oslo übereignet werden. Sie sind heute im Munch Museum in Oslo beheimatet, das seit Oktober 2021 in einem sehr modernen, futuristischen Neubau untergebracht ist.
Edvard Munch war durch zahlreiche Ausstellungen, Galerien und Verkäufe schon zu Lebzeiten in Europa und Amerika ein gefeierter und gepriesener Künstler. So wie Paul Cezanne (1839-1906), Paul Gauguin (1848-1903) und Vincent van Gogh (1853-1890) war Edvard Munch ein künstlerischer Einzelgänger. Zwar waren alle 4 im Austausch mit den Tendenzen ihrer Zeit, dennoch gingen alle 4 ganz eigene Wege. Durch seine Bildthematik hat Edvard Munch dem Expressionismus vorgearbeitet. Seine Motive von Sexualität, Schmerz, Krankheit, Tod und Landschaften wurden von den deutschen Expressionisten vor allem von der Dresdner Künstlergruppe „Die Brücke“ aufgenommen.
Edvard Munch
Selbstbildnis vor der Hauswand in Ekely,
1926
Öl auf Leinwand, 92 × 73 cm
Munchmuseet, Oslo
Munch. Lebenslandschaft
bis 1.April 2024
Museum Barberini, Potsdam
Humboldtstrasse 5-6, 14467 Potsdam
Öffnungszeiten
9:00 bis 19:00 Uhr ,
dienstags geschlossen