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Die Geschichte der Punch Needle

Faserkünstlerin und Modedesignerin Micah Clasper-Torch aus Los Angeles ist eine echt Expertin für die Punch Needle und die verschiedenen Techniken des Handwerks. In sisterMAG No. 61 gewährt sie euch einen kleinen Einblick in die Welt und Geschichte der Punch Needle. Vielleicht könnt auch ihr bald die Punch Needle zücken und eure ganz eigenen Kreationen zaubern!

Die Geschichte der Punch Needle

Innerhalb der letzten Jahre ist die Punch Needle – im Deutschen auch als »Nähahle« bekannt – dank Social Media wieder zu einem populären Werkzeug geworden. Die Künstler*innen und Crafter, die sie verwenden, haben ihre Handwerkskunst fast alle über Instagram kennengelernt, sind auf Pinterest darüber gestolpert und haben sich mit YouTube-Tutorials weitergebildet. Doch trotz dieser neuen Welle und den tausenden von Fotos, Videos und Blogposts, die sie mit sich bringt, bleibt eine große Frage weiterhin ungeklärt: wo kam die Technik eigentlich her? Was ist die Geschichte hinter dieser Handwerkskunst? Wie sich herausstellt, ist die Antwort gar nicht so einfach.

Es gibt drei verschiedene Arten des Punch Needling, die unser heutiges Verständnis des Handwerks beeinflussen: eine aus den USA stammende Technik namens »rug hooking«, wörtlich übersetzt »Teppich-schlaufen«, die russische Miniatur-Punch Needle Stickerei und die japanische Technik des »Bunka Shishu«. All diese Varianten nutzen die hohle Nähahle oder punch needle, um Fasern durch einen Hintergrundstoff zu befördern – jede Technik mit unterschiedlichen Materialien, die ihre eigene Geschichte und einen eigenen Zweck haben.

Punch Needle Rug Hooking

Dieser leicht erkennbare Stil des Punch Needling macht einen Großteil des momentanen Trends aus (dank Arounna Khounnoraj und Amy Oxford). Punch Needle Rug Hooking verwendet dickes Garn und eine lange Nadel, die für die typischen Schlingen sorgen.

Punch needle rug hooking entstand im späten 19. Jahrhundert aus der amerikanischen Handwerkskunst des »rug hooking« oder »Teppich-schlaufen« und ist damit als nordamerikanische Kunstform bekannt.

In den späten 1830ern waren Bodenbedeckungen und Teppiche aus Manufakturen im Trend in Frankreich und damit auch in den reichen Haushalten in amerikanischen Städten populär. Da deren Preis jedoch meist weit außerhalb der Budgets ländlicher amerikanischer Haushalte lag, entwickelten kreative und sparsame Frauen an diesen Orten ihre eigene Technik, um schöne Teppiche für ihre Häuser herzustellen.

Landwirtschaftlich geprägte Gemeinden hatten damals viele Leinensäcke vom Futter ihrer Tiere übrig und somit begannen die Frauen, mit einer kleinen Nadel aus Metall an einem Holzgriff (ähnlich einer Häkelnadel), Stoffstreifen von alten Kleidern und Lappen durch den Leinenstoff zu ziehen. Daraus wurden dichte Bodenbedeckungen mit Schlaufen. Zu Beginn waren diese Modelle noch eher rustikal und das Rug Hooking als Handwerkskunst war ein Zeichen von Armut. Doch nach und nach entwickelten die Frauen Teppiche, die nicht nur praktisch waren, sondern auch sehr künstlerisch, mit eigenen Designs passend zu Haus und Geschmack.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde das Rug Hooking immer beliebter und im Jahr 1886 patentierte Ebenezer Ross aus Toledo Ohio die erste Punch Needle als Werkzeug-Alternative zum traditionellen Teppichhaken. Mit diesem »The Griffin« genannten Werkzeug konnten die ersten Teppichhäkler*innen schneller arbeiten, indem sie die Schlaufen von oben durch den Stoff stachen, anstatt das Garn von unten herauszuziehen.

Mit dieser vergleichsweise einfachen und schnellen neuen Technik wurde diese Art der Teppichherstellung immer beliebter und entlang der Ostküste der Vereinigten Staaten bis nach Kanada öffneten zahlreiche Teppich-Studios. In den 1920ern waren darunter besonders bekannte Namen wie Abnake Rugs in New Hampshire, Cranberry Rug Industry in Maine, das Mills-Mosseller Studio in North Carolina und The Ruggery in New York. Die Arbeit eines talentierten Punch Needle Rug Hookers hielt für viele Generationen und Schlingenteppiche waren in einigen Gemeinden so beliebt, dass ein paar Teppiche von Walderboro Maine im Jahr 1930 einen unglaublichen Preis von $1.550 bei einer Auktion erzielten — das wären heute fast $24,000!

Im Laufe der 1930er und 1940er Jahre wurden Maßanfertigungen von Punch Needle Schlingenteppichen zu einem der begehrtesten Einrichtungsstücke. Moderne Künstler*innen experimentierten mit der Handwerkskunst und stellten Teppiche und Wandteppiche aus ihren Gemälden her. Die Arbeit dieser Künstler*innen und Handwerker*innen war schon bald in den Häusern der berühmtesten Filmstars und Politiker*innen zu finden und zierte die Böden der großen Villen im reichen New England. Auch Museen wie das Metropolitan Museum of Art und das Smithsonian stellten die Werke aus. Mehr als nur Handwerk, war das Punch Needle Rug Hooking jetzt eine wahre amerikanische Industrie, die vielen Frauen und Männern von den Appalachen bis Maine für viele Jahrzehnte einen Lebensunterhalt durch Heimarbeit und Kreativität brachte.

Leider brachten die 1950er Jahre die Erfindung von Tuftmaschinen mit sich, sodass der Großteil der amerikanischen Teppichproduktion ins Ausland verlegt wurde (wobei Handtuftmaschinen auch heute wieder beliebter werden!). Viele Teppich-Studios schlossen ihre Türen für immer und außer einer kurzen Welle in den 1970ern wurde das Punch Needle Rug Hooking zu einer vergessenen Kunst, unbeachtet trotz einer reichen Geschichte – bis heute!

Russische Miniatur-Punch Needle Stickerei

1974 besuchte eine Frau namens Jean Cook Anderson eine Gemeinde der Russian Old Believers in Woodburn, Oregon (USA) und verliebte sich dort in die hervorgehobenen Relief-Stickereien, die sie auf Kleidung, Vorhängen, Tischdecken und Kissen fand. Die Old Believers, eine russisch-orthodoxe Gruppe, die sich nach Jahrhunderte alten Traditionen kleiden und leben, nannten diese Technik »Igolochkoy« (übersetzt »mit einer kleinen Nadel«) und praktizierten das Handwerk seit Generationen.

Fasziniert von der Technik, bei der viele kleine Schlingen zusammen gruppiert werden, um atemberaubend schöne und fein-detaillierte Verzierungen in der Form von Blumen, Tieren und anderen Motiven zu erzielen, bat Jean eine der Frauen, ihr das Handwerk beizubringen. Der Prozess nutzt eine winzige Nadel, knapp über 2 cm lang, um Schlaufen feinen Garns durch Baumwoll- und Polyesterstoff zu schieben. Durch die Dichte der winzigen Stiche bleiben die Schlaufen ohne Kleber an Ort und Stelle und bilden eine Struktur, die durch Nutzung und Waschen nur noch gestärkt wird. Bald interessierten sich auch andere, nicht-Old Believer für die Technik und Nadeln wurden unter dem Namen der Igolochkoy Firma produziert. Die Technik wurde in den ganzen Vereinigten Staaten und darüber hinaus als dekorative Form des Kunsthandwerks bekannt.

Über die Geschichte der russischen Miniatur-Punch Needle Stickerei ist außerhalb der Old Believer-Kreise der 1970er Jahre leider nur sehr wenig bekannt. Da die Migration der russischen Old Believer in die ganze Welt bereits im 17. Jahrhundert zunahm, ist es nicht bekannt, ob die Technik aus Russland mitgebracht wurde, oder ob sie erst in den neuen Gemeinden entstand und eventuell von Reisen durch die Türkei oder Ukraine inspiriert ist. Praktizierende und Lehrende der Kunstform haben die ganze Welt bereist und in Museen in Kiew, Polen und Ungarn keine Spuren der Technik gefunden – keine der Kuratoren kannte sie. Somit sind die einzigen überbleibenden Beispiele der Technik diese aus dem 20. Jahrhundert.

Bunka Shishu

Japanische Punch Needle Stickerei, oder »Bunka Shishu«, ist nochmal etwas anders als das Punch Needle Rug Hooking und die Miniatur-Punch Needle Stickerei: während diese beiden Techniken oft verwechselt werden können und oft beide als »punch needle« bezeichnet werden, ist Bunka sehr eindeutig erkennbar, etwas unbekannter und genießt (noch) nicht die gleiche Aufmerksamkeit.

Bunka wird mit einer etwas anderen hohlen Nadel angefertigt. Dabei wird nur eine bestimmte Art Viskose-Faden verwendet und mit einem eng gewebten Polyester-Gabardine-Stoff gearbeitet. Der Faden wird auseinandergezogen und immer nur ein Strang davon verwendet. Die »Knicke« im Faden und deren Schlaufen halten die Faser im Stoff fest. Bunka ist die einzige Punch Needle Technik, bei der der Stoff von vorne bearbeitet wird und bei den langen Stichen genutzt werden, die traditioneller Stickerei ähneln, statt der Seite mit den Schlaufen.

Bunka entstand im 19. Jahrhundert in Japan, kurz nachdem Viskose erfunden wurde. Im Gegenteil zu den anderen Techniken wurde es nicht zu praktischen oder gar dekorativen Zwecken verwendet, sondern galt ausschließlich als Kunst. Fertige Werke werden, ähnlich wie Ölgemälde, gerahmt. Bunka ist die Definition des Malens mit Faden! Frühe Bunka Werke zeigen oft Blumen, Tiere und Landschaften in wunderschönen Schattierungen und Farben.

Man sagt, dass Bunka nach dem zweiten Weltkrieg mit einem Soldaten in die USA kam, der seine japanische Braut mit nach Hause brachte – und sie mit sich ihre Liebe zu dieser Kunst. Sie unterrichtete andere und das Kunsthandwerk verbreitete sich in den Vereinigten Staaten und der ganzen Welt.

Anders als Punch Needle Rug Hooking und Punch Needle Embroidery ist Bunka eine sehr zerbrechliche Kunstform und kann nicht gewaschen oder anderweitig verwendet werden. Der spezielle Faden ist das Hauptmerkmal der Kunstform und macht die einzigartige Schönheit aus, da das fertige Werk noch durch Bürsten und andere Techniken weiterbearbeitet werden kann, um unterschiedliche Texturen und Effekte zu erzielen.

Bunka wird auch heute noch überall auf der Welt von einer kleinen Gruppe von Liebhaber*innen praktiziert, obwohl die Technik den meisten Textilkünstler*innen unbekannt bleibt.

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Heute ist die Schönheit und Kunst des Punch Needling mit seiner reichen Geschichte der Selbstgenügsamkeit, Kreativität und langsamer Handwerkskunst das Herzstück einer neuen, kreativen Generation. Zeitgenössische Kunsthandwerker*innen integrieren Punch Needle Designs in ihren Kissen, Wandteppichen, Accessoires und vielem mehr und zeigen ihre bunten Designs und Farbkombinationen, die in deutlichem Kontrast zu den traditionell dunklen Farben und Volkskunst-Mustern der traditionellen Werke stehen. Kreative auf der ganzen Welt experimentieren mit den Möglichkeiten des Punch Needle als Hobby, als Geschäftsidee und als Kunst.

Ein genaueres Verständnis der Unterschiede zwischen den traditionellen Varianten lässt das zeitgenössische Punch Needle in neuem Licht erscheinen. Es zeigt auf, dass wir diese traditionelle Technik in unserer Arbeit zelebrieren können und erlaubt, die Geschichte dieser einzigartigen Kunst hervorzubringen – und dabei ganz neue Dinge in modernem Design entstehen zu lassen, die die Grenzen des Verständnisses erweitern.

 

Lest außerdem unser Interview mit Micah Clasper-Torch.