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Japanische Materialien, eine Typologie – Teil 1

Japanische Materialien und Handwerkskunst 1/2 | Von Stahl über Seide, Papier, Reisstroh und Bambus bis zu, ja, Beton: Japanisches Design legte schon immer einen besonderen Fokus auf eine hohe Qualität der Materialien und traditionelle Herstellungsweisen. Viele davon werden bis heute ausgeübt. In dieser Typologie stellt euch Elisabeth Stursberg im sisterMAG einige der wichtigsten Materialien vor – und was aus ihnen entsteht.

Japanische Materialien, eine Typologie

Traditionelle Handwerkskunst blüht in Japan – Teil 1

Von Stahl über Seide, Papier, Reisstroh und Bambus bis zu, ja, Beton: Japanisches Design legte schon immer einen besonderen Fokus auf eine hohe Qualität der Materialien und traditionelle Herstellungsweisen. Viele davon werden bis heute ausgeübt. In dieser Typologie stellen wir euch einige der wichtigsten Materialien vor – und was aus ihnen entsteht.

Stahl: Küchenmesser als Sehnsuchtsobjekte| Die Entwicklung der nicht nur unter Foodies weltberühmten japanischen Küchenmesser verlief parallel zur Weiterentwicklung des Samurai-Schwertes, beziehungsweise wurde von dieser angetrieben – wir verdanken den inzwischen riesigen Markt also einem glücklichen Zufall der Schmiedetradition. Was macht japanische Messer so besonders? Für ihr Grundmaterial, Hochleistungsstahl, gibt es mehrere Stellschrauben, allen voran Schärfe sowie Schärfehaltigkeit und Schärfepotenzial – alles nicht dasselbe. Entscheidend ist hier vor allem der Kohlenstoffanteil: je höher, desto härter der Stahl. Und je härter der Stahl, desto schärfere Klingen sind möglich. Hoch ist bereits ein Anteil von 1,4% wie bei der beliebten Stahlsorte »aogami« (blaues Papier). Mehr Schärfe ist aber nicht automatisch besser; die Schneidleistung wird auch durch Klingengeometrie und Flexibilität, nicht zuletzt auch durch die Beständigkeit der Klinge beeinflusst: Messer mit hoher Schärfe (63 HRC bis 67 HRC) leiden schneller, wenn sie auf zu harten Unterlagen eingesetzt werden – besser sind Holz- und Bambusbretter oder weiche Kunststoffunterlagen. Eine niedrigere Schärfe per se (56-58 HRC) bedeutet auch, dass das Messer leichter zu schärfen und weniger anfällig für Brüche oder Scharten ist. Rostfrei wird das Messer durch mehr Chrom im Stahl (etwa 15%), was bei japanischen Messern aber nicht Standard ist.

Seide: Kimonos für besondere Anlässe | Japanische Seide ist besonders fein und dicht. Jahrhundertelang wurde sie von Hand gesponnen; erst in der Meiji-Zeit, als Japan sich nach Westen öffnete und rasant zur wichtigsten Industrienation der Welt aufsteigen wollte, automatisierte man die Produktion – mit französischer Technologie. Es war die ideale Symbiose: Frankreich hatte das Know-how, aber nach einer Seidenraupen-Epidemie wenig vom Rohstoff, wovon Japan wiederum mehr als genug hatte. Die bis heute besondere Beziehung der beiden Länder beruht auch auf frühen Kooperationen wie dieser. Die erste »moderne« japanische Seidenspinnerei, also Fabrik, steht in Tomioka in der Präfektur Gunma, 2014 erklärte die UNESCO sie zum Weltkulturerbe. Um genug Seide für die Produktion eines Kimonos zu erhalten, werden übrigens 2800 bis 3000 Seidenwürmer benötigt, die im Rahmen des Herstellungsprozesses abgetötet werden – weil sie andernfalls beim Verlassen ihres Seidenkokons ein Loch in diesen reißen würden.

Papier: die Bespannung von »shōji« | Der japanische Schriftsteller Tanizaki Jun’ichirō beschreibt in seinem Essay Lob des Schattens – Entwurf einer japanischen Ästhetik (1933) die Faszination: »Wenn wir westliches Papier vor uns haben, empfinden wir nichts, außer dass es sich um einen einfachen Gebrauchsgegenstand handelt. Wenn wir jedoch die Musterung von China- oder Japan-Papier betrachten, so spüren wir darin eine Art Wärme, die unser Herz beruhigt.« Prozesse wie die Mehrfachschöpfung machen japanische Papiersorten besonders reißbeständig; das Ersetzen von Chemikalien durch Aschenlauge macht sie außerdem alterungsbeständig – und damit beliebt für Restaurierungen und die Buchbinderei. Die »shōji« schließlich, mit Papier bespannte Schiebewände, filtern und dämpfen, umso mehr, wenn sie als Fenster eingesetzt werden, das von außen hereinströmende Licht auf eine Weise, die dem japanischen Empfinden genau entspricht. Denn die Schönheit traditionell eingerichteter Innenräume, so Tanizaki Jun’ichirō, besteht in eben dieser »Abstufung der Schatten«.

Reisstroh: nicht nur nachhaltige Dämmung | Stark verdichtetes Reisstroh bildet den Kern, bespannt wird er mit gewebtem Igusa-Gras: Tatami-Matten sind in Japan allgegenwärtig. Sie dämpfen den Schritt, dämmen den Boden – und waren eine Maßeinheit für Zimmergrößen, bezeichnet mit »jō« (ca. 1,64 m²): Ein traditioneller japanischer Teeraum umfasste 4,5 »jō«, in einem üblichen Zimmer konnten man genau 6 Tatami-Matten auslegen (ca. 10 m²). Nachdem Stroh, das überall in Massen anfällt, wo Reis angebaut wird, bisher meist verbrannt wurde, hat ein thailändisches Unternehmen nun das Potential erkannt und ein Verfahren entwickelt, um daraus Papier herzustellen.

Bambus: viel mehr als nur Holz | »Der Bambus, der sich biegt, ist stärker als die Eiche, die Widerstand leistet.« Damit ist über die praktischen Vorzüge von Bambus als handwerkliches Material das meiste gesagt (und wir haben eine Lebensweisheit mitgenommen). Dass Bambus auch unter den Nutzhölzern eine besondere Stellung genießt, zeigt auch die Redensart »Holz zu Bambus fügen«, also der Versuch, »etwas Unvereinbares miteinander verbinden«. Die vielseitige Verwendung von Bambusrohr füllt ganze Bücher, wie die 1903 erschienene Ausgabe Die Verwendung des Bambus in Japan von Hans Spörry, der übrigens als Seideninspektor in Yokohama arbeitete. Nebenbei bemerkt gehört der Spaziergang durch einen Bambuswald zu den schönsten Naturerlebnissen überhaupt, Stichwort: Sagano.

Beton: Gebäude, die eine Bühne für ihre Umgebung sind | Tadao Andō, Träger des Pritzker-Preises für Architektur und einer einer der erfolgreichsten Übersetzer japanischer Wohn-Ästhetik für die restliche Welt, hat wesentlich dazu beigetragen, Beton als Baumaterial auch unter Ästheten wieder salonfähig zu machen. Seine Gebäude fügen sich auf einzigartige Weise in ihre Umgebung ein, teils sind sie fast ganz in die Erde versenkt, dennoch fällt wie durch ein Wunder genug natürliches Licht ein. »Meine Architektur kann nicht von der Natur getrennt werden«, sagt er, nur – wer hätte hier auf Beton getippt? Es ist aber tatsächlich der von Tadao Andō verwendete seidige Sichtbeton, der, in Schaltafeln nach Tatami-Maß, dank der sensiblen Bauweise zu einem erstaunlich effektiven Komplizen seiner Umgebung wird.

Teil 2 folgt in der nächsten Ausgabe.