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Die Trachtenbluse

In unserer sisterMAG »Blusen«-Ausgabe No. 59 schreibt Autor Dr. Michael Neubauer über die Trachtenbluse und ihre Geschichte sowie Entwicklung. Lest hier den ganzen Artikel.

  • Text: Dr. Michael Neubauer

Die Trachtenbluse

Verfolgt man die Kleiderordnung über die Jahrhunderte, so gab es oft Zeiten – wie im Mittelalter – ohne wesentliche Änderungen im Outfit: einfach, mit gedämpften praktischen Farben. Kam es zu Entwicklungen, so bereicherten sie, wenn auch mit klassen- und

bildungsabhängigen Unterschieden, in der Regel die Modelandschaft. Dies war etwa nach Aufhebung der Leibeigenschaft und im fortschreitenden 17. Jahrhundert zu verfolgen. So lange es die Bluse gibt, hat sie dabei – wenn auch in den verschiedensten Varianten – ihre Stellung behauptet.

Schon am Beginn des elften Jahrhunderts n. Chr. trugen byzantinische Hofbeamte enge, schmucklose Oberteile mit langen Ärmeln unter ihren reich verzierten Kleidern, die man als »Blusen« bezeichnen kann.

Blusen nach unserem Verständnis entwickelten sich allerdings erst im ausgehenden Mittelalter aus der kurzen, nur bis zum Gürtel reichenden Form des »Bliaud« – eines hemdkittelartigen Obergewands beider Geschlechter.

Fortan übernahmen Blusen mehr als andere Kleidungsstücke zwei Funktionen. Zum einen sind sie zu einem wichtigen Teil der zeitbezogenen Kleidung geworden, der alle Trends modischer Gestaltung oder der Verwendung unterschiedlichster Materialien wie Baumwolle, Leinen oder Seide begleitet. Andererseits wurde und wird die Bluse als Symbol einer beruflichen (z.B. Polizei, Feuerwehr, Straßendienst), gruppenbezogenen (etwa Vereine und Musikgruppen) oder politischen (z.B. HJ-Bluse, FDJ-Bluse) Zugehörigkeit benutzt.

Die Trachtenbluse nimmt eine Mittelstellung ein. Sie suggeriert Zugehörigkeit, wird aber immer mehr zu einem wichtigen Mode-Accessoire entwickelt.

Im herkömmlichen Sinn vervollständigt die Trachtenbluse die Tracht. Früher verriet die Tracht als Alltagskleidung (vor allem im ländlichen Raum) viel über Stand und Herkunft seiner Trägerin. Konfession, Beruf, Herkunft und selbst Familienstand konnten abgelesen werden. Die Blusen mussten bequem sein, lange halten und waren anfangs ohne große Zier.

Immer mehr signalisierten sie gemeinsam mit der gesamten Tracht die heimatliche Kultur, so dass zunehmend ideenreiche Stickereien das Spezielle der Heimat ausdrückten.

Bevorzugten etwa die Bauern des Weserlandes einfache, bequeme weite Blusen, so legten die Brandenburger Wert auf aufwendige Spitzenbordüre an den Ärmeln. Schwarze, blumenbestückte Trachtenblusen verrieten hingegen Hessen oder Niedersachsen als ihr Herkunftsland. Eine große Tradition haben Trachten und Trachtenblusen, wo sie als Alternative zum Trachtenkleid getragen werden – in Bayern, wo man sie alljährlich auf dem Oktoberfest präsentieren und bewundern kann. Aber überall, wo es Trachtenvereine gibt, zeigen die Menschen in Deutschland bei Hochzeiten, Taufen, Dorffesten, traditionellen oder kirchlichen Festtagen ihre Blusen, um ihre Heimatverbundenheit zu demonstrieren.

Trachtenblusen haben aber auch den ganz normalen Alltag erobert. Passend zu Jeans oder Röcken betonen sie, nicht zuletzt wegen der vielen unterschiedlichen Ausführungen, ein elegantes, eher romantisches oder extravagantes modisches Outfit. Wir finden Lang- und Kurzärmel, Rüschen, runde oder eckige Ausschnitte, hochgeschlossene oder tief dekolletierte Varianten und Knopfleisten. Für das Blusenmaterial wird Baumwolle, Leinen, Seide, auch Samt verwendet. Der Stoff ist in Weiß gehalten, möglich auch dunkel bis schwarz, ist oft bestickt, kann aber auch ein Karo- oder Blumenmuster haben.

Heute geht der Trend zu Altbewährtem. Zarte Farben, hochgeschlossene Blusen mit Spitzendetails und Stehkragen, Dreiviertelärmel oder Kurzärmel bestimmen den Trend.

Trachten spielen in Europa und auf der ganzen Welt eine Rolle – immer regional bezogen. Uns sehr gegenwärtig sind Trachten und Trachtenblusen vor allem aus Ungarn und den Ländern Südosteuropas. Aufwendig gestickte, farbenfrohe Blumenmotive zieren die Blusen im Vorderteil, am Halsansatz oder auf der Vorderseite von Jeans. Häufig werden die Blusen von T-Shirts verdrängt, die aber auch durch Stickarbeiten veredelt werden.

In Rumänien wird am 24. Juni eines jeden Jahres der »Tag der rumänischen Bluse« gefeiert. An diesem Tag tragen alle rumänischen Frauen in aller Welt diese für Rumänien zur Identifikation gewordene Trachtenbluse. Zart mit roten Ornamenten auf Baumwolle oder Leinen handbestickt, gleicht kein Exemplar dem anderen. Jedes ist ein Original. Die aufgestickten Symbole sind allgemeingültig, zum Beispiel ist das Symbol für Weiblichkeit und Fülle ein Rhombus. Sehr bekannte Modedesigner wie Yves Saint Laurent, Oscar de la Renta oder Tom Ford nahmen rumänische Trachtenblusen in ihre Kollektionen auf.

Auf der weiteren Fahrt nach Bosnien, Bulgarien, Serbien oder Mazedonien findet man ähnliche, Jahrhunderte zurückführende Traditionen in der Bewahrung von Trachten.

Es sei eine neue Traditionsschöpfung ohne historische Grundlage, aber ich will sie nennen, sollte es doch jemanden treffen:

Bindet die »Dirn« ihre Schürzenschleife auf der vorderen rechten Seite, signalisiert sie, dass sie vergeben, verlobt oder verheiratet sei, bindet sie auf der linken vorderen Seite, soll es heißen, sie sei nicht gebunden. Befindet sich die Schürzenschleifenbindung hinten in der Mitte, hieße es, sie sei Witwe.

Man sollte es wissen, aber im konkreten Fall sich nicht darauf verlassen. Außerdem: Es ging ja nur um die Blusen …!