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Die anhaltende Demokratie der Bluse

Die Geschichte der Bluse und ihrer Entwicklung ist vielfältig und beständig zugleich – so schwungvoll wie ein Trapezkünstler und trotzdem mit der richtigen Balance. Auf ihrem Weg durch die Geschichte entwickelte sie sich von bäuerlich zu nobel, war mal männlich, mal weiblich und schließlich androgyn und unabhängig von Klassen. Die ganze Geschichte der Bluse hier im sisterMAG von Autor Christian Näthler.

Die anhaltende Demokratie der Bluse

Auf den Spuren der Geschichte eines Kleidungsstück für das Volk

Die Geschichte der Bluse und Ihrer Entwicklung ist so vielfältig und beständig zugleich – so schwungvoll wie ein Trapezkünstler und trotzdem mit der richtigen Balance. Auf ihrem Weg durch die Geschichte entwickelte sie sich von bäuerlich zu nobel, war mal männlich, mal weiblich und schließlich androgyn und unabhängig von Klassen.

Obwohl die Bluse in meinem Leben immer ein eher fremdes Kleidungsstück war, so war sie gleichzeitig dennoch sehr vertraut. In meiner Erinnerung, zwanzig Jahre zurück, habe ich das Bild meiner Mutter im Kopf, wie sie Ihre Bluse vorsichtig bügelte, um sie bloß nicht zu verbrennen. Ein Kleidungsstück für Frauen also? Sehr gut erinnere ich mich allerdings auch an die Puffärmelbluse, die Jerry Seinfeld (aus der US-TV-Serie »Seinfeld«) getragen hat, als er eine Charity-Aktion für Obdachlose moderierte. Elaine, seine Co-Moderatorin, war von Jerrys überladenem Stil so entsetzt, dass sie klagte: »Du solltest mitfühlend wirken, mit Verständnis für die Armen, und du siehst aus, als ob du gleich an einem Kronleuchter durch die Gegend schwingen würdest.« Sie verglich ihn mit Alexandre Dumas‘ Graf von Monte Christo aus dem Jahr 1844, wobei auch ein moderner Vergleich mit dem skurrilen Piraten Jack Sparrow durchaus angemessen gewesen wäre.

Tatsächlich aber hat die Bluse eine sehr schlichte Vergangenheit. Ihr Name ist entlehnt aus dem Französischen und bedeutet »Arbeitskittel«. Der Begriff beschreibt die von französischen Arbeitern und später von englischen Bauern des frühen 19. Jahrhunderts getragene blaue Bluse. Dennoch ist der eigentliche Ursprung der Bluse rätselhaft und wirft die Frage eines alten philosophischen Gedankenexperimentes auf: »Wenn eine Bluse bereits getragen wurde, bevor man sie als solche benannte, existierte sie dann bereits vorher?« Was wir nun wissen, ist, dass die Bluse weder edel noch en vogue oder gar pompös war. In der Zeit vor 1860 wäre es eher der Fall gewesen, dass Blusenträger sich auf Bohnenstangen durch die Gegend geschwungen hätten denn auf einem Kronleuchter. Das Blusengewand war in Fabriken und Bauernhöfen ein gängiges Kleidungsstück und wurde von Männern und Kindern getragen. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war die Bluse ein Kleidungsstück der männlichen Arbeiterschaft, und erst dann begann eine Wandlung und Weiterentwicklung.

Die moderne Bluse verdankt viel ihrer Beliebtheit dem italienischen Patrioten Giuseppe Garibaldi. Denn was viele nicht wissen, war dieser für zwei Revolutionen verantwortlich. Während der ersten im Jahr 1861 vereinte er Italien und führte es zur Republik, die zweite lag in der Frauenmode. Garibaldi hatte seine Guerillaarmee in rote Blusen gekleidet und so den Beweis geliefert, dass die Italiener trotz bitterer, tödlicher Kämpfe immer noch stilsicher und modisch waren. Es dauerte gar nicht lange, und Garibaldi entwickelte sich vom lokalen Volkshelden zur europäischen Stilikone. Die rote Kampfbluse fand in die Geschichte Einzug als Garibaldi-Shirt und wurde ebenso von der französischen Kaiserin Eugénie de Montijo getragen. » Für eine gewisse Zeit wurde Giuseppe Garibaldi zum berühmtesten Mann Europas, und die rote Bluse – la camicia rossa – wurde zur Mode für Frauen, auch außerhalb Italiens «, schreibt der Historiker Egon Friedell.

Es dauerte gar nicht lange, bis Europas Geldadel die emanzipierte rote Bluse für sich aufwertete und mit reichlich viktorianischem Prunk versah. Und dabei gab es schier keine Grenze. Zu dieser Zeit war die Bluse nicht mehr nur ein Kleidungsstück für Freiheitskämpfer und Bauern. Vielmehr waren die Bourgeois-Blusen der Oberschicht aus hochwertigem Material gefertigt und mit feinen Spitzenstickereien und hohem Kragen verziert. Auch Weiß etablierte sich zu dieser Zeit als Blusenfarbe. Schlichtere Alternativen wurden von der Arbeiterklasse übernommen, die damals schon aus immer mehr Frauen bestand. Die Bluse des Proletariats war aufgebläht, aber dennoch einfach gehalten – bildlich stellt man sich am besten eine weiße Kochmütze vor. In der Zwischenzeit begannen die Männer mittlerweile dem wohlgeformten Hemd die Treue zu schwören, da sich die Arbeitswelt mehr und mehr vom Beton- auf den Teppichboden verlagerte.

Von der Wende zum 20. Jahrhundert bis in die wilden Zwanziger blieben die Blusen prunkvoll für die Reichen und bescheiden für den Rest. Mit Beginn der Wirtschaftskrise war Schluss mit Bundfalten und Rüschen, und als der Zweite Weltkrieg seine Schatten vorauswarf, wurde das Blusendesign strenger und praktischer. Die Ärmel wurden enger und die Hälse von den bis dahin hohen Kragen befreit. Rosie, die Nieterin in ihrem Denim-Shirt, wurde zum neuen Sinnbild dieser Mode. Die Fünfziger waren gekennzeichnet vom sogenannten Hausfrauenstil – brav, aber schick genug, falls eine spontane Dinner-Party stattfand. Allerdings waren mit Beginn der 60er diese braven Zeiten rasch vorbei, und der Stil wurde wieder wilder. Damals waren die Blusen so allgegenwärtig, dass es durchaus schwer war, dabei eine gewisse Stilrichtung zu definieren. Jeder trug Bluse, und das Spektrum ging von der farblosen Masse der Bürofrauen bis hin zu der nach Bewusstseinserweiterung strebenden Flower-Power-Generation. Manche sahen dabei aus, als seien sie der Zeichentrickserie »Jetsons« entsprungen, andere ein wenig wie improvisierter Jazz. Diese Gegenkulturen bewirkten ebenfalls, dass die Männerwelt die Bluse wieder für sich entdeckte, wobei es sich zugegebenermaßen meistens um Künstler handelte. Das Piratenshirt von Jerry Seinfeld, welches in diese Ära gehörte, ist auch besser bekannt als Dichterbluse.

Reisen wir weiter in die heutige Zeit, in der eine Definition der modernen Bluse nahezu unmöglich ist. Der moderne Stil ist eine Verschmelzung aller Epochen und Jahrzehnte davor, und es gibt Blusen mit Muster, Falten und Plaid, aus Spitze und Seide, von Chiffon bis Chambray. Blusen haben Knöpfe links, rechts, vorne, hinten oder überhaupt gar keine. Es ist heute jede Variation möglich, egal ob im Stil der Bauern- oder der Carmenbluse. Somit schließt sich einmal mehr der Kreis um die Bluse. Sie ist unabhängig von Klasse oder Geschlecht, sondern wieder einmal für jeden tragbar und so der ultimative demokratische Klassiker der Mode.