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Zu Besuch in den Museen Haus Lange Haus Esters in Krefeld

Es ist wohl mittlerweile allen bekannt: 2019 ist das große Jubiläumsjahr der 1919 in Weimar gegründeten Kunstschule Bauhaus. Klar also, dass auch wir vom sisterMAG in unserem Kunstjahr dieses Themas aufgreifen. Unsere Kunstliebhaberin Caro hat sich auf den Weg nach Krefeld gemacht, um dort die Museen Haus Lange Haus Esters, die Ende der 1920er Jahre vom letzten Bauhaus-Direktor Ludwig Mies van der Rohe erbaut wurden, und die aktuelle Ausstellung »Anders Wohnen. Entwürfe für Haus Lange Haus Esters« zu besichtigen. Lest hier im sisterMAG 52 in einem umfangreichen Ausstellungsfeature ein interessantes Interview mit der Kuratorin Sylvia Martin zum Wirken des Bauhauses und dem Kunstangebot in Krefeld sowie einen persönlichen Erfahrungsbericht zur Ausstellung.

Zu Besuch in den Museen Haus Lange Haus Esters in Krefeld

Ausstellungsbesuch »Anders Wohnen. Entwürfe für Haus Lange Haus Esters«

Wir offenbaren hier sicherlich kein Geheimnis mehr: 2019 ist das große Jubiläumsjahr vom Bauhaus. Unzählige Publikationen, Ausstellungen und Filme fluten aktuell den Markt und zollen der 1919 in Weimar von Walter Gropius gegründeten Kunstschule ihren Tribut. Völlig klar also, dass auch wir im sisterMAG-Kunstjahr dem Bauhaus eine Ausgabe widmen.

Auch wenn Krefeld sicherlich nicht die erste Stadt ist, die einem in Bezug auf das Bauhaus einfällt, ist es doch ein Ort, der für einige Bauhaus-Akteure einen passenden Nährboden bot und sie zum kreativen Schaffen anregte. Ein wahres Schmankerl für Architektur- und Bauhausliebhaber sind da die Museen Haus Lange Haus Esters, die Ende der 1920er Jahre von der Baukunst-Ikone und dem letzten Bauhaus-Direktor Ludwig Mies van der Rohe als Privathäuser für die wohlhabenden Seidenfabrikaten Hermann Lange und Dr. Josef Esters erbaut wurden. Als öffentliche Museen zeigen die Häuser als Beispiele des »Neuen Bauens« mittlerweile in ihren Räumlichkeiten zeitgenössische Kunst.

Interview mit der Kuratorin Sylvia Martin (Kunstmuseen Krefeld)

1. Was steckt hinter den Kunstmuseen Krefeld? Wie setzen sie sich zusammen, und was beherbergt die Museumssammlung?

 Die Kunstmuseen Krefeld sind das Kaiser-Wilhelm-Museum in der Innenstadt, das 1897 von den Krefelder Bürger*innen finanziert und als eines der ersten Bürgermuseen gegründet wurde, und Haus Lange Haus Esters in einem ruhigen Wohnviertel, die von Ludwig Mies van der Rohe erbaut wurden. Im KWM wurde damals sehr Unterschiedliches gezeigt: Kunstgewerbe über Fotografie, über klassische Ausstellungsstücke der Bildenden Kunst. Es gab schon immer einen sehr fruchtbaren Austausch zwischen dem Museum und den Künstlern – das ist bis heute so geblieben. 1955 ist Haus Lange dazugekommen und Ende der 1970er Jahre dann Haus Esters, das ab 1981 für die Öffentlichkeit zugänglich wurde. Haus Lange Haus Esters fungieren vor allem als Wechselausstellungshäuser im zeitgenössischen Bereich, das KWM dagegen beherbergt die eigene Sammlung, die seit 1897 stetig wächst. Mittlerweile umfasst die Sammlung über 18.000 Stücke mit Konvoluten aus den Bereichen der angewandten Kunst, der Malerei, Skulptur, Grafik, Fotografie und der Neuen Medien. Unsere Direktorin Katia Baudin hat das Museum etwas umjustiert und agiert nun wieder verstärkt mit den historischen Beständen. Wir machen zurzeit viele Ausstellungen, in denen Dinge aus unterschiedlichen Jahrhunderten aufeinanderprallen und die Besucher*innen eingeladen werden, quer zu denken. Die Sammlung beginnt im späten Mittelalter, geht bis in die Gegenwartskunst hinein und wird kontinuierlich durch Ankäufe analog zum Ausstellungsprogramm erweitert. In der Kunst nach 1945 sind – kurz erwähnt – sehr wichtige Positionen vertreten, wie z.B. David Reed, größere Konvolute von Gerhard Richter oder Sigmar Polke, die wir sehr gerne zeigen.

2. Anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Bauhauses bieten die Kunstmuseen Krefeld mehrere Ausstellungen zu dem Thema an. Was erwarten die Besucher*innen, wenn sie nach Krefeld kommen?

Das Publikum stößt hier in Krefeld auf zwei Inkunablen des »Neuen Bauens«, die Mies-van-der-Rohe-Bauten Haus Lange und Haus Esters, die zwischen 1927 und 1930 erbaut wurden. Die enge Verbindung von Mies van der Rohe zu Krefeld, die durch den Bauherrn Hermann Lange initiiert wurde, ist hier zu entdecken und deutlich spürbar. Die Häuser zeigen derzeit die große Schau »Anders Wohnen. Entwürfe für Haus Lange Haus Esters«, wo zukünftige Wohn- und Lebensmodelle in den drei Akten »Utopie – Mobilität – Dystopie« als ein besonderes Ausstellungsformat thematisiert werden. Insgesamt 14 Künstler*innen und Architekten wurden eingeladen, für diesen speziellen Ort etwas zu erschaffen. Wir schauen hier auf das historische Bauhaus zurück und auch auf die eigene ortspezifische Tradition und bringen das Ganze in die Zukunft. Es sollte keine rein historische Präsentation werden, denn auch dem Bauhaus war es ein wichtiges Anliegen, nach vorne zu schauen. Bis April 2020 ist außerdem die Ausstellung »Von Albers bis Zukunft. Auf den Spuren des Bauhauses« im Kaiser-Wilhelm-Museum zu sehen, wo Meister und Schüler des Bauhauses vertreten sind. Für die Werkschau haben sich die Mitarbeiter*innen auf eine Spurensuche durch die Museumssammlung begeben und sind dabei u.a. auf pädagogische Farbtafeln der frühen 1920er Jahre von Wassily Kandinsky gestoßen, die lange im Archiv lagerten. Architekturinteressierte haben außerdem die Möglichkeit, sich das einzig realisierte Fabrikgebäude von Mies van der Rohe, das Gebäude der VerSeid AG (Vereinigte Seidenwebereien), in Krefeld anzuschauen.

3. Was sind typische Charakteristika eines Bauhaus-Kunst- und Bauwerks?

Das kann man nur schwer festmachen und zusammenfassen. Die Charakteristika sind sehr heterogen. In erster Linie muss es eine Form der Funktionalität aufweisen, aber auch einen ästhetischen Charakter, der mit der Form verbunden ist. Das Spiel mit Materialien ist außerdem von Bedeutung. Bezogen auf das Bauwerk ist es der weiße Kubus, der einem direkt ins Auge fällt. Aber dennoch lässt sich das Bauhaus nicht auf eine Handvoll (Stil-)Eigenschaften runterbrechen.

4. Sie erwähnten bereits den Architekten Ludwig Mies van der Rohe – ein großer Name. Welche Informationen sind wichtig in Bezug auf seine Person?

Ludwig Mies van der Rohe ist in Aachen geboren und wurde u.a. von dem Architekten Bruno Paul in Berlin ausgebildet. In seiner Zeit vor dem Exil in Chicago widmete er sich mit besonderem Interesse dem »offenen Grundriss« und dem Material. Ihm ging es um »Baukunst«, was auch an Haus Lange Haus Esters deutlich zu erkennen ist. Der Versuch, Wände freier und kompositorisch zu setzen, sodass der ganze Baukörper geformt wird, ist charakteristisch für seine Architektur. Kuben werden ineinander verschachtelt und haben trotzdem nach außen hin den Charakter des Offenen. Im Grunde genommen ging es ihm um die »Raumerfahrung«, weniger wie z.B. bei Walter Gropius um das soziale Bauen, sondern vielmehr um das Erleben des Raumes in Verbindung von Architektur, Kunst und Natur. Die absolute Krönung vor seiner Zeit in Amerika und die Zusammenführung ebendieser Aspekte war der Barcelona-Pavillon, der 1928 realisiert wurde. Als letzter Direktor des Bauhauses hat er versucht, den Fokus auf die Architektur weiter zuzuspitzen und zog mit dem Bauhaus nach Berlin um. Doch mit der sich zunehmend erschwerenden politischen Situation im nationalsozialistischen Deutschland, das die Moderne ablehnte, war er nach kurzer Zeit gezwungen, das Haus 1933 zu schließen.

5. Abschießend zurück zur Ausstellung: Ist es geplant, Arbeiten aus der Schau »Anders Wohnen« in Haus Lange Haus Esters für die Sammlung anzukaufen? Wenn ja, welche?

Wir möchten gerne Arbeiten der Ausstellung erwerben, warten aber noch, bis alle Arbeiten der drei Akte in den Häusern sind. Der dritte Akt »Dystopie« steht derzeit noch aus (ab 15.09. zu besichtigen). Aber das eine oder andere soll in Krefeld bleiben. Die Arbeit von Andrea Zittel, das ehemalige Gartenhaus der Familie Esters, welches sie in ein Café für das Publikum verwandelt hat, konnte bereits durch die großzügige Spende einer Krefelder Familie angekauft werden. Dafür sind wir sehr dankbar!

Erfahrungsbericht

Betritt man das erste der beiden Häuser von Ludwig Mies van der Rohe, Haus Lange, wird man in der großen Halle – früher das Wohn- und Esszimmer der Familie – von Arbeiten der Künstler Olaf Holzapfel und Didier Fiúza Faustino empfangen.
Mein Blick wandert beim Eintritt zunächst zu Holzapfels »Rückgabe Reimbursement Cells – Cellulare Dialektik« (2019), eine gebaute Architektur in der Architektur, die vor allem durch ihre geschwungenen Wandsegmente und die Materialien Fachwerk und Reet auffällt. Läuft man entlang der Arbeit, so landet man in einer kleinen Zelle mit abgerundeten Wänden, die sich als Kern der Architektur offenbart. Man riecht das natürliche Material und fühlt sich abgeschottet vom Geschehen außerhalb. Es ist dunkel und ruhig. Man ist auf engem Raum mit sich alleine, als hätte man kurz auf »Pause« gedrückt, und alle äußeren Einflüsse wären auf stumm geschaltet. Lediglich eine kleine Öffnung lässt einen zarten Lichteinfall von außen zu. Tritt man nun wieder aus dem geschützten Raum heraus, fühlt es sich an wie ein »Reset«, ein neuer Anfang, der mich für den weiteren Ausstellungsbesuch beflügelt.

Eine ähnlich umschließende, etwas einengende Wirkung hat auch Faustinos Werk auf mich. Geleitet durch einen Durchgang aus aneinander genähten Flugzeugdecken, läuft man mit jedem Schritt näher und näher auf das alarmierende »Global Warming« (2019) zu, das an einer großen Fensterscheibe angebracht ist und den Blick in den grünen Garten von Haus Lange freigibt. Künstlerisch wie strategisch sehr gut gelöst, hat es mich dazu gezwungen, einen Moment gedankenversunken an der Fensterfront innezuhalten und auf die kreuzförmigen Feldbetten im Außenbereich zu schauen, die mit dem Titel »Rest in Piece« (2019) Teil von Faustinos Installation sind und nicht weniger Gedankenspielraum zulassen. »Manchmal muss Kunst bedrücken und nachdenklich machen«, schoss mir dabei immer wieder in den Kopf.

Im Obergeschoss angekommen, stimmen mich die Arbeiten von Andreas Schmitten zunächst wieder fröhlicher.
Seine »Fragile Konstruktion« (2019) zeigt zwei Modelle – Haus Lange und eine Mischform aus Haus Lange Haus Esters in quietschbunten, knalligen Farben. Wie es in der Beschreibung des Museums heißt, vermitteln seine Installationen, Skulpturen und Zeichnung fast immer den Eindruck von Inszenierungen, Bühnenbildern oder Spielzeuglandschaften, was ich sehr zutreffend finde. Man denkt sich in eine Miniaturlandschaft hinein, die auf den ersten Blick etwas von einem Vergnügungspark hat. Doch taucht man tiefer in sie ein, so vermitteln sie doch auch etwas Melancholisches und Endliches. Es wirkt fast, als stelle diese optische Übertreibung die Wirkungskraft der Moderne in der Gegenwart, wie sie z.B. durch einen Mies van der Rohe erreicht wurde, in Frage.

Die Position von Franck Bragigand mit seinem fortlaufenden Projekt »The Restauration of the Daily Life« (1998-2019) ist eine radikal-künstlerische, die einen direkten Bezug zum alltäglichen Leben vieler Menschen und ihrer Realität aufnimmt. Er setzt sich mit verschiedenen provinziellen Orten und den architektonischen Gegebenheiten auseinander und verleiht ihnen mit seinen farbenfrohen »Eingriffen« einen neuen Anstrich. Der Titel beschreibt das Vorgehen sehr gut: Alltagsgegenstände, Möbelstücke, Gefundenes, öffentliche Einrichtungen, Gebäude werden »restauriert« und gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern farblich so abgestimmt, dass für sie und die Objekte eine neue Lebensqualität entsteht. Die Ausstellung gibt einen Überblick über die Orte, die Bragigand bisher schon besucht und »restauriert« hat, und zeigt zahlreiche seiner Entwürfe. Ein Raum präsentiert zudem farblich neu angestrichene Möbelstücke und Objekte.

Während meines Ausstellungsbesuches war Haus Esters noch weitestgehend ohne Ausstellungsobjekte bestückt. Mitte September öffnet dann dort der letzte Akt »Dystopie« in den Räumlichkeiten. Ich konnte vorab aber die bereits angekaufte Ausgestaltung des ehemaligen Gartenhauses der Familie Esters durch die amerikanische Künstlerin Andrea Zittel im Original sehen. Sie hat einen kunstvollen Raum für das Publikum geschaffen, der als Café fungiert und mit seinen Formen und Flächen sowohl auf die Arbeit von Mies van der Rohe als auch auf die des Bauhauses referiert.

Besonders wirkungsvoll beim Durchqueren der historischen Gebäude sind die zahlreichen originalen Einrichtungselemente, die die Zeit zu konservieren scheinen, die 1920er und 1930er Jahre in die Gegenwart tragen und dem Publikum offen und authentisch präsentieren.

Nach den vielen verschiedenen Einflüssen, die in der Ausstellung auf einen einprasseln – und ich habe nur eine Auswahl genannt-, wäre ein erneuter mentaler »Neustart« in Olaf Holzapfels Zelle als Vorbereitung für die Rückkehr in die Außenwelt sicherlich hilfreich gewesen. Seht es also gerne als einen kleinen Tipp meinerseits für euren (hoffentlich) bevorstehenden Ausstellungsbesuch in Krefeld.