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Botanische Illustrationen: Maggie Enterrios

In der April-Ausgabe des sisterMAG könnt ihr die Arbeitsweise von Künstlerinnen, die botanische Illustrationen gestalten, genauer kennenlernen. Hier findet ihr das Gespräch mit Illustratorin Maggie Enterrios, die das ganze Jahr über reist und sich selbst als »digitale Nomadin« bezeichnet.

Wie macht man überhaupt botanische Illustrationen?

Interview mit Maggie Enterrios

Erzähl uns ein bisschen über dich: Wer bist du, was machst und wo lebst du? Woher kommst du?

Ich bin Illustratorin, gestalte vorwiegend Verpackungen und setze meine Entwürfe für editorische Zwecke ein. Angefangen habe ich in der Technikbranche, nach drei Jahren gründete ich meine eigene Designagentur. Mir war es wichtig, ein eigenes Markenzeichen zu schaffen und Arbeiten abzuliefern, die zweckdienlich und sinnvoll sind. Ich wusste, wenn ich mich da richtig reinhänge und zielgerichtet arbeite, kann aus meiner Leidenschaft vermarktungsfähige Kunst werden.

Ich bin mir sicher, dass Erfahrungen aus meiner frühen Kindheit prägend für meine heutige künstlerische Herangehensweise waren. Meine Eltern sind Amerikaner, aber geboren bin ich in Bad Soden, aufgewachsen in Frankfurt am Main. Ich besuchte einen deutschen Kindergarten, in dem – anders als in den USA – sehr viel gebastelt wurde, wir aber auch oft draußen in der Natur waren und die Umwelt um uns herum erkundet haben. Bereits als kleines Kind lernte ich Kunst als Mittel zur Selbstdarstellung zu schätzen – und das tue ich bis heute.

Einen festen Wohnort mag ich gar nicht benennen, ich würde mich eher als digitale Nomadin bezeichnen. Ich reise das ganze Jahr über herum, arbeite meistens online oder per Videokonferenzschaltungen. Im letzten Jahr bin ich in den USA und Kanada unterwegs gewesen, demnächst geht es für eine Zeit nach Australien. Es ist großartig, einer Arbeit nachzugehen, die das Reisen nicht einschränkt.

Wie hast du mit botanischen Illustrationen angefangen?

Die Hinwendung zu Pflanzenmotiven war ein gradueller Prozess. Anfangs waren meine Illustrationen abstrakt, ich kombinierte Muster mit verschlungener organischer Linienführung, um dichte Strukturen zu erzeugen. Vor ungefähr zehn Jahren habe ich dann einige illustratorische Experimente durchgeführt, zu der Zeit tauchten auch immer mehr literale Formen in meinen Arbeiten auf. Meine Entwürfe waren wie Blumen: Es gab einen Mittelpunkt, um den ich sich wiederholende Formen anordnete – wie Blütenblätter. Daraus hat sich mein Stil weiterentwickelt; eine wichtige Inspirationsquelle war dann bald meine direkte Umwelt. Ich benutzte immer mehr realistische Pflanzenmotive und stellte fest, dass es für diesen Stil einen Markt gibt. Die Schönheit der Natur kommt nie aus der Mode.

Hast du eine Lieblingspflanze? Besitzt du viele Pflanzen?

Ich liebe Chrysanthemen, generell mag ich runde, eher fleischige Blumen mit vielen Blütenblättern. Andererseits gefällt mir die seltsame Form von Calla-Lilien (Zentedeschien). Auf mich wirken sie wie einzelne Pinselstriche, als ob sie Strähnen wären, die in dünner Luft entstanden sind.

Viele Pflanzen besitze ich nicht, um ihnen die nötige Pflege angedeihen lassen, bin ich zu viel auf Reisen. Wenn ich an einem Ort länger Station mache, habe ich gern frische Blumen um mich herum. Ich liebe es, Sträuße zusammenzustellen, insbesondere rein weiße mit vielen grünen Blättern.

Viele deiner botanischen Illustrationen sind in Schwarzweiß. Warum verzichtest du auf Farben, obwohl Pflanzen und Natur so farbenprächtig sind?

Eben genau deshalb: Wenn wir uns eine Blume ansehen, bewundern wir sie wegen ihrer Farbe oder ihres Geruchs, ihre ‚Bauweise‘ beachten wir nicht. Ich möchte gern die großartigen Maserungen und Feinheiten von Blumen ins Sichtfeld rücken, ihre Einzigartigkeit. Und das geht am besten, wenn man auf Farbe verzichtet.

Welcher Auftrag war bisher dein liebster oder auf welchen bist du besonders stolz?

Letztes Jahr habe ich für Beekman 1802 eine Verpackungslinie für Seife, Lotions und Lippenbalsam namens ‚Arcadia‘ entworfen. Ich freue mich immer wahnsinnig, wenn kommerzielle Kunden ihre Verpackungen künstlerisch gestalten wollen. Es bedeutet, dass sie den Wert von Design und Handwerk zu schätzen wissen und es einem Künstler zutrauen, die Geschichte, die sie mit ihrem Produktes erzählen wollen, zu visualisieren. Für die ‚Arcadia‘-Linie hatte ich sämtliche Duftproben und eine detaillierte Beschreibung, was Beekman mit der Linie für Gefühle wecken wollte – und die konnte ich mit den Illustrationen lebendig machen. Das Produkt nimmt deine Sinne in Anspruch, noch bevor du daran gerochen oder den Deckel abgeschraubt hast. Das Artwork regt deine Vorstellungskraft an: Du siehst schwarzweiße Illustrationen, dann drehst du den Verschluss auf, der Geruch strömt dir in die Nase. Und schon kannst du den Geruch ‚fühlen‘.

Würdest du dich als eine typische moderne botanische Illustratorin bezeichnen? Oder wie würdest du deine Arbeit nennen?

Ich sträube mich ein wenig dagegen, mich selbst als botanische Illustratorin zu bezeichnen. Denn obwohl ich Pflanzen abbilde, sind meine Zeichnungen nicht immer wahrheitsgetreu. Ich nutze die Natur als Ausgangspunkt für meine kreativen Wanderungen.

Hat sich dein Stil im Laufe der Jahre gewandelt? Würdest du uns eine deiner frühen Arbeiten vorstellen und uns erzählen, was du heute darüber denkst?

Wenn ich auf meine frühen Arbeiten zurückblicke, sehe ich schon klar Ansätze zu meinem heutigen Stil. Ich habe schon immer Linien, Formen und Details betont. Ich denke, meine Arbeit lehnt sich stilistisch am ehesten an die ‚Arts and Crafts‘-Bewegung des frühen 19. Jahrhunderts an. Ich liebe es, in einer Welt, in der steriles, minimales Design vorherrscht, ein wenig gestalterisches Chaos zu stiften. Wenn ich mir meine alten Arbeiten ansehe, bin ich immer ganz baff, wie kreativ ich früher war – bevor ich die Wünsche meiner Kunden berücksichtigen musste (und auf eine angemessene Bezahlung zu achten hatte!).Während ich heute auch die Interessen des Marktes berücksichtigen muss, konnte ich mich früher dessen ungeachtet völlig frei kreativ ausleben. Manchmal lasse ich mich für heutige Aufträge von meinen alten Arbeiten inspirieren. Es lohnt sich, mir von meinem jüngeren selbst Anregungen zu holen, ich bin dann freier und entdeckungslustiger.

Was ist die größte Herausforderung bei deiner Arbeit?

Zeit! Meine Arbeiten sind wahnsinnig detailverliebt, und diese Details benötigen Tage und Wochen. Für eine durchschnittliche Illustration brauche 30 Stunden. Normalerweise habe ich fünf bis zehn Aufträge gleichzeitig. Soviel Arbeitsaufkommen kann überfordern, schließlich muss das Geschäft ja auch auf der administrativen Seite am Laufen gehalten werden. Für mich ist es schwierig, von einem Projekt zum anderen zu wechseln, am kreativsten bin ich, wenn ich mich komplett in ein Thema versenken kann. Wenn ich mich allerdings komplett dem Zeichnen hingeben würde, wären viele meiner Kunden frustriert, weil sie immer auf Rückmeldungen von mir warten müssten. Ich musste es erst lernen, Künstlerin und Geschäftsfrau gleichzeitig zu sein, geschmeidig und leichtfüßig in ein Thema ein- und wieder aufzutauchen und so flexibler zu sein.

Mit welchen Materialien und Werkzeugen (digitalen oder handwerklichen) arbeitest du?

Am meisten arbeite ich zurzeit digital und nutze auf meinem iPad Pro die App Procreate (procreate.art). Wenn ich nicht digital arbeite, ist mein Handwerkszeug einfach: Stift und Papier. Wichtig ist mir bei all meinen Arbeiten, ob digital oder analog, dass klar zu erkennen ist, sie stammen von derselben Person. Aus diesem Grund halte ich den digitalen Prozess auch möglichst einfach, benutze also keine speziellen Bürsteneffekte oder solche, die ich mit traditionellem Handwerkszeug nicht erzeugen könnte.

Was würdest du einer jüngeren Maggie raten?

Ich würde sie ermahnen, ihrer Vision treu zu bleiben. Ich habe viele Jahre an mir gezweifelt; weil meine Illustrationen nicht so aussahen, wie die der anderen; dachte, das wäre nicht gut. Ich wusste damals noch nicht, dass Einzigartigkeit etwas Schönes ist.