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Turner Three Horizons. Lenbachhaus München 28. Oktober 2023 – 10. März 2024

View on the Seine between Mantes and Vernon (Rolleboise on the Road from Bonnieres) /
Blick auf die Seine zwischen Mantes und Vernon (Rolleboise an der Straße von Bonnieres),
ca. 1833,
Joseph Mallord William Turner (1775-1851).
Tate: Accepted by the nation as part of the Turner Bequest 1856 © Photo / Foto Tate

Joseph Mallord William Turner (1775 – 1851) – Engländer, Londoner, Romantiker,
ein Enthusiast für die Kunst!

Überwältigt stehen wir vor seinem Werk, dass das „Romantische“, gefühlsbetonter, abenteuerlicher und fantastischer ausdrückt, als das, vieler seiner Zeitgenossen. Thematisch zwar ähnlich eilten seine Pinsel denen seiner Kollegen um 100 Jahre voraus. Konkurrieren manche seiner Werke schon mit denen eines Claude Monets oder Auguste Renoirs, erkennt auch Jackson Pollock Details in Turners späten Bildern, die seinen Intentionen entsprechen. Turners Zukunftsvisionen begeistern bis heute. Meisterliches Können in Technik und Bildempfinden liess ein phänomenale Werk in Licht und Farbe entstehen, vor dem wir heute mit Bewunderung stehen.

William Turner – Ein  bizarres Künstlerleben

William fiel schon im Kindesalter für sein Zeichentalent auf, und er hatte einen Vater, der das erkannte und vor allem förderte. Das Gefühl für Proportion, für Perspektive und Struktur erlernte er frühzeitig bei Architekten. Schon seine ersten Aquarelle, die er während der Schulzeit malte, fanden Beachtung. Diese frühe Tätigkeit als Architekturzeichner und Aquarellmaler war wegweisend für seine künftige Karriere.

Die Schule besuchte er fern von der Familie in Brentford bei London und Margate in der südöstlichen Grafschaft Kent. Eine Tatsache, die seine Außenseiterrolle bestärkte, ihn andererseits in Margate für das Meer und die Schifffahrt begeisterte.

 

Margate: The Great Beach with the Pier and Lighthouse and Jarvis’s Landing Place at Sunset (?) / Margate: Der große Strand mit dem Pier, dem Leuchtturm und Jarvis’ Landing Place bei Sonnenuntergang (?), ca. 1829-40,
Joseph Mallord William Turner (1775-1851).
Tate: Accepted by the nation as part of the Turner Bequest 1856 © Photo / Foto TateIn

In Margate im Südosten Englands verbrachte William Turner einen Teil seiner Schulzeit, besuchte aber diesen Ort bis ins Alter immer wieder

Schon mit 14 Jahren erhielt er ein Stipendium an der Royal Academy of Arts in London, einer Einrichtung, die ihn schon in seinem 27. Lebensjahr als Vollmitglied aufnahm. Selbststudien und Kontakte zu älteren, arrivierten Malerkollegen vervollkommneten in diesen jungen Jahren seine malerischen Fähigkeiten. Naturbeobachtungen und das Kopieren von „Klassikern“ gehörten dazu. Vor allem John Robert Cozens (1752 – 1797) hatte mit den atmosphärischen Effekten seiner romantischen Aquarelllandschaften großen Einfluss auf die zukünftige Malweise Turners. Bedeutung für ihn hatte auch der nur 12 Jahre ältere Aquarellmaler Edward Dayes (1763-1804), der das eigenwillige Auftreten William Turners so beurtelte:

„Diesen Menschen muss man wegen seines Werkes lieben, denn seine Person ist nicht sehr eindrucksvoll und seine Konversation alles andere als brillant. “
"William Turner-Die Entdeckung des Wetters“ von Heinz Ohff, Piper, München-Zürich, 1987, S.60

Der Royal Academy of Arts blieb William Turner lebenslang treu, diente ihr trotz seiner vielfältigen und langen Reisen als Lehrer für Perspektive in der Malerei. Allerdings seien die Vorlesungen, es waren nur wenige, ermüdend gewesen, weil schwer zu verstehen. Überhaupt wird seine Persönlichkeit als widerspruchsvoll, exzentrisch, ja kauzig geschildert. Er sei ein Einzelgänger gewesen, wandte sich mit zunehmendem Alter immer mehr dem Geheimnisvollen, Rätselhaften zu, was sich in seinen Spätwerken zeigt. Familiäre Bindungen hatten, außer zu seinem Vater, nur geringe Bedeutung. Eine feste Beziehung ging er nie ein, obwohl er mit der Schauspielerin Sarah Danby Kinder gezeugt hatte.

Nur in der Kunst war er konsequent.
Ihn faszinierte, die Erscheinung der Welt in ihren Farben, ihrem Licht zu erfassen und sie mit den Mitteln der Malerei nach seinem Empfinden „künstlerisch – ja dichterisch“ umzusetzen.

 

Hereford Court Sketchbook: Cader Idris: A Stream among Rocks near the Summit / Skizzenbuch Hereford Court: Ein Fluss zwischen Felsen des Cader Idris, 1798,
Joseph Mallord William Turner (1775-1851).
Tate: Accepted by the nation as part of the Turner Bequest 1856 © Photo / Foto Tate

Eines seiner vielen Skizzenbücher zeigt ein Tal der Cader Iris im Norden von Wales. Es regnete!, wie man sieht. Er nannte die Skizzen Memoranda. Bei seinen Wanderungen verzichtete der Maler auf jeden Komfort, schlief in Scheunen oder unter freien Himmel. War er in Begleitung musste ein Gericht in der Schenke für beide reichen

Reisen durch Europa

1792, mit 17 Jahren begann William Turner mit einer Leidenschaft, die sein Leben bis zum  70. Lebensjahr prägte: Reisen! Zu Fuß, mit der Postkutsche oder einem leichten Einspänner, der Eisenbahn oder einem Dampfer wandelte er kreuz und quer durch England und  Europa, immer auf der Suche nach Motiven in der Landschaft mit ihren Bauten, den Klöstern, Schlössern und Landsitzen, in den Bergen von  Wales, Schottland oder der Schweiz, am Meer, in den Häfen der englischen oder italienischen Küste. Auch der Wunsch nach Unabhängigkeit, Freiheit, künstlerischer Eigenständigkeit trieben ihn in die Welt. Die Zwischenzeiten gehörten London, der Academy, … und Margate, dem Ort seiner Jugend. 2011 eröffnete hier ein nach den Plänen von David Chipperfield errichtetes Kunstmuseum mit dem Namen „Turner Contemporary“.

 

Snow Storm – Steam-Boat off a Harbour’s Mouth / Schneesturm – Ein Dampfschiff im flachen Wasser vor einer Hafeneinfahrt, exhibited 1842 / ausgestellt 1842,Joseph Mallord William Turner (1775-1851).,Tate: Accepted by the nation as part of the Turner Bequest 1856 © Photo / Foto Tate

Turner sei der Erfinder des Lichts, vielleicht noch mehr der Entdecker des Wetters! Kaum ein Maler vor ihm hat dem Wetter eine so tragende, eigenständige Rolle zugeordnet. Dramatische Wolkenbildungen mit durchbrechenden Sonnenstrahlen, Schatten, Dunst und Nebel wechseln sich ab.

 

 

Küstenlandschaft und Gebäude, Südfrankreich oder Süditalien (?), ca. 1834,
Joseph Mallord William Turner (1775-1851).
Tate: Accepted by the nation as part of the Turner Bequest 1856 ©Foto Tate

Landschaften, das Meer, Schiffe bildeten die Themen

Auf seinen Reisen skizzierte er seine Motive mit wenigen Linien, um sie dann im Hotel oder im Atelier in ein Aquarell oder gar in eine Ölfassung zu bringen. Skizzenbücher künden von einer immensen Arbeitsfreude, ein Reiseaquarellkasten und auflösbare Aquarelltabletten in verschiedensten Farben von seiner originellen Reiseausstattung. 1836 und von 1841 bis 1844 jährlich besuchte er die Schweiz, mehrmals passierte er den Gotthardpass, drang in einsame Täler vor und war vor allem dabei, Katastrophen bildlich in einem Aquarell festzuhalten, so wie den „Bergsturz von Goldau“ aus dem Jahr 1806 oder den „Niedergang einer Lawine in Graubünden“ (The Fall of an Avalanche in the Grisons). Es  ist eines der wenigen Werke in der Schweiz, das er 1810 in Öl malte.

Das waren Themen nach seinem Geschmack.

 

The Fall of an Avalanche in the Grisons / Niedergang einer Lawine in Graubünden, exhibited 1810 / ausgestellt 1810,
Joseph Mallord William Turner (1775-1851).
Tate: Accepted by the nation as part of the Turner Bequest 1856 © Photo / Foto Tate

Wie einen Donnerschlag ließ William Turner die Lawine auf den Berg prasseln! Er liebte das Besondere, Katastrophen, Wetterunbilden, Sturm, Havarien …
Der Betrachter gerät in Schrecken, erhaben steht er aber über der Situation und genießt sie, „ist köstlich entsetzt“.

Turners Themen

Auf seinen Leinwänden fixierte er Naturgewalten, Katastrophen, Sonne und Wolken in den Bergen, heftig Wogendes auf hoher See in einem Wirbel aus Licht und Farbe. Man spürt geradezu das krachende Feuer, die Kraft hoher Wellenberge oder das zerstörerischer Wirken von Wind und Wasser.

„William Turner: Um (…) Wind anzuzeigen, muss man die Ursache ebenso darstellen wie seine Wirkung und zwar mit mechanischen Hieben, welche die Stärke der Natur haben, aber permanent gefesselt sind. “
Joseph Mallord William Turner von Martina Padberg, Könemann- Verlag 2017. S.196

Neben Landschafts- und Marinemotiven war William Turner faszinierter Zeitzeuge des wissenschaftlichen und technischen Aufbruchs in seinem Land.
An seinem Geburtsort in London an Eisengießereien und Werkstätten, an Werften und Hafenanlagen gewöhnt gehörten Motive der Industrialisierung zu den selbstverständlichen Malobjekten seiner Wahl. Als hart arbeitender Pragmatiker eröffnete er auch selbst eine Galerie, vervielfältigte Graphiken für den allgemeinen Verkauf und beschäftigte einen Mitarbeiter, um Aufträge zu aquirieren. Er tat, was man heute Öffentlichkeitsarbeit nennen würde… und verdiente gut. Er war ein hart handelnder Geschäftsmann.

Anfangs malte Turner Aquarelle, schon mit 21 versuchte er sich an Ölfarben, die er zum Teil verdünnte, um „aquarellige“ Wirkung zu erreichen. Ölmalerei war an der Akademie nicht gelehrt worden, dieses Können verdankte er ausschließlich seinem Willen und Enthusiasmus. Gleich ob mit Pinsel, Spachtel  oder Messer aufgetragen, nutzte er für besondere Effekte auch die blossen Finger oder Fingernägel zum Verteilen der Farben oder kratzte die Farben ab und trug sie wieder auf. Diffuse Lichteffekte waren die Folge.

 

Venice Quay, Ducal Palace / Venedig, Dogenpalast, exhibited 1844 /ausgestellt 1844,
Joseph Mallord William Turner (1775-1851). Tate: Accepted by the nation as part of the Turner Bequest 1856 © Photo / Foto Tate

Keine Linien, Farben markieren, ineinander übergehend, das eine vom anderen; der Himmel ist belegt, wolkig aufgelockert, ein kleines Stück aufziehender blauer Himmel; gelbe Farbe, die Farbe des Lichts, beherrscht das Bild; der Blick wird von dem dunklen Boot angezogen, das auf ruhigem Wasser dahingleitet. Deutlich kann man das „Aufgekratzte“ sehen, über allem liegt ein Schleier des Lichts.

Venedig – und dann?

Lange Zeit malte Turner seine Motive noch klar umrissen. Als Architekturzeichner hatte er es so gelernt und die europäischen Malschulen kündeten nichts anderes. Aber dann kam Venedig. Im August 1820 reiste er erstmals in die Lagunenstadt. Eine neue Etappe begann. William Turner war nicht der erste Künstler, den Venedig mit seinem Licht, seinen Farben, seiner Stimmung „revolutionierte“. Empfingen schon die Maler der Hochrenaissance wie Giovanni Bellini, Giorgione oder Tizian hier Impulse, die sie auf neue Wege führten (xxx), so veränderte diese Stadt auch die Malerei Turners. Beim Studium seiner zahlreichen Skizzenbücher erkennt man allerdings, dass Turner auch schon vor Venedig mit Licht und Farbe experimentierte. Keine Konturen mehr, ineinander fließende, helle Farben verwischen die Motive wie in einer lichterfüllten Hülle. Das gleißende Licht löst die Formen auf, die Farben verschwimmen harmonisch miteinander. Dabei zielte er auf eine atmosphärische Gesamtwirkung, die er durch gekonnte Lichtmanöver erreichte. Der Weg zum Abstrakten war nicht mehr weit, zumindest vorbereitet!

xxx – „Venezia 500<< Die sanfte Revolution der venzianischen Malerei“, Alte Pinakothek München bis 4.2.2024 

 

 

Venetian Festival / Venezianisches Fest, ca. 1845,
Joseph Mallord William Turner (1775-1851).
Tate: Accepted by the nation as part of the Turner Bequest 1856
© Photo / Foto Tate

 

… und die anderen. Reaktionen.

Mit seiner avantgardistischen Malweise provozierte William Turner nicht nur seine Kritiker, die den etablierten Formen anhingen, sondern auch Freunde und Kenner. Als senil, überdreht, sogar als verrückt wurde er verspottet, „seine Manier, Farbflächen unter üppigen Lagen von Weiß verschwimmen zu lassen, als Arbeit mit „Seifenlauge und Tünche verspottet“. (aus GEO EPOCHE EDITION Nr. 10 – 10/2014 – Die Kunst der Romantik).

Der französische Barockmaler, Claude Lorrain (1600 – 1682) war in England sehr angesehen, für William Turner ein großes Vorbild, weil der lyrisch-romantische Stil in Lorrains Landschaftsmalerei ihm imponierte. Zwei seiner Gemälde wollte er deshalb in der 1824 neu gegründeten National Gallery in der Nachbarschaft des von ihm verehrten Lorrain wissen, …
(aus Joseph Mallord William Turner von Martina Padberg, Könemann- Verlag 2017. S.240)

Die Ausstellung

Die Ausstellung „Turners Three Horizons“ im Lenbachhaus München zeigt 40 Gemälde und 40 Aquarelle und Skizzen aus seinem Schaffen. Die „Horizons* zeichnen auf, wie sich der Künstler schulte, erfand und inszenierte, zeigen seine Studien und Übungen u.a. zu seinen“Farbanfängen“ (Colour Beginnings), bei denen er Farbzusammenstellungen und Lichteffekte experimentell kombinierte. Meinungen zu Turners Werk in der damaligen und der heutigen Kunstdebatte ergänzen die Präsentation

 

Turners Three Horizons
bis 10.März 2024

Lenbach-Museum
Luisenstraße 33, 80333 München

Öffnungszeiten
Dienstag, Mittwoch, Sonnabend und Sonntag   10 – 18:00 Uhr
Donnerstag und Freitag                                          10 – 20:00 Uhr
Montag geschlossen

 

Ausstellunsgsansicht, Turner. Three Horizons, Lenbachhaus, 2023, Foto: Lenbachhaus, Simone Gänsheimer