Secessionen – Abspaltungen
Die Münchner Secession
Am Ende des 19. Jahrhunderts erreichte die Stadt München einen fast beispiellosen kulturellen Höhepunkt, der ihr von ihrer Größe und politischen Bedeutung her eigentlich nicht zustand. Gleich ob Architektur, Malerei, Design, Theater, Musik, Cabaret, das kulturell-gesellschaftliche Leben boomte. Allein die städtische Künstlergenossenschaft zählte über 900 Mitglieder.
Aber das äußere harmonische Bild täuschte. Vor allem in der bildenden Kunst, geprägt durch den konservativen Maler Franz von Lenbach, geriet das Miteinander um 1890 ins Wanken. Äußerer Anlass war die „Zweite Münchener Jahres-Ausstellung von Kunstwerken aller Nationen“ im königlichen Glaspalast. Nicht nur Geldfragen führten zu Zwistigkeiten, auch die künstlerische Ausrichtung der offiziellen „Münchner Malerei“ war schon in den Jahren vorher in die Kritik gekommen, nicht mehr zeitgemäß, ohne Anschluss an internationale Trends. Ausländische Vorbilder des modernen Naturalismus, Jugendstil, Impressionismus oder Symbolismus wurden von der Präsentation ausgeschlossen.
96 Mitglieder verließen daraufhin die Künstlergenossenschaft und gründeten 1892 den „Verein bildender Künstler Münchens „Secession e.V.“. Unter den Gründern waren Franz von Stuck, Hugo von Habermann, Wilhelm Trübner, Heinrich Zügel, Lovis Corinth, Walter Leistikow, auch Max Liebermann. So wie schon Wilhelm Leibl und Wilhelm Trübner im „Leibl-Kreis“ Jahre vorher gefordert hatten, dass das „Wie“ in der Kunst wichtiger sei als das „Was“, dass das „Reinmalerische“ ganz oben stehen muss, bestand die Sezession auf der freien künstlerischen Selbstbestimmung ihrer Mitglieder.
Die allererste Ausstellung musste 1893 noch in Berlin im Landesausstellungsgebäude am Lehrter Bahnhof stattfinden, aber bereits im Juli 1893 schufen die Münchner an der Prinzregentenstraße eine provisorische Möglichkeit der ersten internationalen Ausstellung der Secessionisten. Der Erfolg war gewaltig, viele internationale Maler stellten aus, Besucher strömten zu den Ausstellungen, München wurde zum Kunst-Mekka in ganz Europa.
Beispielhaft für die sinnliche Befreiung der Künstler in der Wahl ihrer Motive zeigt die Ausstellung das Öl-Gemälde „Die Sünde“ von Franz von Stuck (1863 – 1928) aus dem Jahr 1912.
Franz von Stuck,
Die Sünde, um 1912,
Öl auf Leinwand, 88 x 52,5 cm, © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie /
Andres Kilger
Durch zwei dorische Säulen gerahmt blickt eine in erotischer Weise dargestellte Frau aus dem mystischen Dunkel des Hintergrundes auf den Betrachter. Symbolhaft für die augenscheinliche Sünde umschlingt eine blaue Schlange den Körper der Frau, deren Gefährlichkeit durch den halbgeöffneten Schlangenkopf, auf der rechten Schulter der Frau liegend, angedeutet wird.
Am oberen Bildrand leuchtet ein strafendes Licht mit den Initialen des Malers.
Nicht ohne Rätsel ist das „Selbstbildnis im Atelier“ der impressionistisch malenden Anna Hillermann (1880 – ?)
Die Farbpalette haltend und mit der linken Hand am werdenden Bild arbeitend, schaut sie am Betrachter nach links vorbei.
Hinter ihr steht eine nackte weibliche Person, was deutet diese an?
Kontrast zum hoch geschlossenen Umhang der Malerin ? Gedanken zu einer freieren, unbeeinflussten Kunst?
Anna Hillermann,
Selbstbildnis im Atelier, um 1900,
Öl auf Leinwand, 44 x 35 cm,
Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München
Die Künstler suchen Auswege – Gründung weiterer Secessionen
In den folgenden Jahren folgten zahlreiche Künstler dem mutigen Schritt der Münchner Künstler. Sie alle wollten sich von dem konservativ bestimmten, eingefahrenen Kunstbetrieb der Kaiserzeit befreien, ihren persönlichen künstlerischen Horizont erweitern. Bald folgten Secessions-Gründungen in Wien (1897), in Berlin (1899), in Darmstadt, Dresden und Hamburg (1919), in Stuttgart (1923) und in Baden (1927).
Die Secessionen in München, Berlin und Wien waren in ihrer künstlerischen Faszination für den westeuropäischen Kunstbetrieb die bedeutendsten.
Ihnen widmet sich die Berliner Alte Nationalgalerie mit 200 Gemälden, Skulpturen und Grafiken von 80 Künstlerinnen und Künstlern in diesen Tagen. Das Museum betont:
„Die Gegenüberstellung der drei Secessionen verdeutlicht gemeinsame Ziele und Ambitionen jenseits der spezifischen lokalen Ausprägung … . Neben neuen Ausstellungsformaten zählten dazu die Internationalität und die Förderung von Avantgarde in jeder Form, die nicht zuletzt innovativen Strömungen wie Impressionismus und Symbolismus auch im deutschsprachigen Raum zum Durchbruch verhalf. “
„ Gemeinsame Ziele und Ambitionen“ bestanden neben der Freiheit in ihrer Arbeit sicher in ökonomischen Motiven und einer einheitlichen antinationalistischen, zum Teil auch politischen Aussage. Ein gemeinsamer künstlerischer Stil war zwischen den Künstlern der Secessionen aber nicht zu erkennen.
Auch Zank und Streit zwischen den Mitgliedern kamen leider vor.
So verließ Gustav Klimt 1905, acht Jahre nach der Gründung, mit 17 weiteren Künstlern die Wiener Secession. Personelle Querelen und unterschiedliche Meinungen zur Rolle des Kunstgewerbes und deren kommerziellen Seite eskalierten.
Es waren Unstimmigkeiten, vor allem mit den Interessen der expressionistisch ausgerichteten Künstler, explizit mit Emil Nolde, die 1910 zur Spaltung der Berliner Sezession führten. Max Liebermann trat als Präsident der Sezession zurück, 1911 folgte Lovis Corinth auf diesen Platz, der Grund für ein lange währendes Zerwürfnis mit Liebermann war gefunden.
Die Wiener Secession
1897 wurde die Wiener Secession aus den gleichen Gründen wie in München zunächst mit 23 Mitgliedern ins Leben gerufen. Zu ihnen gehörten Carl Moll, Koloman Moser, Josef Hofmann und Joseph Maria Olbrich, berühmt für sein 1897/98 geschaffenes Wiener Ausstellungsgebäude, umgangssprachlich „Secession“ genannt.
Gustav Klimt (1862 – 1918) war ihr erster Präsident. Seine Bilder waren und sind das Besondere für diese Zeit – gleich ob im Jugendstil oder Symbolismus. Die aktuelle Berliner Ausstellung rückt deshalb das Schaffen Gustav Klimts mit zahlreichen Beispielen in den Mittelpunkt der Präsentation.
Oft wurden seine Arbeiten vom Wiener Publikum anfangs als „obszön“ abgetan, aber sie erregten Aufmerksamkeit, und bald die Bewunderung der Fachwelt und aller übrigen.
Leider gibt es heute kaum ein Accessoire, eine Tasche, Dose oder ein Textil, auf dem nicht eines seiner Motive abgedruckt ist. Das Gemälde „Dame mit Fächer“, das er 1917/18 malte, erzielte bei Sotheby`s am 27. Juni 2023 den höchsten je bei einer Versteigerung in Europa erzielten Kaufpreis in Höhe von 99,57 Mio Euro!
Aber auch die Berliner Ausstellung punktet mit Highlights aus dem Schaffen Gustav Klimts.
„Sie hatte eine schöne Gestalt und ein blühendes Aussehen. Ihr Gatte Manasse hatte ihr Gold und Silber, … hinterlassen, das sie in Ihrem Besitz hielt. “
„… machte sich schön, um die Blicke aller Männer, die sie sähen, auf sich zu ziehen.“
Judith gewann die Gunst und das Vertrauen des assyrischen Feldherren Holofernes, dem sie aus Rache nach einem Trinkgelage den Kopf abschlug.
Gustav Klimt,
Judith, 1901,
Öl auf Leinwand, 84 x 42 cm © Belvedere, Wien,
Foto: Johannes Stoll
Das die wohlproportionierte Judith nur punktuell umschlingende Gold läßt allen erotischen, verführerischen Gedanken freien Lauf, hingebungsvoll schließt Judith die Augen.
Und der Kopf Holofernes? Er liegt in der linken unteren finsteren Ecke des Bildes, selbst die ihn berührende Hand Judiths vermittelt Achtung, Verständnis, … gar Zuneigung?!.
Die Berliner Ausstellung zeigt zahlreiche weitere Beispiele aus Klimts Schaffen. Stellvertretend sei das „Bildnis Emilie Flöge“ genannt. Emilie Flöge war seine Lebensgefährtin, Muse und für viele seiner Bilder das Modell, … vielleicht gemeinsam porträtiert auf dem Bild „Der Kuss“.
Emilia war eine erfolgreiche Wiener Designerin und Modeschöpferin.
Gustav Klimt,
Bildnis Emilie Flöge, 1902,
Öl auf Leinwand, 184,3 x 86,6 cm,
Wien Museum,
© Birgit und Peter Kainz, Wien Museum
Die Berliner Secession
Wenn man München als die Keimzelle des deutschen Impressionismus anerkennt, Berlin um 1900 immer mehr zum Zentrum dieser Stilrichtung wurde, so gab es in Deutschland eine Reihe weiterer Künstler, die sich unabhängig voneinander dem Impressionismus zuwandten. Max Liebermann (1847 – 1935), Lovis Corinth (1858 – 1925) und Max Slevogt (1868 – 1932) waren die bedeutendsten. Als sie sich in Berlin trafen, gemeinsam mit weiteren 60 Künstlern die Berliner Sezession 1899 gründeten, festigte sich die Bewegung zu einer anerkannten Kunstrichtung auch in Deutschland. Auch sie stemmten sich mit Erfolg gegen den starren akademischen Kunstbetrieb und die kaiserlichen Vorgaben.
„Die Suche nach der „künstlerisch adäquaten Form für das beim Sehen Gefühlte“ sei, nach Max Slevogt, die Quelle des deutschen Impressionismus. “
Mit dieser Aussage Max Slevogts sind Einflüsse romantischer Traditionen, die sich in Werken deutscher Impressionisten nachweisen lassen, begründbar.
Die Berliner Secession ließ als erste große Künstlervereinigung auch Frauen zu, Ernestine Schultze-Naumburg, später Orlandini (1869 – 1965) war sogar eine der Mitbegründerinnen der Secession.
Ernestine Schultze-Naumburg,
Dame in Weiß, 1898,
Öl auf Leinwand, 90 × 120 cm,
© Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie,
Foto: Kunsthaus Lempertz,
Foto: Robert Oisin Cusack, Köln
Ihr Gemälde „Dame in Weiß“ (1898) wurde für die aktuelle Ausstellung für die Sammlung der Nationalgalerie erworben.
Eine in einem Lehnstuhl aufrecht sitzende Frau blickt in die Augen des Betrachters. Ihr ruhiges Gesicht, frei von Emotionen wird durch zwei große dunkle Augen und einen roten Mund bestimmt. Mit weichem, lockerem Pinselstrich ist ein in helles Blau gefärbtes, hochgeschlossenes Kleid mit ellenbogenlangen Puffärmeln vor einem dunklen Hintergrund das Bestimmende im Bild. Es betont den melancholischen Charakter des Gemäldes.
Auch Dora Hitz (1856 – 1924) gründete die Berliner Secession mit. Sie war in ganz Europa vernetzt und Aufenthalte in Rumänien am Königshof, in Paris und in Italien prägten ihre künstlerische Ausdrucksweise, die dem Symbolismus und Impressionismus entsprachen. Mit ihrer aktiven, quirligen Art hatte sie großen Einfluss auf die Berliner Kunstszene.
Das vermittelt auch ihr ausgestelltes Bild „Kirschenernte“ von 1905.
Dora Hitz,
Kirschenernte, vor 1905,
Öl auf Leinwand, 160 x 232 cm,
© Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie /
Reinhard Saczevski
Sie wählte eine farbenfreudige, lebensfrohe, expressive Malweise. 6 Erwachsene und 3 Kinder stehen, sitzen und liegen unter Kirschbäumen. In einem großen Korb zeigt eine der Frauen stolz die Ernte, knallig rote Kirschen. Flüchtige Pinselstriche bedecken den Boden, alle Personen sind in den verschiedensten Bewegungen festgehalten, so dass das Bild mit einer überwiegend roten Farbe fixiert, einen bewegten, lockeren, saftvollen Eindruck hinterlässt.
Die Ausstellung zeigt neben den Protagonisten Klimt – Stuck – Liebermann Arbeiten von Künstlern, die vergessen oder unbekannt waren, deren großes Können um so eindrucksvoller erstaunt. Gezeigt werden zusätzlich Werke von Lovis Corinth, Josef Engelhart, Hugo von Habermann, Emilie von Hallavanya, Thomas Theodor Heine, Dora Hitz, Josef Hoffmann, Max Klinger, Käthe Kollwitz, Max Kurzweil, Walter Leistikow, Sabine Lepsius, Elena Luksch- Makowsky, Carl Moll, Koloman Moser, Maria Slavona, Max Slevogt, Fritz von Uhde, Lesser Ury, Otto Wagner, Julie Wolfthorn sowie von internationalen Gästen wie Ferdinand Hodler, Edvard Munch, Auguste Rodin, Giovanni Segantini oder Jan Toorop.
Carl Moll,
Salon im Haus von Carl Moll auf der Hohen Warte, 1903,
Öl auf Leinwand, 53,5 x 35,5 cm,
Wien Museum
© Birgit und Peter Kainz, Wien Museum
Secessionen. Klimt, Stuck, Liebermann
23. Juni – 22. Oktober 2023
Museumsinsel Berlin, Alte Nationalgalerie
Bodestr. 1-3, 10178 Berlin
Öffnungszeiten: Di – So 10 – 18 Uhr