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Philipp Otto Runge – Scherenschnitte im Kupferstich-Kabinett Dresden

Philipp Otto Runge,
Veilchen
Erworben mit Hilfe der Ernst von Siemens Kunststiftung,
der HERMANN REEMTSMA STIFTUNG,
der Rudolf-August Oetker-Stiftung und
den Freunden des Kupferstich-Kabinetts Dresden e.V.
© Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden,
Foto: Grisebach GmbH

Philipp Otto Runge (1777 – 1810) war ein ganz besonderer Mensch. Natürlich war er neben Caspar David Friedrich (1774 – 1840) der bedeutendste Maler der Frühromantik, aber neben seinem künstlerischen Schaffen wirkte er als Kunsttheoretiker, war ambitioniert für die Fragen seiner Zeit, war allseits vernetzt und anerkannt. Weniger als 30 Jahre standen ihm für ein Werk zur Verfügung, das bis heute Interesse, Bewunderung und kunsthistorische Akzente hinterlässt.
Eine Tuberkulose beendete viel zu früh sein Leben.

Dank der großzügigen finanziellen Unterstützung durch mehrere Förderer, durch die Freunde des Kupferstichkabinetts Dresden sowie aus Eigenmitteln der Dresdner Kunstsammlungen erwarb das Kupferstichkabinett elf Scherenschnitte Runges, die er seinerzeit der eng befreundeten und für die Hamburger Kunstszene bedeutenden Familie Johannes Michael Speckter (1764–1845) geschenkt hatte.

Anlass, sich des berühmten norddeutschen Romantikers zu erinnern. Und man kann es mit Freude tun, denn man lernt einen aktiven, positiv denkenden, einen zukunftsorientierten, lebensverbundenen, tatkräftigen Menschen kennen. Eingebettet in eine große Wolgaster Familie, die in der äusserst schwierigen Zeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts jederzeit hilfsbereit zueinander stand, war Philipp Otto Runge das 9. Kind unter 11 Geschwistern. Ein sehr umfassender Briefwechsel mit Künstlern, Gelehrten, vor allem aber mit seinen Eltern und Geschwistern belegt nicht nur den Reichtum seiner Gedanken, die geschilderten wachsenden Erfahrungen und Erkenntnisse, sondern die enge Verbundenheit mit den Seinen.
Obwohl er schon als Kind seine musische Begabung verriet, er zeichnete, formte Scherenschnitte, musste er dem väterlichen Wunsch folgend im Hamburger Geschäft seines älteren Bruders Daniel den Beruf eines Kaufmannes erlernen.

Aber die grosse Stadt bot ja noch mehr, interessante Menschen, Zugang zu Literatur und progressivem Gedankengut seiner Zeit. Hier traf er sie, Freunde und Bekannte seines Bruders, den Dichter Matthias Claudius, Buchhändler der Stadt und die Geschäftspartner Daniels Johann Michael Speckter, Friedrich August Hülsenbeck und Johann Friedrich Wülffing.

Doch die Büroarbeit befriedigte ihn nicht. Er nahm intensiven Zeichenunterricht und setzte ab 1799 – wie auch Caspar David Friedrich – seine Studien an der Kopenhagener Kunstakademie fort. 1801 kehrte er nach Deutschland zurück und entschied sich, um künstlerisch voranzukommen, für Dresden. Hier traf er nicht nur Caspar David Friedrich wieder, lernte nicht nur Ludwig Tieck (1773 – 1853) kennen, sondern begegnete auch der intellektuellen Führungsfigur der romantischen Bewegung in Deutschland, Friedrich Schlegel (1772 – 1829). Kontakte zu dessen Bruder August Wilhelm und dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte bestätigten ihn in seinen humanistischen Zielen. Von Dresden aus entwickelte sich der intensive Briefwechsel zu Goethe, mit dem er von 1806 bis zu seinem Tod 1810 über dessen Farbenlehre und seine eigene Farbtheorie korrespondierte.

Dresden war um 1800 ein geistig-kulturelles Zentrum in dem sich ein selbständiges bürgerliches Kunstverständnis abzeichnete. Immer deutlicher fühlte Runge in sich die Verpflichtung, eine neue, zeitgerechte Kunst entwickeln zu müssen, die er in seinen Schriften und Briefen der Jahre 1801 bis 1803 darlegte, „die Kunst als Form der menschlichen Kommunikation“.

„Wodurch soll aber die Kunst wachsen als dadurch, daß es dem Menschengeschlechte notwendig ist, sich ihrer zu bedienen, weil das, was durch sie gesagt wird, auf keine andere Weise gesagt werden kann. “
Brief an J. G. Quistorp (Akadem. Zeichenlehrer an der Universität Greifswald) vom 30.08.1803. in „Die Begier nach der Möglichkeit neuer Bilder“, Reclam, Leipzig, 1978, S. 149

Das Bewusstsein, die Vergangenheit ist abgeschlossen, sie ist nicht zu wiederholen, sondern Ansporn Neues zu wagen, verband Runge mit dem fortschrittlichen frühromantischen Gedankengut seiner Freunde. Dabei zielte er nicht auf die mittelalterliche Kultur und Kunst, sondern war überzeugt, dass die Landschaftskunst, die bewusste Symbiose zwischen Mensch und Natur die neue Möglichkeit ist. Dabei meinte er eine Landschaft im weitesten Sinne eines Universums, die Ideen zur Gesellschaft, zum Individuum und zur Natur widerspiegeln kann. Der Widerspruch zur klassizistischen Kunstauffassung war gezeichnet. Er beurteilte die bildende Kunst des akademischen Klassizismus als leblos, die sich ohne Gefühl an den Nächsten wendet. Er wollte mit einer neuen Auffassung den Menschen ansprechen, mitnehmen. Seine Bildnisse wie „Wir drei“ (1805), „Die Eltern des Künstlers“ (1806), Bilder seiner Gattin oder der Brüder stellten diese Persönlichkeiten in einer ausdrucksstarken Form dar, die etwas absolut Neues für diese Zeit war.

„Wer sieht nicht Geister auf den Wolken beim Untergang der Sonne? Wem schweben nicht die deutlichsten Gedanken vor die Seele? Entsteht nicht ein Kunstwerk nur in dem Moment, wann ich deutlich einen Zusammenhang mit dem Universum vernehme? “
Hinterlassene Schriften, Teil 1. Februar 1802, Reclam, Leipzig, 1978, S. 87

In den Dresdner Jahren (1801 – 1804) festigte Phillip Otto Runge seine künstlerische und kunsttheoretische Persönlichkeit. Wichtige Werke entstanden. Er zeichnete 1802/03 die „Tageszeiten“ – Morgen/Abend/Nacht und Tag. Sie erfuhren schon zu ihrer Entstehungszeit enthusiastische Bewunderung.  Sein malerisches Hauptwerk „Lehrstunde der Nachtigall“ entstand nach einer Ode von Friedrich Gottlieb Klopstock.

„… das Bild ist eine Liebeserklärung, eine Huldigung an sein Mädchen. Runge hat sich bei Daniel beklagt, die andern, die das Bild sehen und loben, wüßten nicht, daß er damit "im Grunde doch nur immer die Geliebte meyne". Die Geliebte war, als die "Lehrstunde" begann, fünfzehn Jahre alt. Runge sah sie auf einer Abendgesellschaft bei Anton Graff, … “
„Lehrstunde der Nachtigall“ zum 150. Todestag Ph.O. Runges, Zeit Online, 9.12.1960, von Gottfried Selb

Ja, er verliebte sich in Dresden, in die junge hübsche Sächsin Pauline Bassenge (1785 – 1881), Tochter eines Handschuhfabrikanten. Nach der Hochzeit ließen sich beide dauerhaft in Hamburg nieder, wo er 1805/06 das Gemälde „Die Hülsenbeckschen Kinder“ malte.

Mit den neu erworbenen Scherenschnitten Phillip Otto Runges des Kupferstichkabinetts der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden schildert der Künstler die Schönheit der Pflanzen in ihren vielfältigen Formen, so die glücklichen Dresdner Museumsleute. Die Pflanze als Grundbaustein der Natur werde bei Runge zum Gleichnis eines göttlichen Schöpfungsplanes, zum Baustein „seines“ Universums.

Eine erste Anleitung zum Scherenschnitt erhielt er im Alter von elf Jahren von seiner älteren Schwester. Runge erreichte darin eine enorme Virtuosität und praktizierte sie sein ganzes Künstlerleben hindurch. So entstanden viele dieser kleinen dekorativen Kunstwerke, etliche mit erzählerischen Motiven oder Porträts, vor allem aber Blumen, die er der Familie und Freunden zum Geschenk machte.

Am 23. August 1801 schrieb er an Johann Wolfgang Goethe:

„… Dadurch, daß ich fast sieben Jahre nacheinander krank war (von mein elftes bis in mein achtzehntes), wurde ich von der Schule abgehalten und hatte unterdes lauter schöne Sachen gemacht, vorzüglich im Papierausschnitzen, zu drechseln und am Ende gar in Holz zu schneiden. “
Ph. O. Runge an J. W. Goethe (23.08.1801) in „Die Begier nach der Möglichkeit neuer Bilder“, Reclam, Leipzig, 1978, S.63

 

 

 

Philipp Otto Runge,
Johannisbeere
© Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden,
Foto: Grisebach GmbH

 

 

Die neu erworbenen Arbeiten werden in Dresden erstmals im Rahmen der großen Sonderausstellung „Caspar David Friedrich. Wo alles begann“ (Albertinum 24.08.2024 – 05.01.2025; Kupferstich-Kabinett, Residenzschloss 24.08. – 17.11.2024) anlässlich des 250. Geburtstages von Caspar David Friedrichs zu sehen sein.