Follow my blog with Bloglovin

»Rembrandts Orient« im Museum Barberini, Potsdam

J.F.F. nach Andries Beeckman: Der Markt von Batavia, nach 1688
Öl auf Leinwand, 144 x 209 cm
© Tropenmuseum, Amsterdam

Die Geschichte der Niederlande reicht so weit nicht zurück. Erst 1579 schlossen sich eine Reihe nördlicher protestantischer Provinzen (Holland, Zeeland, Utrecht, Geldern, Groningen, Overijessel und Friesland) zur »Utrechter Union« zusammen und erklärten sich 1581 zur »Republik der sieben Vereinigten Provinzen«. Ermöglicht hatten dies Aufständige unter Führung Wilhelm I. (Oranien) (1533 – 1584), dem Vater des Vaterlandes, die die nördlichen Provinzen von der spanischen Fremdherrschaft befreit hatten. Noch Jahrzehnte dauerten die Kämpfe an, aber am Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 wurden im »Westfälischen Frieden« die »Vereinigten Niederlande« von Spanien als unabhängig anerkannt und gehörten damit nicht mehr zum Heiligen Römischen Reich.

Das »Goldene Jahrhundert« konnte beginnen!

Denn die noch kaum gefestigte niederländische Republik erlebte schon in der ersten Hälfte des 17.Jahrhunderts einen atemberaubenden wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung.

„In »diesem engen Gebiet drängen sich, unmittelbar nach dem Vorgang des Werdens [des Staates], die großen Taten und die großen Figuren zusammen in einer Zeitspanne von nicht einmal einem Jahrhundert: die Staatsmänner, die Feldherren, die Seehelden, die Maler, die Dichter und die Gelehrten, die Begründer des Welthandels und der Macht in Ost und West.«“
Johan Huizinga (1872 – 1945), Holländische Kultur im siebzehnten Jahrhundert (1941), Frankfurt am Main 1977, S. 14

Schon gegen Ende des 16. Jahrhunderts etablierten niederländische Seefahrer und Kaufleute Niederlassungen in Südamerika (z.B. Niederländisch-Guyana) und in Indonesien. Hier gründeten sie die Stadt Batavia, das heutige Jakarta. Die zunehmende Nachfrage nach Gewürzen wie Muskatnuss, Muskatblüten oder Gewürznelken in Europa trieb Kaufleute und Geldgeber, ihr Geld in die Schifffahrt nach Indonesien zu investieren. Unzählige Kolonien und Stützpunkte errichteten die Niederlande auf allen Kontinenten, in der Karibik, in vielen Ländern Afrikas. In Südafrika, am Kap der guten Hoffnung, errichteten sie einen großen Proviantbereich für ihre Schiffe, die die weite Fahrt nach Süd-Ost-Asien vor sich hatten. Das noch heute vornehmlich von der weißen Bevölkerung Südafrikas gesprochene »Afrikaans« entstand in dieser Zeit aus einer älteren Variante des Niederländischen. So wurden die Niederlande im 17. Jahrhundert die führende Handels- und Seemacht in Europa. Konflikte mit England (1652, 1674), mit Portugal (1624 – 1661) und Spanien (1628 / Piet Hein) waren damit vorprogrammiert.

Rembrandt und seine Zeitgenossen waren fasziniert von den fernen Ländern, deren Waren im 17. Jahrhundert in großer Zahl in die Niederlande importiert wurden. Es entstand zum ersten Mal ein Kunstmarkt für konfessionell und wirtschaftlich unabhängig gewordene Bürger. Die Begeisterung für das Fremde wurde zu einer Mode, zum Klischee, zur Repräsentation und zum Prestige. Es entstanden Wunschbilder, deren Kostüme nach Phantasiebildern und weniger nach realistischen Vorgaben gemalt wurden. Das Gefühl »Des Eigenen im Fremden« überlagerte jede ernsthafte Auseinandersetzung mit den Kulturen fremder Länder.

Die Potsdamer Ausstellung »Rembrandts Orient« ist eine Pracht in Farben, Motiven und Exotischem. Das hohe künstlerische Niveau, das uns Ferdinand Bol, Jan van der Heyden, Andries Beekman, Willem Kalf, Dirck van Loonen, Willem Schellinks, Michiel van Musscher, Pieter Lastman, dem Lehrer Rembrandts und Jan Lievens, seinem Freund mit Rembrandt Harmenszoon van Rijn in der Mitte präsentieren ist eine unvergessliche Freude für unsere Augen, für unsere derzeitig wenig geforderten Sinne. 150 Gemälde, davon 33 von Rembrandt selbst sind zu sehen.

Die niederländische »orientalische« Malerei (der damalige Orient wurde viel weiter gefasst als wir ihn heute benennen) wird im Museum »Barberini«, Potsdam so in dieser Form erstmalig präsentiert. In der Darstellung folgt man den Schwerpunkten, die von den Malern getroffen wurden. Sehr beliebt waren Porträts, »mit Turban und Seidenrock«, die den Stand und die Wohlhabenheit der Bürgerlichen und ihres »Orients zu Hause« zum Ausdruck brachten. Die Geehrten bekleidete man mit phantasievollen Outfits, die das fremd-exotische ferner Länder zeigten.

Dirck van Loonen: Assueer Jacob Schimmelpenninck van der Oije (1631-1673) mit Diener und Hund, 1660
Öl auf Leinwand, 224 x 185 cm
© Stichting Duivenvoorde, Voorschoten

Aber auch der »Weg zum Wohlstand« durch »Handel und Krieg« waren ein beliebtes Motiv.

»Batavia« (siehe erstes Bild) war ein sehr exponiertes Ziel niederländischer Kaufleute, versprachen doch die hier gehandelten Gewürze einen guten Gewinn in der Heimat. Obwohl bekannt ist, dass Andries Beekman im Gegensatz zu den meisten seiner niederländischen Malfreunde wirklich in Indonesien war, hat er den Markt wohl nicht realistisch wiedergegeben, vielmehr zeigt er die Varianz des damaligen gesellschaftlichen Lebens: Gesprächsgruppen, Verhandlungen, Spiele, sportliche Betätigungen und vieles mehr.

Der Orient galt als Schauplatz des biblischen Geschehens. »Die Landschaft der Bibel« nutzten die Maler trotz der Bilderfeindschaft des in den Niederlanden weit verbreiteten Calvinismus, um auch in diesen Geschichten und Mythen das faszinierende Orientalische anzubringen. Es gibt eine Reihe Beispiele in der diesbezüglichen Kunstgeschichte, wie:

  • »Der reuige Judas bringt die dreißig Silberlinge zurück« von Rembrandt nach 1629
  • »Esther und Haman vor Ahasver« von einem Rembrandt-Schüler um 1630
  • »Der Triumph des Mordechai« von Pieter Lastman 1624 und Rembrandt 1641

oder

  • »Bathseba bittet David um den Thron für Salomon« von Gerbrand van den Eeckhout von 1642

In der Ausstellung nehmen diese Motive einen deutlichen Platz ein:

Pieter Lastman: Jephta und seine Tochter, 1611
Öl auf Holz, 122,5 x 200 cm
© Kunst Museum Winterthur, Geschenk der Stiftung Jakob Briner, 2018

Neben Gewürzen brachten die Seeleute aus ihren kolonialisierten Ländern vieles Unbekannte mit. Korallen, Mineralien, Gürteltiere, Federn, Waffen, Schnitzereien, Teppiche oder Reliefs aus Elfenbein regten zum Sammeln, Ausstellen und Repräsentieren an. Auch diese »Erfassung der Welt« durch »Sammeln und Forschen« lieferte Motive für die Künstler.

Rembrandt Harmenszoon van Rijn: Selbstbildnis mit Säbel, 1634
Radierung mit Spuren von Grabstichel, 12,4 x 10,2 cm
© Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett, Schenkung Eberhard W. Kornfeld, Bern

Diese Radierung zeigt eines der vielen Selbstbildnisse von Rembrandt, die er in diesem Fall 1634 mit den Insignien einer orientalischen kostbaren Bekleidung schmückte. Zu einem durch eine Schlaufe verzierten Barrett und einem mit Juwelen bestickten breiten Herrenkragen betont ein Säbel aus fernen Landen das Bild.

Nur sehr Weniges wurde »mit eigenen Augen« durch die Maler gesehen, kaum einer war wirklich »im Orient« gewesen.  Oft verbanden sie ihre Motive einer Ideallandschaft mit dem Abbild anonymisierter Personen in orientalisierenden Kostümen. Das Interesse einer realistischen Darstellung wich der klischeehaften Wiedergabe phantasievoller z.B. exotischer Kopfbedeckungen wie Turbane, wertvollen seidenen Stoffen mit orientalischen Mustern.

Rembrandt war ein Meister des Lichts. In dunklen Gewölben zauberte er durch eine raffinierte direkte oder indirekte Lichtführung Szenen, die auf mystische Weise die Allmacht Gottes zelebrierten, … und als Kind des 17. Jahrhunderts durften Turban, fremdländisches Tuch und Beiwerk nicht fehlen. Das »Licht im Tempel generierte die wertvollsten und bedeutendsten Gemälde jener Zeit.

Rembrandt Harmenszoon van Rijn: Simson, an der Hochzeitstafel das Rätsel aufgebend, 1638
Öl auf Leinwand, 126 x 175 cm
© Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Der Wunsch, den Zeitgeist zu erhalten, der Nachwelt und den Jetzigen, führte zu einer großen Anzahl von Porträtstudien, sogenannten Tronies, die keine individuellen Bildnisse, sondern charakteristische Menschentypen zeichneten. Sie wurden in den verschiedensten Entwürfen mit prunkvollen Gewändern, teuren Accessoires, Schmuck und exotischem Beiwerk gemalt.

»Das Eigene im Fremden!«

In den protestantischen Niederlanden, wo der enthaltsame Calvinismus verbreitet war, kein Wunder, dass Auswege gesucht wurden.

Rembrandt Harmenszoon van Rijn: Büste eines alten Mannes mit Turban, um 1627/29
Öl auf Eichenholz, 26,7 x 20,3 cm
© The Kremer Collection

Die Ausstellung ist brillant, faszinierend wie eh und je. Man spürt förmlich die Freude und Begeisterung auch der verantwortlichen Kuratoren. Nicht zuletzt haben die Räumlichkeiten des Museums ein neues, frisches, passend grünes Outfit zur Präsentation bekommen. Als »Rembrandts Orient« vor Potsdam in Basel gezeigt wurde, schrieb der Kunsthistoriker Hans-Joachim Müller in der »Welt« am 20.11.2020: »Mit Sicherheit die beste Altmeister-Schau des Jahres.«

Wir können uns also freuen, wobei viel Geduld bei der Ticketbeschaffung nötig ist. Man sollte das umfangreiche digitale Angebot des Museums nutzen, es gibt bereits einen sehr guten Einblick.

Die Ausstellung trägt sehr bewusst den Titel »RembrandtS Orient«. Der Genitiv soll zeigen, dass wir die Bilder, ihre Aussagen und die fehlenden mit den Augen des 17. Jahrhunderts betrachten sollen, nicht mit den heutigen. Die Menschen des niederländischen 17. Jahrhunderts waren fasziniert von der Exotik des reichlich Mitgebrachten, ohne zu fragen, wie und womit es erstanden wurde. Darüber denken wir heute zum Glück anders, ganz konsequent? Wie werden künftige Generationen urteilen, wenn ihre Nachforschungen ergeben, dass heute der weltweite Bedarf an kleinen und großen Batterien für Handys und zur Verwirklichung der Elektromobilität durch den Abbau von Kobalt und Lithium im Kongo unter riskanten, zum Teil menschenverachtenden Bedingungen realisiert wird?

»Rembrandts Orient«

Noch bis 27. Juni 2021
Museum Barberini
Gemäldegalerie Alte Meister

Humboldtstraße 5-6
14467 Potsdam

Öffnungszeiten:

Täglich außer dienstags 10 bis 19 Uhr
Donnerstags 10 bis 21 Uhr 

Alle Informationen über www.museum-barberini.de

Tickets sind aktuell nur 3 Tage im Voraus online buchbar

Katalog zu EUR 30 im Prestel-Verlag im Museums-Shop.