Italien läutet die Neuzeit ein!
So ganz hatten es die Italiener nie vergessen, dass ihr Land und ihre Hauptstadt vor vielen Jahren das kulturelle und gesellschaftliche Zentrum der Welt gewesen waren – die Antike. Schon im 14. Jahrhunderte bahnten sich neue Entwicklungen an, neue Handelswege entstanden, selbstbewusste Bürger entwickelten ihre Städte, Fürsten und Adel verließen ihre Burgen und repräsentierten sich in den Ballungen. Universitäten gründeten sich, deren Forschungen ungeahnte Erkenntnisse erbrachten, die in allen Bereichen neue Möglichkeiten erschlossen. Der Zusammenbruch des ehemaligen oströmischen Reiches, von Byzanz, durch die Eroberung Konstantinopels 1453 durch die Osmanen, ließ viele Gelehrte nach Italien flüchten, die in ihrem Gepäck antikes Wissen, Ideen und Vorstellungen hatten. All das führte zwangsweise zu einer Erweiterung des Horizontes, die Gedankenwelt der Menschen konzentrierte sich auf das Irdische, ihre eigene Existenz rückte in den Mittelpunkt des Interesses. Eine eher kleine, gebildete Elite, bestehend aus Wissenschaftlern, Handwerkern, Künstlern, auch maßgeblichen Vertretern des Adels formten eine Weltanschauung, die sich mit dem Wesen und dem Sinn der menschlichen Existenz beschäftigte – dem Humanismus. Über 200 Jahre (15. u. 16. Jahrhundert) dominierte ein selbstbewusster, interessierter und an der Antike orientierter Mensch alle Gesellschaftsbereiche. Unangefochtenes Zentrum der „Rinascita“, der Wiedergeburt war Florenz, wo sich neben Venedig und auch Rom die genialsten Köpfe der Literatur (Dante), der Kunstmaler (Leonardo da Vinci, Michelangelo, Raffael u.a.), Bildhauer (Donatello u.a.) und Architekten (Brunelleschi u.a.) trafen und wirkten.
Andrea Solario (1460 – 1524)
Salome empfängt das Haupt Johannes des Täufers
ca. 1520/24 – Holz – 58,7 × 57,7 cm
Kunsthistorisches Museum Wien
© KHM-Museumsverband
Italienischer Maler der Renaissance,
Porträts, religiöse Themen,
wohnte und arbeitete in Mailand und Venedig
Und nördlich der Alpen ?
Ein Gebiet, das weit entfernt von der Kultur der klassischen Antike lag? Hier beherrschte die gotische Welt das 15. Jahrhundert nach wie vor. Langsam erst kündeten Informationen vom Aufbruch, der sich im nördlichen Italien vollzogen hatte. Nach Norden wandernde italienische Künstler, aber auch Künstler des Nordens, die wie der Franzose Jan Fouquet (1420 – 1480) oder der Flame Roger van der Weyden (1400? – 1464) nach Italien gepilgert waren, hatten das „Neue“ weitergetragen. Der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit wurde dadurch zwar um 100 Jahre verzögert, aber das humanistische Gedankengut der Renaissance bewegte und überzeugte auch im Norden Europas Gelehrte, Architekten, Künstler und Wissenschaftler. Dazu kamen zwei Entwicklungen, die das 16. Jahrhundert in ganz Europa dominierten: der Buchdruck und die protestantische Reformation.
Jan van Eyck
Lucca Madonna
ca. 1437
Mischtechnik auf Eichenholz
65,7 x 49,6 cm
Städel Museum Frankfurt am Main,
Public Domain
Die „alten“ Lehrmeister
Großen Einfluß auf die nördliche Malweise im Unterschied jener Italiens hatte der spätmittelalterliche Maler Jan van Eyck (1390 – 1441), der mit haargenauer, präziser Technik der einzelnen Motivdetails die Wirklichkeit meisterhaft in seinen Gemälden darstellte.
Beispielhaft für diesen Einfluß stehen die „Apostelmartyrien“ (nach 1435) von Stefan Lochner (1410 – 1451), zu sehen in der Digitalen Sammlung des Städel Museums, die die Realität z.T. in schockierender Klarheit zeigen. Diese realistische Genauigkeit lässt sich ebenfalls an den Werken des Flamen Hugo van der Goes (1435/40 – 1482) beobachten.
Niklas Reiser
Maria von Burgund, Halbfigur im Profil
um 1500
79,5 x 56,5 cm
Holz
Kunsthistorisches Museum Wien,
Gemäldegalerie
© KHM-Museumsverband
Der Buchdruck revolutionierte auch die Kunst
Bedeutungsvoll für die Entwicklung der Kunst war die Erfindung des Buchdrucks 1440 durch den in Mainz geborenen Johannes Gutenberg (1400 – 1468). Jetzt wurde die Vervielfältigung von Holz- und Kupferstichen möglich, die als einer der ersten der Colmarer Martin Schongauer (1453 – 1491) mit seinen Kupferstichen umfangreich nutzte.
Vervielfältigt wurden jetzt aber auch Bilder der italienischen Renaissance, … und allen gefielen sie!
Die Renaissance im Norden gewinnt an Fahrt
Das Gotische verlor immer mehr an Bedeutung, nun auch im Norden, was für die Künstler des Nordens eine dramatische Auseinandersetzung mit den neuen Prinzipien zur Folge hatte. Diese zu verstehen und in eigenem Verständnis umzusetzen, lässt sich am Werk Albrecht Dürers ( 1471 – 1528) auf wunderbare Weise verfolgen. Nach einem Aufenthalt in Oberitalien bot ihm seine reiche Geburtsstadt Nürnberg alle Möglichkeiten sein Talent auszubilden. Handwerk, Handel, Buchdruck liessen die Reichsstadt weit über ihre Grenzen erblühen. Zunftmeister, hervorragende Männer der einzelnen Gilden beförderten humanistisches Gedankengut, Nürnberg avancierte neben Augsburg zum kulturellen Zentrum der Renaissance nördlich der Alpen.
Andere machten auf sich aufmerksam, Matthias Grünewald (um 1480 – 1530) mit seinem berühmten „Isenheimer Altar“ (1516), immer noch alten Ideen verbunden, oder Lucas Cranach (1472 – 1553), der u.a. die Schönheiten des Alpenlandes auf die Leinwand brachte
Hans Holbein d. Ä.
Bildnis eines Angehörigen der Augsburger Familie Weiss,
1522 Mischtechnik auf Lindenholz
41,7 x 35,2 x min. 0,6 cm
Städel Museum, Frankfurt am Main,
Public Domain
Aber mit der Reformation lehnten die Kirchgänger Bilder und Skulpturen in ihren Kirchen ab. Die Kirche als Auftraggeber für die Künstler viel weg, Buchillustrationen, Porträts, Familienbilder reicher Bürger mußten genügen.
Renaissance im Norden – in Augsburg, Nürnberg, Straßburg, in den Niederlanden … in England
Eine neue Generation trat im süddeutschen Raum an, um sich diesen veränderten Bedingungen anzupassen. Neben dem in Nürnberg, Freiburg und Straßburg tätigen Hans Baldung „Grien“, (weil er die Farbe „grün“ so liebte, 1484-1545) war Hans Holbein der Jüngere ( 1497 – 1543) einer der bekanntesten. Hans Holbein der Jüngere wuchs in Augsburg auf, lernte in der Werkstatt seines schon berühmten Vaters Hans Holbein dem Älteren (um 1464–1524) und ließ sich in Basel nieder. Durch Italienbesuche mit Kontakten zu Andrea Mantegna und Leonardo da Vinci machte er sich die Besonderheiten sowohl der nördlichen als auch der italienischen Künstler zu Eigen.
Die aktuelle Frankfurter Ausstellung zeigt sein berühmtes Gemälde „Madonna des Bürgermeisters Jacob Meyer zum Hasen“ (1526–1528), das er schon mit 30 Jahren malte. Ein berühmtes Bild, weil Bildarrangement, Positionierung der Madonna und die zwanglose Darstellung der Familie zu beiden Seiten an die schönsten, harmonischsten Kompositionen der italienischen Renaissance erinnern.
Hans Holbein d. J.
Madonna des Bürgermeisters Jacob Meyer zum Hasen
1525/26 und 1528
Öl auf Nadelholz
Sammlung Würth, Inv. 14910
Foto: Volker Naumann, Schönaich
Sein Weg führte ihn nach England, wo ihn später Heinrich VIII. zum Hofmaler ernannte. Schmuckstücke, Tafelgeschirr, Möbel und Mitglieder des Hofes gehörten fortan zu seinen Motiven. Ein weiterer Augsburger, Hans Burgkmair (1473–1531) war in seiner Zeit hoch anerkannt. Vielseitig, kreativ und originell wird er als Schöpfer von Portraits, vor allem von Zeichnungen geschildert.
Nicht nur ihn, Hans Burgkmair, porträtierte der ebenfalls in Augsburg geborene Lukas Furtnagel (1505 – 1563), sondern 1546, als er in Halle/S wirkte, auch den verstorbenen Martin Luther in Eisleben.
Lukas Furtenagel
Hans Burgkmair und seine Gemahlin Anna
1529
60 x 52 cm
Lindenholz
Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie
© KHM-Museumsverband
Auch der zu Würden und Anerkennung gekommene Formenschneider von Holzschnitten von Malern wie Leonhard Beck (1480 – 1542), Hans Burgkmair oder Hans Schäuffelein (1480 – 1540), der in Holland geborene Jost de Negker (1485 – 1544) hatte sich in Augsburg niedergelassen. Die freie Reichs- und Handelsstadt Augsburg hatte sich in nur wenigen Jahrzehnten zur Hauptstadt einer deutschen und zugleich europäischen Renaissance entwickelt.
Die Ausstellung vereint erstmals die wichtigsten Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken Hans Holbeins d. Ä. und Hans Burgkmairs, ergänzt durch Arbeiten weiterer Augsburger Künstler aus der Zeit von ca. 1480 bis 1530 sowie durch bedeutende Werke deutscher, italienischer und niederländischer Meister.
Jost de Negker (Formenschneider), Hans Burgkmair d. Ä.
Kaiser Maximilian I. zu Pferd
1508 – 323 x 227 mm
Clair-obscur-Holzschnitt in zwei Platten (beigegrün)
Albertina, Wien
© ALBERTINA, Wien
Holbein und die Renaissance im Norden
2. November 2023 bis zum 18. Februar 2024
Städel Museum
Schaumainkai 63
60596 Frankfurt am Ma
Öffnungszeiten:
Di, Mi, Fr, Sa, So 10.00–18.00 Uhr
Do 10.00- 21.00 Uhr
Mo geschlossen