Gemäldegalerie Alte Meister
© SKD, Foto: David Pinzer
Die »Alten Meister«
Das Interesse an Kunstwerken »Alter Meister« ist ungebrochen – ungebrochen in einer Welt, wo Konzept-, Minimal- oder Performancekünste die Kunstszenen beherrschen. Trotz allem die »Altmeister-Begeisterung« hält an, Ausstellungen sind ausgebucht, erzielen Besucherrekorde. Mit Freude lese ich in der Oktoberausgabe 2020 der »Kunstzeitung« einen Artikel des Berliner Kunstjournalisten Bernhard Schulz, der diese Begeisterung begründet: Die Menschen suchen das Beständige, Zeitlose, Gültige in einer Zeit, in der »gegenwärtige Meinungen und Werte relativiert und abgestoßen werden«. Sie bestaunen das grandiose handwerkliche Können der Altmeister und obwohl den meisten die Deutung der oft behandelten christlichen Themenfelder unbekannt sein dürfte, erkennen wir uns in den Temperamenten, der Mimik, den Haltungen der vollendet gestalteten Figuren wieder. Er schreibt: »Sie sind (uns) fern, aber nicht fremd« (4).
Gemäldegalerie Alte Meister
© SKD, Foto: David Pinzer
Die Kunststadt Dresden mit ihren Sammlungen
Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden mit ihrem Museum »Alte Meister und Skulpturensammlung bis 1800« im Semperbau des Dresdner Zwingers bieten uns dieses Sehvergnügen zu allen Zeiten, oft aber im ganz Besonderen.
Schon hat der Vorverkauf für die vom 19. März bis 27. Juni 2021 stattfindende Sonderausstellung »Vermeer« begonnen (Besucherservice: +49 351 49 14 2000 oder besucherservice@skd.museum). Sie wird eine der spektakulärsten Schauen in der Geschichte des Museumsverbundes – und zugleich die bisher größte Ausstellung über den Maler Johannes Vermeer in Deutschland sein.
Vom 16.10.2020 bis zum 17.01.2021 beglückt uns ein anderer, ganz großer Altmeister: »Caravaggio. Das Menschliche und das Göttliche« ebenfalls im Dresdner Zwinger. Das Highlight der Ausstellung – und nur in dieser Zeit zu sehen – ist ein ikonisches Meisterwerk des italienischen Frühbarocks aus den Kapitolinischen Museen in Rom: Michelangelo Merisi da Caravaggios (1571–1610) Gemälde »Johannes der Täufer«. Die Gemäldegalerie Alte Meister präsentiert dieses Bild gemeinsam mit mehr als 50 Werken aus der eigenen Sammlung, die Caravaggios weitreichenden Einfluss auf die Kunst – über Generationen und Landesgrenzen hinweg – sichtbar machen.
Gemäldegalerie Alte Meister
© SKD, Foto: David Pinzer
Michelangelo Merisi da Caravaggios, genannt »Caravaggio«
Michelangelo Merisi nannte sich nach seinem oberitalienischen Geburtsort Caravaggio. Er ist einer der spektakulärsten Maler des Barock, ja der Kunstgeschichte überhaupt. Er gilt als eigentlicher Begründer der römischen Barockmalerei (zusammen mit Annibale Carraci). Seine dramatische Lichtführung, die ausdrucksvolle Gestik seiner Gestalten, das Pathos seiner Bilder, der Realismus und die freizügige Darstellung seiner Gestalten – man spricht auch von Caravaggios »Naturalismus« – machten ihn zu einem Künstler, dessen erstaunliche und teilweise rätselhaften Kunstgriffe schon seine Zeitgenossen begeisterten, aber auch irritierten. Caravaggio lebte in einer zerrissenen Zeit, die Renaissance, als fest umschriebene Epoche war Vergangenheit, Luthers Kirchenreform und die katholische Gegenreaktion (Konzil von Trient 1545 – 1563) und die beginnenden »Türkenkriege« verunsicherten Mensch und Gesellschaft an der Schwelle vom 16. zum 17. Jahrhundert. Blutige Verbrechen, Morde, Geißelungen, Vergewaltigungen gehörten zunehmend zum Alltag, in dem Caravaggio lebte … und malte, so wie er es sah, brutal und oft übertrieben realistisch. Nicht selten hatte er mit dem Gesetz Probleme: öffentliche Ausraster, unerlaubte Führung einer Waffe, Ruhestörung, Inhaftierung wegen diffamierender Gedichte und wegen Widerstands gegen die Polizei, Körperverletzung und nicht zuletzt Mord (3). Mittlerweile ein etablierter und geschätzter Künstler in Rom, sicherte er sich Aufmerksamkeit und gleichermaßen Unverständnis in seinem Kollegenkreis, weil er die bisherigen festen Regeln des Malens verließ und die Dinge so darstellte, wie er sie sah.
Gemäldegalerie Alte Meister
© SKD, Foto: David Pinzer
Jahre der Verbannung
1606 musste er Rom wegen seines verübten Totschlages verlassen. Über Neapel, 1607 Malta, 1608 Sizilien flüchtete er, um sich einer Verurteilung zu entziehen … und malte weiter, einige seiner berühmtesten Bilder entstanden in dieser Phase:
»Abendmahl im Emmaus« 1606 (Mailand),
»Die sieben Werke der Barmherzigkeit« 1606 (Neapel),
»Die Enthauptung Johannes des Täufers« 1608 (Valetta),
»Salome mit dem Kopf Johannes des Täufers« 1607 (London),
»Salome mit dem Kopf Johannes des Täufers« ca. 1607 (Madrid),
»Geißelung Christi« 1607 (Neapel),
»Schlafende Amor« 1608 (Florenz),
»Das Begräbnis der hl. Lucia« 1608 (Syracus),
»Auferstehung des Lazarus« 1608/09, (Messina),
»Anbetung der Hirten« 1609 (Messina)
und Caravaggios letztes Bild
»Martyrium der Hl. Ursula« 1610 (Neapel) (2).
Stimmungen und Themen der Bilder waren jetzt andere. Dramatik und größere Intensität zeigen sich in der Malweise, vor allem aber in schattenreichen und düsteren Bildern, die sich oft mit dem Tod beschäftigen.
In der Hoffnung auf Begnadigung durch den Papst versuchte er nach Rom zurückzukehren, verstarb aber im Juli 1610 auf dem Weg in Porto Ercole. Die Todesursache ist unklar, man rätselt zwischen Herzattacke, Malaria oder einer Sepsis (6).
Der kapitolinische »Johannes der Täufer« aus dem Jahre 1602
Öl auf Leinwand, 129 x 95 cm
© Kapitolinische Museen, Rom
1610 seinem letzten Lebensjahr malte Caravaggio das Motiv »Johannes der Täufer« zum wiederholten Mal (Galleria Borghese Rom). Der Unterschied zu unserem Gastgemälde aus den Kapitolinischen Museen aus Rom aus dem Jahr 1602 könnte nicht größer sein. Der ganze jugendliche Elan eines den Betrachter lächelnd auffordernden, weder sitzenden noch liegenden auf einem Fels »lümmelnden« splitternackten, attraktiven Jünglings ist einem in gedämpften Farben dargestellten, missmutigen und verwelktem jungen Mann gewichen. War es ein Abschied von der Jugend, ein Ausdruck des Gehetzten auf Begnadigung hoffenden (2)?
Die Vitalität, Frische und Offenheit in dem kapitolinischen Bild von 1602 dagegen thematisiert Lebensfreude und Gelassenheit und provozierte den Auftraggeber und Betrachter zu »seiner« Interpretation. Ist es wirklich Johannes der Täufer oder nur ein anmutiger, wohl gestalteter Hirte, ein Adonis, der mit dem »falschen Lamm«, dem männlichen Schafbock ein homoerotisches Spiel andeutet?
Natürlich ordnet sich der kapitolinische Johannes (1602) in die Reihe weitere Werke Caravaggios zu diesem Thema ein (1604/05, 1605/06, 1609/10), aber andere Auslegungen sind denkbar und vielleicht von Caravaggio gar so gewollt (5).
Nachwirkungen
Caravaggios Malweise war revolutionär. Seine Zeitgenossen waren fasziniert. Sie kopierten die schlaglichtartige Beleuchtung der Figuren, sein raffiniertes Hell-Dunkel (Chiaroscuro), den im Ungewissen und Dunkeln verstreichenden Hintergrund und die Sicht, als wären die Bilder Momentaufnahmen einer Szene. Sie werden als »Caravaggisten« betitelt. Vor allem Bartolomeo Manfredi, der Franzose Nicolas Tournier und eine Utrechter Malergruppe (u.a. Gerard van Honthorst) übernahmen diese Malweise (6).
Öl auf Leinwand
© Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden,
Foto: Estel/Klut
Die Dresdner Ausstellung zeigt außerdem eine Gruppe von Gemälden bedeutender Maler, die dieses Vermächtnis Caravaggios in Italien aber auch die Verbreitung seines Stils in Nordeuropa und Spanien widerspiegeln. Werke von Leonello Spada oder Francisco de Zurbarán zeugen von der Wirkung auf die Zeitgenossenschaft.
Arbeiten von Peter Paul Rubens, Luca Giordanos, Johannes Vermeers oder auch Adriaen van der Werffs belegen wiederum, dass Caravaggio über die Jahrhunderte hinweg weiterhin als Vorbild unter Kunstschaffenden in ganz Europa galt. Durch diese überzeitliche Stellung in der Kunstgeschichte gehört Caravaggio bis heute zu den einflussreichsten Künstlern.
Darüber hinaus bietet die Dresdner Ausstellung »Caravaggio. Das Menschliche und das Göttliche« Werke von Parmigianino, Paolo Veronese und Annibale Carracci, die den umfangreichen Bestand an Formen, Stilmitteln und bildnerischen Konzepten in der Malerei des Cinquecento verdeutlichen, die schließlich in den Werken Caravaggios zum Tragen kamen.
»Caravaggio. Das Menschliche und das Göttliche«
Noch bis 17. Januar 2021
Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Gemäldegalerie Alte Meister
Zwinger
Theaterplatz 1
01067 Dresden
Öffnungszeiten:
Täglich außer montags 10 bis 17 Uhr
Freitags 17 bis 20 Uhr (Blaue Stunde)
Eintrittspreis:
Regulär 14 €
Ermäßigt 10,50 €
Unter 17 J. frei
Begleitend zur Sonderausstellung erscheint die Publikation »Caravaggio. Das Menschliche und das Göttliche« in deutscher und englischer Sprache im Sandstein Verlag, herausgegeben von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Stephan Koja, Iris Yvonne Wagner, 192 Seiten, 35 €, Museumsausgabe 28 €, ISBN 978-3-95498-569-2.
Literatur:
1 Haase, Amine »Das Schöne und Monströse« in kunstforum.de
2 Haase, Amine »Ein Zeuge der Zerrissenheit« in kunstforum.de
3 Kunstmuseum.com »Caravaggio – Leben und Werk«
4 Kunstzeitung, 8/2020
5 von Rosen, Valeska »Bedeutungsspiele in Caravaggios Darstellungen Johannes’ des Täufers«
6 Wikipedia