Barbara Hepworth
… und das Museum
Das Lehmbruck-Museum Duisburg überrascht in diesen Tagen mit einer ganz besonderen Ausstellung. Unter dem Titel
„Die Befreiung der Form. Barbara Hepworth.
Meisterin der Abstraktion im Spiegel der Moderne“
werden Werke der britischen Bildhauerin Barbara Hepworth (1903 – 1975) präsentiert.
Aufgrund ihres Talents, ihrer Kreativität und ihres handwerklichen Könnens war sie eine der Künstlerinnen, die schon in 1950er und 1960er Jahren die Vorherrschaft ihrer männlichen Kollegen in der Kunstwelt aufwirbelte. Kritiker lobten ihre Arbeiten, die Teilnahme an den Biennalen von Venedig (1950) und Sao Paula (1959) sowie an den documenta I und II (1955/59) in Kassel bestätigen ihre Ausnahmestellung.
Barbara Hepworth wurde zur Impulsgeberin für die europäische Bildhauer-Avantgarde, eine Meisterin der Abstraktion.
Blick in die Ausstellung Barbara Hepworth,
© Bowness,
Foto Christoph Reichwein (1).jpg
Wie Barbara Hepworth eine Bildhauerin wurde
In Yorkshire geboren begann ihre künstlerische Ausbildung bereits mit 17 Jahren an der Leeds School of Art, ein Jahr später am Royal College of Art in London. Bewußt wählte sie die Bildhauerei, eine für Frauen in der damaligen Zeit ungewöhnliche Entscheidung, die sie aber schon in jungen Jahren mit der Technik des „Direct Carving“ bekannt machte. Dabei arbeitet der Künstler die Form unmittelbar aus dem Stein oder Holz ohne künstlerische Vorlage aus, eine Methode, die einen großen Teil ihres künstlerischen Werkes beeinflusste.
Barbara Hepworth war zweimal verheiratet. 1923 heiratete sie den Bildhauer John Skeaping (1901 – 1980), von 1938 bis 1951 war sie mit dem Maler Ben Nicholson (1894 – 1982) verbunden. Beide Künstler hatten in der englischen Kunstwelt bereits einen Namen, so dass ihre Frau Barbara in diesen Jahren schnell Anschluss in die Szene finden konnte. Die Beteiligungen an Vereinigungen, Künstlergruppen und an Ausstellungen formten für sie ein Netzwerk, dass ihren Bekanntheitsgrad rasch steigerte. Sie selbst war engagiert und so selbstbewusst, dass sie ihre Karriere beeinflusste, indem sie zu ihren Arbeiten Schriften veröffentlichte, Fotografien und Filme von ihren Werken verschickte. Sie wurde durch viele Ausstellungen bekannt, schnell in ganz Europa, später vor allem in den USA, in Südamerika und in den skandinavischen Ländern.
Und das was sie zeigte, begeisterte.
Aufenthalte in Paris und Italien führten zu Künstlerbekanntschaften, deren Arbeiten sie schätzte, sie in ihren Ideen bestärkten. Besonders positiv wirkten Constantin Brancusi, Piet Mondrian und Hans Arp auf sie ein, enge Kontakte bestanden zu Naum Gabo und zu ihrem Studienkollegen Henry Moore, sicher kannte sie Werke von Wilhelm Lehmbruck und Alberto Giacometti.
Der Weg zur Abstraktion
Ihre ersten Arbeiten in den 1920er Jahren bewahrten noch die Figur, formvollendet. Wunderschön, sehe ich „Mother and Child“ von 1927 vor mir. Aber bald suchte sie nach einer Form, die das gleiche Thema „Mother and Child“ 1934, allgemeiner, anonymer, „abstrakter“ darstellte. Ihr Weg begann, sich dem großen Thema der Moderne des 20. Jahrhunderts der Abstraktion zu widmen. Ihre Arbeiten lassen, wie nur wenige andere, die Gedanken der Künstler begreifen, die nach einer Befreiung der Form durch die Abstraktion drängten. Besonders das Dreidimensionale läßt den Laien viel eher verstehen, warum der Künstler das Empfundene in diese oder jene Form oder Oberflächenstruktur verarbeitet, warum er sich für Stein und nicht für Bronze entschieden hat. Die Weite einer abstrakten Dimension entspricht unserem modernen Denken und widerspiegelt Gespür für das Heute.
Barbara Hepworth,
Marble with Colour (Crete),
1964,
Sammlung Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam,
© Bowness.jpg
Hepworths Werk
1932 schuf sie ihre erste vollständig abstrakte Skulptur, die sie „Pierce Form“ („Piercings“, das Durchstechens der Form). Sie gibt es heute nur noch auf dem Bild, da sie im Krieg zerstört wurde.
In einem massigen Körper völlig ohne Anlehnung an etwas Figuratives, beziehen drei großzügig abgerundete Fortsätze Stellung zu einer zentralen runden Öffnung. Die Beziehung ist harmonisch, nichts stört, die Skulptur verströmt Ruhe. Eine „durchbohrte“ Skulptur! Es ist nicht die letzte, die Barbara Hepworth schuf. Viele, viele tragen diese Eigenschaft, die durch ihre Größe, Lage und Form mit dem Grundkörper eine Beziehung eingehen. Barbara Hepworth hat die verschiedensten Materialien bearbeitet, Stein, Holz, Marmor, Eisen, Bronze und dabei immer wieder ihre Eindrücke von Land, Mensch, Landschaftsstrukturen und Formen des Meeres zum Ausdruck gebracht.
Berühmt sind ihre Konstruktionen, bei denen sich über einem abstrakten Hohlraum in verschiedenen Ausführungen Schnüre in geometrischer Anordnung spannen, den „String Pieces“. Eine Ikone ihres Schaffens ist die „Single Form“ von 1937, eine aufstrebende, ausgewogene Skulptur aus Holz. Auch eine „Single Form“, eines ihrer Hauptwerke, schuf sie in Verehrung für den verunfallten UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld 1961 für den Brunnen vor dem UNO-Hauptgebäude in New York. Diese Stele ist allerdings 6,4 m hoch, aus Bronze gearbeitet und … hat im oberen Drittel der Skulptur eine große runde Öffnung!
Viele ihrer Skulpturen zieren den öffentlichen Raum.
Dudley Shaw Ashton,
Figures in a Landscape,
1953, Film Still, C BFI,
Courtesy of the BFI National Archive.jpg
Zu Hause im Cornwall
1939 verließen Barbara Hepworth und Ben Nicholson London und ließen sich in St. Ives, an der Nordküste Cornwalls nieder. Dieser Ort war Anziehungspunkt für viele Intellektuelle. Hier in St. Ives verstarb Barbara Hepworth am 20. Mai 1975.
Nach ihrem Tod wurde es ruhig um ihr Werk. Eine Würdigung in der Kunstgeschichte, die sich mit Künstlerinnen befasst, fand nicht statt. In ihrem Katalogtext begründet es Frau Jessica Keilholz-Busch damit,
„… dass Hepworth sich nicht explizit als feministische Künstlerin verstand, . .. Hepworth war der Meinung, dass Kunst geschlechtsneutral und allein der Qualität nach zu beurteilen war: Entweder war sie gut oder sie war es nicht.“ (Katalog zur Ausstellung, Hirmer-Verlag, München, 2023, S.79).
Erst 1994 fand in Liverpool eine Retrospektive ihres Werkes statt, die zu großer Resonanz führte und vor allem junge Künstlerinnen und Künstler begeisterte.
Die Ausstellung im Lehmbruck-Museum stellt den Werken Barbara Hepworths Arbeiten ihrer Zeitgenossen und Skulpturen zeitgenössischer Künstler gegenüber. Einfluss und Auswirkung ihres Werkes auf die bildhauerische Kunst der Gegenwart wird für den Besucher deutlich.
Claudia Comte,
Even Cacti Can´t Take the Heat,
2023,
© Künstlerin und König Galerie,
Foto Gunnar Meier.jpg
Der Katalog
Der Ausstellungs-Katalog des Hirmer Verlages, München, herausgegeben von Frau Dr. Söke Dinkla, unterrichtet mit zahlreichen, sehr informativen Texten zu Barbara Hepworths Leben, ihrer künstlerischen Entwicklung und ihren Wegen zum Erfolg. Alle Nuancen ihres Charakters und Tuns werden angesprochen, so dass man nach der Lektüre die Künstlerin sehr gut kennengelernt hat. Der Einfluss Barbara Hepworths auf zeitgenössische Kunst ist interessant und wichtig, das spiegelt sich am gewährten Platz in der Ausstellung wie im Katalog wider. Mit eigenen Texten werden die Arbeiten der Bildhauerin und Performancekünstlerin Nevin Aldag, der Installationskünstlerin Claudia Comte, der Malerin und Fotografin Tacita Dean, der Performancekünstlerin Nezaket Ekici, des Experimentalkünstlers Julian Charriere und des Lichtkünstlers Laurenz Theinert immer in Bezug zu Hepworths Arbeiten gewürdigt.
Die Verantwortlichen des Museums betonen am Beginn des Kataloges, dass sie es als ihre Aufgabe ansehen, bisher in der Kunstgeschichte vernachlässigte Künstlerinnen zu fördern und bekannt zu machen. Dieser Gedanke wird in vielen Artikeln des Kataloges angesprochen und gewürdigt.
Der Bildteil ist umfangreich und gibt einen guten Einblick in Hepworths Werk. Die Künstlerin ließ ihre Skulpturen ebenfalls fotografieren, war aber über die nur zweidimensionale Aussage zu ihren Arbeiten unzufrieden und wünschte eine Darstellung im Film. Dieser Unzulänglichkeit muß sich der Katalog leider auch fügen, es ist aber andererseits ein Motiv, die Ausstellung zu besuchen.
Mit 6 Grußworten nehmen diese Gesten einen breiten Raum ein, sicher in Zeiten knapper Kassen verständlich.
Viele der Autoren verzichten auf eine gendergerechte Schreibweise, allerdings stockte mir der Atem, als ich auf S. 38 las, dass zwar ausschließlich von Wilhelm Lehmbruck und Barbara Hepworth die Rede ist, aber beide dann so dargestellt werden: „Wenngleich beide Künstler:innen sehr …“
Die deutsche Sprache könnte es so klar und einfach ausdrücken.
Barbara Hepworth,
Caryatid (Single Form),
Lehmbruck Museum, Duisburg,
Foto Jürgen Diemer,
© Bowness.jpg
Lehmbruck Museum Duisburg
Düsseldorfer Str. 51, 47051 Duisburg
„Die Befreiung der Form. Barbara Hepworth.
Meisterin der Abstraktion im Spiegel der Moderne“
bis 20. August 2023
Öffnungszeiten:
Sonntag 11:00 bis 17:00 Uhr
Dienstag bis Freitag 10 bis 17:00 Uhr
Montag geschlossen