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Traditionelles Handwerk in der Schweiz: Von Künstlern und Könnern

In den letzten 150 bis 200 Jahren war die Welt von ständigem Fortschritt geprägt, von technologischen Errungenschaften bis zur digitalen Revolution. Dennoch zeigt sich der Mensch bis heute fasziniert vom Bewahren traditionellen Handwerks. In der Schweiz wird diese Liebe zur Handarbeit besonders gepflegt, beeinflusst von ihrer Geschichte und den Herausforderungen der Bergwelt. Wir werfen einen Blick auf die Schätze des traditionellen Handwerks in der Schweiz, wo die Menschen die Kunst des Schnitzens, Töpferns und der Uhrmacherei hochhalten.

Traditionelles Handwerk in der Schweiz – Von Künstlern und Könnern.

Brauchtum und Tradition

 

Schaut man zurück, vor allem auf die letzten 150 bis 200 Jahre, so waren sie von ständigem Suchen, Forschen, Probieren und Testen begleitet, weil man immer mehr Ideen und Möglichkeiten sah, sich das Leben zu erleichtern, zu verschönern oder Neues einzubringen. So rollt man heute mit 180 Sachen durch die Welt, fliegt kreuz und quer um den Erdball und neueste Errungenschaften in der digitalen Welt bis hin zur künstlichen Intelligenz sind in ihren Zielen noch gar nicht zu erkennen. Natürlich haben all diese Fortschritte auch herkömmliche Tätigkeiten im Handwerk, in der Büroarbeit oder in der Kommunikation erfasst. Und trotzdem gibt es kurioserweise einen Drang unter den Menschen, auch das Alte nicht zu vergessen, ja möglichst am Leben zu erhalten.

Besonders ausgebreitet ist dieses Verlangen im Handwerksbereich. Zwei Tendenzen zeigen sich dabei. Zum einen gibt es Forderungen nach altem Gewerk, weil Altes repariert werden muss oder schätzenswerte Altbauten nur mit dieser Handhabung zu erhalten sind. Hier wären z.B. Dächer aus Schilf am Meer oder Schindeldächer und -wände im Gebirge zu nennen. Hierzu gehören alle Handwerke, die Metall und Holz nach alten Methoden verfeinern und volkskundliche Schätze herstellen. Ich denke an Schnitzen, Drechseln, Schmieden.

Andererseits sind das Techniken, die ganz einfach Freude machen, die Menschen reizen, es zu erlernen, es so wie die Alten zu schaffen. Hier sind beispielsweise keramische Arbeiten, Nähen, Sticken oder Häkeln zu nennen. Und man glaubt es kaum, der Trend, etwas selbst, mit den eigenen Händen fertigzustellen ist größer denn je. Nicht weil man es muss, sondern weil man es will.

Jedes Land hat dabei seine Eigenheiten. Es hängt von seiner Geschichte, seiner geografischen Lage und natürlich den allgemeinen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Da die kalte Jahreszeit vor der Türe steht und unsere Herbst/Winter-Ausgabe Bergwelten in den Fokus stellt, führt uns heute die Reise in der Schweiz, wo traditionelles Handwerk sehr gepflegt wird.

Wen wundert es? Die Menschen lebten abseits in einsamen Tälern, beherrscht von großen Bergen, die das Fortkommen in der kalten und dunklen Jahreszeit erschwerten. Lange dunkle Nächte im Winter waren nur zu Hause am wärmenden Ofen auszuhalten. Also musste das Haus vorbereitet sein. Holz gab es reichlich, um Dach und Wände mit Schindeln abzudecken. So saß man am einigermaßen erhellten Familientisch, malte, schnitzte, töpferte oder strickte eine warme Mütze, um die langen Abende auszufüllen.

Mehr im Norden der Ostschweiz, südlich von St. Gallen bemalen die Appenzeller und Toggenburger schon seit dem 16. Jahrhundert ihre Möbel, gern noch in der althergebrachten Form der rustikalen „Bauernmalerei“. Der Ehrgeiz kennt auch in der Gegenwart keine Grenzen. Gleich ob persönliche Motive oder typische Senntumsbilder mit Kühen und Appenzeller Bauernhäusern, die Möbel werden geschmückt wie in alten Zeiten.

 

Nun sollte man seinen Wagen westwärts lenken, um an die herrlich gelegenen Brienzer- und Thunerseen zu gelangen. In Brienz am Ostufer des Brienzersees liegt das Schweizer Holzbildhauerei Museum. Es entstand, weil hier schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts die Holzschnitzer zu Hause waren. In der „Schule für Holzbildhauer“ werden diese, aber auch Drechsler, Korbflechter und Küfer ausgebildet.

 

Nach einer dreiviertel Stunde Fahrt auf der A8 am Ufer beider Seen entlang erreichen wir am westlichen Ufer des Thunersees Thun. Das Thun-Heimberg-Langenau-Gebiet ist das Schweizer Zentrum für handwerkliche Töpferware. In kleinen Familienbetrieben werden die beliebten Bauernkeramiken mit „Engobenmalerei“ hergestellt. Dabei wird Schlicker (zähflüssige Wasser-Mineralgemisch) mit dem Pinsel auf die Keramik aufgetragen.

 

Will man Häuser mit originalen Holzschindeln an Wand und auf dem Dach sehen, fährt man von Thun südwestlich in die Nähe des Genfer Sees, in das Freiburger und Waadtländer Voralpenland. Die Schindelmacher nehmen Fichtenholz, spalten es mit Gefühl und schneiden dann die Schindel heraus. Es ist ein seltenes Gewerbe geworden, aber ein Haus so versorgt, kommt damit über 100 Jahre hin.

 

In der gleichen Gegend findet man sogenannte Poya-Bilder. Sie zeigen meist in Schwarz/Weiß den Alp-Aufzug der Tiere und schmücken stolz die Höfe der Viehhalter. Auch heute werden sie noch angefertigt. In Bulle gibt es dazu das „Musee Gruerien“.

 

Die Schweiz ist bekannt für ihre meisterliche Uhrmacherkunst. In Genf ist im Quartier Saint-Gervais in einer „Fabrique“ das gesamte Know-how der Uhrmacher-, Goldschmiede- und Juwelierkunst zu Hause. Neben Uhren werden hier auch Edelmetalle kunstvoll bearbeitet. Weltbekannte und begehrte Luxusartikel wie die «Boules de Genève» (Genfer Kugeln) aus Gold oder «Émaux de Genève» (Genfer Emaille) mit kunstvollen Malereien verzaubern alle. Das «Poinçon de Genève» (Genfer Siegel) ist dagegen eine gesetzlich geschützte Qualitäts- und Ursprungsbescheinigung für mechanische Uhren, die im Kanton Genf gebaut und reguliert werden.

 

Westlich von Bern liegt Neuenburg am gleichnamigen See. Hier fanden sich im 17. Jahrhundert Frauen zusammen und begründeten eine weltweit beachtete Spitzenklöppelindustrie. Sie verwendeten Leinen und Seide mit einem spezifischen typischen Muster, das geschützt war. Die Motive veränderten sich mit der Mode, einmal waren es die Mechelner, dann die Valenciennes, dann die Bincher Spitzen. Schon um 1830 lief die Produktion aus, weil Spitzen maschinell viel billiger hergestellt werden konnten. Heute klöppeln die Neuenburger nur noch in ihrer Freizeit. Museen in der Umgebung bewahren mit Beispielen diese alten Spitzenleistungen.

 

Über die gesamte Schweiz war und ist die Scherenschnittkunst verbreitet, ganz besonders im Saanenland, im Simmental (zwischen Interlaken und Genfer See) und im Kanton Freiburg. Mit Papier, schwarz/weiß oder farbig lassen sich nur mit Schere und Cutter die tollsten Kunstwerke schaffen. Von Szenen des Alpaufzugs und der Käseherstellung, Blumenmustern oder ortstypischen Holzhäusern bis zu modernen abstrakten Motiven ist diese Tradition bis heute erhalten. Sogar einen „Schweizerischen Verein Freunde des Scherenschnitts“ gibt es.

 

In der Region Basel, Aargau, Solothurn war bis 2004 die Seidenband und Bandweberei zu Hause. Die Seidenbandweberei wurde im 16. Jahrhundert von Glaubensflüchtlingen aus Italien und Frankreich in die Region Basel gebracht und führte zu einer weit verbreiteten Heimarbeit. Sie prägte das Land nachhaltig.

In der Informationsschrift „Lebendige Traditionen der Schweiz“ wird berichtet:

„In der Architektur der Baselbieter Dörfer ist die Heimarbeit nach wie vor präsent. Die typischen Posamenterhäuser sind Kleinbauernhäuser mit einem kleinen Wirtschaftsteil neben dem großen Wohnteil. In den stattlichen Häusern wohnten zwei bis drei Familien im Stockwerkeigentum; in jedem Stock stand in der Stube mindestens ein Webstuhl. Die Häuser zeichnen sich durch große Fenster aus, durch welche viel Licht in die Räume kam. Denn man war darauf angewiesen, kleinste Details zu erkennen bei der Arbeit an einem Webstuhl mit Tausenden feinster Seidenfäden.“

Das Weben wird in Museen mit geschultem Museums-Weberpersonal erhalten.

 

Besonders lohnt sich eine Fahrt in die Region Graubünden, ins Engadin, Bergell oder Val Müstair, weil sich hier die Häuser mit Sgraffito-Ornamenten schmücken. Aus einer feuchten, mit hellem Kalkanstrich übertünchten Putzschicht werden mit Stiften und Messern Muster herausgekratzt, so dass der darunter liegende, dunklere Kalkmörtel zum Vorschein kommt. Vor allem im 17. und 18. Jahrhundert wurden die Häuser so bearbeitet und begründeten damit den Bündner Heimatstil.

 

Zum Schluss noch ein Gewerke, dem jeder zu Hause nachkommen kann: dem Strohflechten! Diese Technik haben die Schweizer in Freiamt, südlich von Zürich in der Nähe von Luzern von den Italienern im 16. Jahrhundert gelernt. Erst als Heimflechten, später wurden Hüte, Broschen, Sterne und Garnituren industriell geflochten. Aber auch hier kam es am Ende des 19. Jahrhunderts zum Erliegen der Strohindustrie. Heute ist das Flechten in der Schweiz für einzelne Interessierte ein Hobby. Nur die Tessa AG in Villmergen im Kanton Aargau stellt als einziger Betrieb noch Geflechte von hoher Qualität her. Diese werden zur Weiterverarbeitung weltweit exportiert.