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Stickmanufaktur Maison Lesage

Man hat sie vielleicht schon gesehen: die fantastischen, brillanten Stickereien auf ebenso wertvollen Stoffen. Sie, die in der Lage sind, unsere Sinne zu verzaubern, Stickereien, die mit Motiven der Kunst, phantasievollen Eigenschöpfungen und harmonischen Farbkreationen die sie tragenden Stoffe beschwören, sind meist das Ergebnis der Pariser Stickmanufaktur Maison Lesage. Wir stellen euch diese besondere Manufaktur vor. 

Maison Lesage – Sticken, Kunststicken, Paris

 

Kaum ein großes Modelabel der Welt, das seine Entwürfe mit Stickereien adeln möchte, kommt heute an der Handwerkskunst dieser Werkstatt vorbei. Eine imposante Firmengeschichte, eine tief verwurzelte Tradition haben hinter den Mauern am Pariser Place Skanderbeg ein Archiv mit Stickereivorlagen entstehen lassen, die vielen Couturiers und Luxushäusern offenstehen. 80.000 Vorlagen für die Haute Couture, für Ready-to-Wear oder anderweitige Accessoires sind für alle eine Quelle der Inspiration. Dieses Archiv lebt und wird ständig erweitert, wie der künstlerische Leiter Hubert Barrère in einem Interview für das Magazin »Runway« 2019 betonte. 

Mitte des 19. Jahrhunderts: Die Anfänge

 

Mitte des 19. Jahrhunderts trat in Paris mit Charles Frederick Worth (1825-1895) ein Modeschöpfer auf die Bühne, der auf Jahrzehnte das Modeempfinden der Franzosen bestimmte. Er gestaltete die herrschende Mode alltagstauglicher, bestimmte den Modegeschmack der französischen Kaiserin Eugenie und war der Erste, der Modepuppen durch lebende Modelle ersetzte. Immer auf der Suche nach neuen Ideen fand der geschäftige Couturier (für ihn arbeiten bis zu 1.200 Mitarbeiter) in der 1858 gegründeten Stickerei Michonet einen gesuchten Partner. Maison Michonet hatte sich mit seinen Stickkünsten bei Theaterkostüm-Designern und mit Sonderanfertigungen für den Hof von Napoleon III. einen Namen gemacht. Auch bekannte Modedesigner des späten 19. Jahrhunderts wie Madeleine Vionnet und Jean Paquin wurden von Michonet bedient.

 

Der Beginn

 

Im Jahr 1924 erwarben Albert und Marie-Louise Lesage das Atelier von Albert Michonet. Albert Lesage (1888-1949) war durch Kriegsgefangenschaft in Chicago gelandet und hatte hier schon ab 1919 als Designer für Marshall Field’s gearbeitet. 1922 kehrte er nach Paris zurück und begann bei Maison Michonet, die inzwischen einen Nachfolger für den Firmengründer Albert Michonet suchten. Mittlerweile verheiratet mit Marie-Louise Favot, die im Modehaus Vionnet gearbeitet hatte, begann eine enge Zusammenarbeit von Albert Lesage et Cie mit diesem Label. Madeleine Vionnet war berühmt für Kleiderentwürfe im Diagonalschnitt, die Kleider umflossen förmlich den Körper ihrer Trägerinnen. Um die leichten Stoffe (Crêpe Romain, Crêpe de Chine, Seidenchiffon oder Charmeuse) nicht zu verziehen, passte sich Albert Lesage sofort an. Ein Tambour-Haken fing den Faden auf der Rückseite des Stoffes und zog ihn zur Vorderseite, um Perlen und Pailletten anzubringen. Diese Vorgehensweise ist bis heute als Tambour- oder Luneville-Stickerei bekannt. Lesages Kreativität und Inspiration sprach sich rasch in der Modewelt herum. Neben dem von Michonet übernommenen Kundenstamm gesellten sich rasch weitere Luxusmarken dazu. Mit außergewöhnlichen Stickmotiven, die das Ergebnis unzähliger Stunden präziser Perlenstickerei waren, überzeugten Albert und Marie-Louise die namhaften Modehäuser.

Glück im Unglück

 

In schwerer wirtschaftlicher Lage Anfang der 1930er-Jahre erlöste die italienische Modedesignerin Elsa Schiaparelli  (1890-1973) Albert Lesage von seinen Sorgen. Das passte, denn Maison Lesage et Cie hatte seinen Katalog mittlerweile auf moderne Stilrichtungen wie Jugendstil und Art Deco orientiert. Schiaparelli war in ihrer Branche als Ikone avantgardistisch-surrealistischer Mode bereits sehr erfolgreich. Lesage lieferte bestickte Gürtel mit Posamenten aus Goldfäden mit Korallen- und Edelsteinen mit Glattschliff. Es folgten Halsketten und Kragen bis zu gemeinsam designten Kleidungsstücken. Die Materialien wurden immer ausgefallener: Muranoglas, um Blumen zu imitieren, Elemente aus Lapislazuli, Kunststeinen, Kieselsteinen, Glasperlen, Gold- und Silberspiegeln, Chenille wurde mit Nerz kombiniert, man konnte auch Fischschuppen an diesem oder jenem Kleidungsstück erkennen. Berühmt ist ein mit Sonnenstrahlen bestickter Umhang, ergänzt durch vergoldete Pailletten. Über 20 Jahre führten beide eine sich gegenseitig ergänzende und befruchtende Zusammenarbeit mit überaus erfolgreichen Ergebnissen – Highlights aus der Symbiose von Design und Handwerk.

 

François, der Sohn

 

In François Lesage (1929-2011), dem Sohn von Albert und Marie-Louise Lesage, waren die Voraussetzungen für eine künstlerische, kreative Tätigkeit »in einen Haufen Perlen und Pailletten hineingeboren«, also ebenfalls angelegt. Nach einer Ausbildung bei seinen Eltern begann er seine Karriere in den USA, wo er Stickereien für große Filmproduktionen in Hollywood fertigte. Nach dem Tod seines Vaters 1949 kehrte er nach Paris zurück und übernahm das Familienunternehmen. Erfolgreich baute François das Unternehmen aus, zahlreiche Modehäuser fanden auch in ihm einen engagierten, jeden Wunsch erfüllenden Partner. Er pflegte Beziehungen zu Christian Dior, Cristobel Balenciaga, Christian Lacroix, Hubert de Givenchy, Yves Saint Laurent, John Galliano und Karl Lagerfeld, dem Kreativdirektor von Chanel.

François und Yves Saint Laurent

 

Besonders intensiv war die Zusammenarbeit über 44 Jahre mit Yves Saint Laurent. 1988 kreierten beide eine Abendkollektion aus Jacke und Rock mit dem Titel »Sunflowers«, die sich an van Goghs »Vase mit 15 Sonnenblumen« anlehnt. Sie war ein »Meisterwerk, der Höhepunkt der Vision und der Handwerkskunst von Saint Laurent und Lesage. Sie wurde aus über 350.000 Pailletten, 100.000 Keramikperlen und individuell bemalten Stoffblättern hergestellt. … Für das Sticken brauchte man 770 Stunden.« Im folgenden Jahr überraschte Saint Laurent mit einer Jacke, die seinem Haus gewidmet war: »Hommage a ma maison«. Auch sie wurde von François Lesage handbestickt, nachdem Yves Saint Laurent Lesage mit folgenden Worten darum bat: 

„François, mach mir etwas, das wie ein Kronleuchter ist, der vom Spiegel reflektiert wird, mit dem Himmel von Paris im Hintergrund.“

Der Wunsch wurde erfüllt, zwei Jacken gibt es davon. 

 

François und Karl Lagerfeld

 

Die Zusammenarbeit mit Karl Lagerfeld währte seit 1983. Für Lagerfeld ließ sich Lesage unter anderem von Boulle-Möbeln und Coco Chanels Coromandel-Paneelen inspirieren. Als sich in den 1990er-Jahren eine Krise für die Haute Couture anbahnte, Kunsthandwerksbetriebe wie Lesage ins Trudeln kamen, war es Karl Lagerfeld, der Chanel 2002 dazu brachte, Maison Lesage in einer Tochtergesellschaft namens Paraffection aufzufangen.

 

Maison Lesage und Chanel

 

Andere Kunsthandwerker kamen dazu. Federn sind zum Beispiel das Spezialgebiet beim Federmacher Lemarié, der ebenso ansässig bei Lesage ist und von Chanel aufgekauft wurde – genau wie Maison Michel oder die Schuhmanufaktur Massaro. So wurde sichergestellt, dass die Handwerkskunst in Paris weiter existieren kann. Jedes Jahr im Dezember veranstaltet Chanel für diese Details der Hutmacher, Juweliere, Sticker, Klöppler, Federmacher und Schuhmacher eine Modenschau unter dem Titel CHANEL Métiers d’Art Show.

 

François‘ Ecole Lesage

 

1992 eröffnete François mit der Ecole Lesage eine Stickschule, die bis heute besteht. Die Ausbildung zur Stickerin oder zum Sticker gibt es für Anfänger und Fortgeschrittene.  Acht Grundkurse beinhalten jeweils etwa 30 Unterrichtsstunden. Die Studenten bekommen einen detaillierten Überblick – beginnend mit der Unternehmensgeschichte bis zur Modewelt seit den 1920er-Jahren mit ihren Besonderheiten. Spezialisierungskurse werden ebenfalls angeboten (zum Anmelden). 

 

Das Fazit

 

Maison Lesage ist ein Familienunternehmen, das durch Albert und seinen Sohn François geprägt wurde. Kompetent, kreativ, beweglich in ihren Entscheidungen und handwerklich auf höchstem Niveau agierend, schufen sie das Haus Lesage, das in seiner Tradition bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückblickt, wo die Ursprünge von Mode und Haute Couture liegen. Über die vielen Jahre hat das Unternehmen zu Produkten beigetragen, die in ihrem Wert und handwerklichen Können die Zeit überleben werden. Mit 82 Jahren verstarb François Lesage 2011. Chanel ernannte Hubert Barrère zum künstlerischen Leiter von Maison Lesage. Grundsätzlich hat sich an der Technik des Stickens nichts geändert, es bleibt in der dargestellten Form eine Handarbeit in einer Manufaktur. Einfühlungsvermögen, Leidenschaft, Kreativität und handwerkliches Können zeichnet auch heute die Mitarbeiter von Maison Lesage aus. Hinzugekommen sind Techniken der computerunterstützten Bildplanung, wie der 3D-Druck und die Lasertechnik. »Handstickerei ist etwas Emotionales«, sagt Hubert Barrère. »Es ist keine Art von technischem Zauber, sein Wert ergibt sich nicht einfach aus den Stunden akribischer Arbeit, die damit verbunden ist. Es ist vor allem etwas, das aus der Seele kommt, es lässt dich etwas fühlen, ohne genau zu wissen, warum«