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Reise ins Jenseits. Ägyptische Grabkunst aus der Dresdner Skulpturensammlung.

Stufenmastaba des Djoser in Saqqara
aus der 3. Dynastie des Alten Reiches um 2700 v.Chr.
früheste erhaltene Anlage aus Stein

 Foto: M.Neubauer

Man könnte meinen, in Zeiten wo das Wort Krieg in aller Munde ist, die Koordinaten des Alltäglichen schwanken und so manche Existenz bedroht ist, fehlt nur noch der Titel „Reise ins Jenseits“ der aktuellen Ausstellung im Semper-Kabinett der Dresdner Alten Meister, um die Freude am Zukünftigen zu verlieren. 

Aber, es ist ganz anders, es ist ein Blick weit in die Vergangenheit! Klar handelt es sich um das Letzte im Leben, um den Tod und mit allem, was Menschen vor 4 bis 5000 Jahren dazu dachten: Ägyptische Grabkunst führt in eine Welt der Mythen und Legenden, in das Reich der Pharaonen, der Könige und Götter, in die „Faszination Ägyptens“. In Ägypten finden wir eine der ersten Hochkulturen der Geschichte. Sie ist durch einen der mächtigsten Flüsse der Welt, durch den Nil, bestimmt worden. 

Herodot
 1.Jh. n. Chr, nach einem
Vorbild des 4. Jh. v. Chr.
Pentelischer Marmor
Skulpturensammlung Dresden
vor 1800 erworben
Foto: M.Neubauer

Der griechische Historiker Herodot (* 490/480 v. Chr.; † um 424 v. Chr.), der „Vater der Geschichtsschreibung“, hat das schöne Wort geprägt, dass Ägypten ein „Geschenk des Nils“ sei. Im 2. Band seiner 9-bändigen „Historien“ beschreibt er voller Bewunderung die überragende Rolle ägyptischer Religionen, Bräuche und Traditionen.

Die Faszination für diese Land ist nicht neu, beginnend im 17. vor allem jedoch im folgenden und 19. Jahrhundert war der Reiz des Fremden, völlig Andersartigem so aktuell, dass es für Forscher ( Bernard de Montfaucon 1655-1741), Sammler (Alessandro Albani 1692-1779), Krieger (Napoleon Bonaparte 1769 – 1821 – Stein von Rosetta) für alle zur attraktiven Mode wurde, Ägypten zu erforschen, zu beschreiben, zu verstehen. 

Kein Wunder, dass Polens König und Sachsens Kurfürst August der Starke (1670-1733) dabei war u.a. durch Aufkauf von Sammlungen von Alessandro Albani und Flavio Chigi, die Königlichen Sächsischen Sammlungen und die Schlösser in Dresden und Warschau mit Aegyptika zu bereichern. Heute verfügt die Dresdner Sammlung über 6000 Einzelstücke. 

Blick in die Ausstellung „Reise ins Jenseits“
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden,
Sarg der Djed-mut-ju-anch
Frühe Spätzeit, 26. Dynastie, um 600 v. Chr.
Holz, Tonerde, Asphalt, Gips, Kreide, Leinen,
bemalt, im Hintergrund links Schmuck-
ketten für das Grab
Foto: Klemens Renner

Die Grabkultur des alten Ägyptens übte auf die Menschen der Neuzeit einen ganz besonderen Zauber aus. Versuchte der christlich-jüdische Glauben den Tod in das Dasein einzuordnen, so versank das „Ende“ jedoch bei den meisten Menschen in einer geheimnisvollen, fremden Sphäre. Der bewußte Umgang der alten Ägypter mit der eigenen Sterblichkeit, ihr Bedürfnis, den Kontakt mit den Ahnen zu erhalten und ein jenseitiges Leben zu akzeptieren, übte so auch zu allen Zeiten einen hohen Reiz auf die Menschheit aus.
Die Jenseitsvorstellungen führten zu einem weit entwickelten Götter- und Totenkult, der den Beginn der allgemeinen Kunstgeschichte umreißt.

„Der altägyptische Staat war nicht nur eine Institution zur Sicherung von Frieden, Ordnung und Gerechtigkeit, sondern zugleich damit auch eine Institution zur Ermöglichung von Unsterblichkeit, oder zumindest der Fortdauer über den Tod hinaus. Jedes hieroglyphisches Denkmal verweist auf diesen Zusammenhang. Es dient der Verewigung eines Individuums und verdankt sich einer staatlichen Lizenz. “
Jan Assmann, Stein und Zeit. Mensch und Gesellschaft im alten Ägypten, München 1991,
S. 169/170

Detailaufnahme einer Totenstele
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden,
Foto: Klemens Renner

Die Entwicklung des alten Ägyptens wird eingeteilt in eine Frühzeit, ein Altes, ein Mittleres und ein Neues Reich, der Spätzeit, 3 Zwischenzeiten, alles unterteilt in 30 Dynastien, der Griechischen und Römischen Zeit. Sie währte von 2982 v. Chr. bis 138 n.Chr., Epochen, die von verschiedensten politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen geprägt waren. 

Entscheidend war die sukzessive Entwicklung von religiösen Strukturen, die sehr lokal die Lebens- und Umweltbedingungen der Bewohner widerspiegelten. Viele Erscheinungen wie Naturgewalten wurden göttlichen Einflüssen zugeordnet, die man wiederum Tieren oder Pflanzen zuordnete und als Götter, Dämonen oder Geister definierte. So entstanden in den Ortschaften entlang des Nil`s die verschiedensten Gottheiten, die einzeln, aber zunehmend auch vernetzt auftraten. Sie wohnten in den Tempeln, die man ihnen zur Ehre errichtete. So wundert es nicht, dass „Thot“, Gott des Schreibens, der Rechenkunst und des Wissens in Gestalt eines Vogels dargestellt wird, die Göttin „Mut“ eine Geierhaube trägt und sich mit Göttin „Bastet“ verschmilzt, die sich als Katze outet. Es entstand ein Göttersystem, das alle irdischen und kosmischen Phänomene in eine Ordnung brachte. „Re“ ist der oberste Gott, der Sonnengott. 

Statuetten der Götterfamilie de Osiris

Osiris als Mumie in Bandagen in der Mitte, Krone mit seitlich angesetzten Straußenfedern,
Kobra an der Stirn und Götterbart am Kinn

Isis (links im Bild) Haupt mit Kuhgehörn und Sonnenscheibe bekrönt, dargestellt als „stillende Isis“

Horros nackt mit Doppelkrone, seitlichem Zopf,
Finger im Mund als Zeichen der Verschwiegenheit, erscheint oft als Falke

Foto. M.Neubauer

Gern formierten die Ägypter ihre Götter in Familien, oft nur aus Vater, Mutter und Sohn bestehend, so auch die klare Rangordnung! Die bekannteste Gottfamilie war die des „Osiris“. Er war der Bruder von Seth sowie der Göttinnen Nephthys und Isis, die auch seine Frau war. Seth ermordete Osiris, aber Isis erweckte ihn wieder, sie ermöglichte ihm damit die Weiterexistenz als Herrscher im Totenreich. Verstorbene mussten im Gerichtssaal vor ihm erscheinen. 

Ihr gemeinsamer Sohn Horus rächte seinen Vater und entzog Seth die Herrschaft. Dieser Mythos zeigt beispielhaft die Vorstellungen der Ägypter zum Leben nach dem Tod, zur Thronfolge und zur göttlichen Macht. Der falkenköpfige Horus wachte über die Weltordnung. Für alle Könige Ägyptens war die Herrschaft des Horus Vorbild. Sie nahmen den Titel „Lebender Horus“ an, weil in ihm der Himmels- und Weltengott Horus menschliche Gestalt als Königsgott angenommen hatte.

Zwischen Gott und Volk standen die Könige, die sich erst seit dem Neuen Reich Pharao nannten. Sie fühlten sich als die Nachkommen der Gottheiten. Ihnen sollte das ewige Leben gesichert werden in gewaltigen Pyramidengräbern mit ihrer kostbaren Ausstattung. Aber auch Angehörige der Oberschicht hinterließen prachtvoll ausgestattete Grabanlagen.

So lässt sich mit Recht sagen, dass

„die gesamte ägyptische Kunst nicht der Verschönerung dient, sondern der Verewigung des Daseins“
Jan Assmann, Stein und Zeit. Mensch und Gesellschaft im alten Ägypten, München 1991,
S. 139

Eines der wertvollsten Ausstellungsstücke ist die 3m lange Papyrusrolle als Totenbuch des Anch-ef en-amun. Totenbuchpapyri waren beliebte Grabbeilagen der Oberschicht.
Der rechte Teil ist eine Ergänzung und zeigt die Anrufung verschiedener Götter.
Links davon wendet sich der Verstorbene, der „Schreiber der Rekruten des Amuntempels“ mit langem Gebet an den Totengott Osiris. Es folgt die Mumifizierungsszene, deren Intensität von den finanziellen Möglichkeiten der Angehörigen abhing. Um der Verwesung vorzubeugen wurden die inneren Organe entnommen und in sogenannten Kanopen – Krügen aufbewahrt. Nur Leber,Lunge, Magen und Darm, das Hirn wurde durch die Nase entfernt und entsorgt.
Die linke Seite der Papyrosrolle zeigt die Szene des Totengerichtes. Im Zentrum steht die Waage, die das Herz des Verstorbenen gegen die Göttin Maat, die für Wahrheit und Gerechtigkeit steht, wiegt.

„Das Herz war für die alten Ägypter zuständig für Gefühl, Verstand und Fortpflanzung. Alles Wissen wurde im Herzen gespeichert. Über das Herz sprachen auch die Götter zum Menschen. 
“
Laudius-Kunstgeschichte-„Ägyptische Kunst“, S. 16

von rechts nach links:

  • Anbetung des Osiris
  • Mumifizierungsszene, umsorgt vom Himmelsgott Horus und Totengott Anubis,
             unter der Löwenbahre:  4 Kanopen für die  Eingeweide
  • rechts im Bild der Verstorbene mit der Feder der Maat (Wahrheit, Gerechtigkeit)
    davor die „Fresserin“
    Foto: M.Neubauer

Kanopen
Spätzeit, 26. Dynastie, 664-525 v.Chr.
1881 angekauft
Skulpturensammlung Dresden
Foto: M.Neubauer

von links
Menschenkopf für die Leber
Paviankopf für die Lunge
Wolfskopf für den Magen
Falkenkopf für den Darm

Oft findet sich heute in den Kanopen-Krügen nichts mehr, sie sind leer! Ist der Inhalt verwest oder hatte man nur so getan, um dem Ritual genüge zu tun? Noch gefüllte Krüge erhalten allderdings eine gehörige Aufmerksamkeit: Wissenschaftler der Universität Zürich nutzen den Inhalt als biomedizinische Quelle. Sie analysieren die DNA der Gewebe, um neue Erkenntnisse über Krankheiten oder Verwandtschaftsverhältnisse zu erkunden, auch für Fälle, wo die Mumie selbst nicht mehr erhalten ist. (NZZ vom 18.08.2022)

Die bildliche Darstellung wird in dem Totenbuch durch einen umfangreichen Text in der typisch altägyptischen Hieroglyphen-Schrift begleitet. Sie war keine Bilderschrift, wie lange vermutet worden war, weil man sich nicht vorstellen konnte, dass die alten Ägypter schon mit Lautäquivalenten umgehen konnten. Nahezu genau vor 200 Jahren (27.9.1822) gelang es dem Franzosen Jean-François Champollion (1790-1832), sie zu entziffern. Voraussetzung für seinen Erfolg war allerdings eine 1819 in der britischen Zeitung „Encyclopedia Britannica“ erschienene Arbeit des Briten Thomas Young (1773-1829), in der er die entscheidende Idee, Schriftzeichen auf dem Stein von Rosetta mit griechischen Schriftzeichen zu vergleichen und dabei eine Übereinstimmung zu finden, formuliert hatte.
(NZZ vom 27.9.2022)

Fragmente von Grabmalereien
Neures Reich, 18. Dynastie, Regierungszeitvon Amenhotep III.,
um 1390 – 1353 v.Chr.
Kalkstein, Gipsputz, bemalt
aus Theben West
Schenkung 1911

Grabinhaber und seine Frau
Foto: M.Neubauer

Uschebtis
Holz-Fayence
im 19. Jh. angekauft

Skulpturensammlung Dresden
Foto: M.Neubauer

 

 

 

 

Die Dresdner Ausstellung „Reise ins Jenseits“ ist eine kleine Kabinett-Ausstellung. Aber all die präsentierten Beispiele ägyptischer Grabkunst, sei es das Tempelrelief des Kaisers Augustus, Statuenköpfe, Fragmente von Grabmalereien, am Grab befindliche Totenstelen mit wunderbaren Gravuren oder Schmuckketten animieren, sich mit dieser phantastischen altägyptischen Kunst zu beschäftigen.

Gleich den Uschebtis, kleinen mumien- und menschengestaltigen Figuren, die im Jenseits die Aufgabe hatten, ihre Besitzer zu vertreten, Arbeiten zu übernehmen und das Leben im Jenseits zu kontrollieren.