Follow my blog with Bloglovin

Edward Hopper. Die innere und die äußere Welt

„Ja, zentral sitzt eine Frau in einem lachsfarbenen Kleid auf einem großen Bett. Sie ist von der Seite getroffen, hat die Beine angezogen und die Arme darum gelegt. Das Kleid ist nach oben verrutscht, die Haare sind straff nach hinten gekämmt und mit einem Knoten gebunden. Ihr Blick ist auf das vor ihr befindliche Fenster gerichtet, wobei Mimik und Kopfhaltung aber eher nach innen deuten.“

„Und die Sonne? Das Bild heißt doch – Morning Sun –!“ 

„Oh, die Sonne ist da. Sie strahlt von rechts durch das große Fenster. Sie erzeugt an der Wand neben dem Bett ein großes helles Rechteck und kräftige Schatten dort, wo sie nicht leuchten kann. Das Gesicht der Frau, der rechte Arm und die Beine der Frau sind im Sonnenlicht. 

Vielmehr kann ich nicht sagen, die Farben sind einfach, fast eintönig. Die Frau wirkt teilnahmslos, in Gedanken verloren und der eintönige Charakter der Situation wird durch ein angedeutetes Industriegebäude im unteren linken Fensterwinkel noch unterstrichen.“

„Und das ist alles?“ 

„Ja, das ist „Morning Sun“ von Edward Hopper  aus dem Jahr 1952. Obwohl ich nicht noch mehr beschreiben kann, komme ich von dem Bild nicht los.“

Wie alle Menschen, wenn sie seine Bilder sehen, gleich ob sie „Automat“ von 1927 „Gas“ von 1940, „Nighthawks“ von 1942  oder dieses hier betrachten:
Edward Hopper, The Catboat, 1922 Whitney Museum of American Art, New York; Josephine N. Hopper Bequest
© Heirs of Josephine N. Hopper/Licensed by Artists Rights Society (ARS), New York / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Was ist dahinter, was uns so fesselt? Ist es Melancholie, Zeitlosigkeit, sind es Orte des Wartens und des Vorübergehens, die uns die Stille, die Einsamkeit, die menschliche Isolation des modernen, oberflächlichen Lebens fühlen lassen? Sind es Botschaften, die gar nicht zu sehen sind, „heimelige Unheimlichkeiten“, verborgene Sehnsuchtsräume, die in das „Innere“ führen?

Hopper-Ausstellungen schwärmen von hohen Besucherzahlen, sie sind Medienereignisse und Filmemacher nahmen seine Bilder, um ihren Filmen das typisch Amerikanische zu verleihen. 

„Große Kunst ist der äußere Ausdruck eines inneren Lebens im Künstler, und dieses innere Leben prägt seine persönliche Sicht. [...] Das innere Leben des Menschen ist ein vielschichtiges Feld.“
Edward Hopper, in: Reality, 1, Frühjahr 1953 entnommen aus ART IN WORDS

Edward Hopper, Study for Morning Sun, 1952
Whitney Museum of American Art, New York; Josephine N. Hopper Bequest
© Heirs of Josephine N. Hopper/ Licensed by Artists Rights Society (ARS), New York / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Edward Hopper wurde 1882 im Bundesstaat New York geboren. Er absolvierte eine Lehre als Illustrator, studierte ab 1901 bis 1906 an der New Yorker School of Art Malerei. Dreimal besuchte er danach Europa, vor allem Paris, aber auch Amsterdam, London, Berlin und Brüssel. Er liebte Paris und fühlte sich unter den Impressionisten sehr wohl. Noch im Alter sagte er. „Eigentlich bin ich ein Impressionist“. Er interessierte sich für die Werke von Auguste Renoir (1841-1919),  Alfred Sisley (1839-1899),Camille Pissaro 1830-1903), vor allem liebte er Arbeiten von Edgar Degas (1834-1917). Bevor er zu seinem typischen Stil des amerikanischen Realismus fand, lagen erfolgreiche Jahre als Grafiker hinter ihm. Mit 41 Jahren heiratete er die Malerin und Schauspielerin Josephine Nivison Hopper (1883-1968), die er schon auf der Kunsthochschule kennengelernt hatte. Sie ermöglichte ihm 1923 die Teilnahme an einer größeren prestigeträchtigen Ausstellung im Brooklyn-Museum, hier verkaufte er sein erstes Bild, der Erfolg nahm seinen Lauf.

Die Ehe war schwierig. Josephine war entscheidend für den Erfolg ihres Mannes, als Malbegleiterin, Model, Muse und Geschäftsführerin. Sie war die „Frau hinter dem Mann“, ebnete ihm alle Wege. Er war introvertiert, ihr gegenüber oft verschlossen. Ein entsprechendes Bildmotiv zu finden, viel ihm außergewöhnlich schwer. Oft vergingen Monate, ehe er das Passende fand, das auch zu seinem inneren Bild passte.  

Edgar Hopper war bereits ein erfolgreicher und anerkannter Maler als die Sammlung des Columbus Museum of Art 1954 das Gemälde „Morning Sun“ für nur 3500 Dollar kaufte.

Edward Hopper, Morning Sun, 1952
Columbus Museum of Art
© Heirs of Josephine N.Hopper / VAGA at ARS, NY / VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Das Gemälde gehört zu einer Reihe von Bildern, in denen Hopper das Thema „Frau“ und die menschliche Isolation bearbeitete. Mit der Momentaufnahme einer einsamen Frau im Licht der Morgensonne dokumentierte er durch Bildkomposition und Farbwahl ihre Isolation in der Gesellschaft. Die Sonne gibt dem Bild seinen Namen, strahlt aber kühl und wenig anheimelnd in das Zimmer.
In seinen späteren Werken spielen Licht und Schatten häufig eine wichtige Rolle. Neben „Morning Sun“, zeigen es zum Beispiel „Rooms by the Sea“ von 1951 oder „Sun in an Empty Room“ von 1963. 

Interessant ist die Gestaltung der sonnenbeschienen Bereiche an der Wand, die Edward Hopper mit einem differenzierten Farbauftrag nahezu in einem abstrakten Stil gestaltete. Die dabei im Bild verwendeten geometrischen Formen lassen so manchen in der kunsthistorischen Literatur an Kubismus denken.

Mit der Plazierung der Frau vor einem großen Fenster spricht Edward Hopper das Verhältnis zwischen Innen- und Außenwelt an.
Erinnerungen werden wach: das „Brieflesende Mädchen am offenen Fenster“, das „Mädchen mit dem Perlenhalsband“ oder die „Brieflesende Frau in Blau“ von Johannes Vermeer (1632 – 1675) verbinden durch ihren Blick oder die eingegangene Post das Innere mit dem Äußeren. 

Ausstellungsansicht „Edward Hopper.
Die innere und die äußere Welt“
© SKD, Foto: Alexander Peitz

In Edward Hoppers „Morning Sun“  berühren sich beide Welten durch die Sonne, die das Fenster durchdringt.  Dieses bis heute so wichtige Verhältnis zwischen dem Inneren und dem Äußeren, für jeden Einzelnen aber auch in der Gesellschaft, machen das Gemälde zeitlos relevant und in seiner Aussage bleibend modern. Und während 1952 Jackson Pollock (1912 – 1956) seine Farben auf die Leinwand träufelte, gelang es Edward Hopper mit der Inszenierung „Morning Sun“, die Probleme seiner Zeit, wenn wir wollen auch die der unsrigen, zu thematisieren. 

„Jede Kunst ist vor allem Ausdruck des Unbewussten. Deshalb will es mir so scheinen, als ob sich alles, was an einem Kunstwerk von Bedeutung ist, unbewussten Impulsen verdankt und für den bewussten Intellekt nicht viel hergibt.  “
Kunstforum International, Bd. 173, „Edward Hopper“ von Martin Seidel

Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Gemäldegalerie Alte Meiste im Zwinger
„Die Alten Meister und die Moderne“
Edward Hopper. Die innere und die äußere Welt
14. April bis 31. Juli 2022
Öffnungszeiten
täglich 10—18 Uhr, Montag geschlossen
18.04.2022 10—18 Uhr  (Ostermontag)