Follow my blog with Bloglovin

Übermalte Fotografien und “umgekehrte” Bilder – Gerhard Richter und Georg Baselitz – im Albertinum Dresden

Es gibt gleich zwei lohnenswerte Gründe, in diesem Herbst dem Dresdner Albertinum einen Besuch abzustatten. Die brillanten, mittlerweile sehr ehrwürdigen Meister der bildenden Künste Gerhard Richter (*1932 in Dresden) und Georg Baselitz (*1938 im Kamenzer Stadtteil Deutschbaselitz) geben sich die Ehre einer jeweils kleinen Kabinettausstellung.
In ihrem Temperament, ihrer Aussenwirkung und auch in ihren Arbeiten könnten sie nicht unterschiedlicher sein. Was sie eint, ist ihre über Jahrzehnte währende ungezähmte Schaffenskraft, ihr lebenslanges Suchen nach immer wieder neuen Ausdrucksformen, vor allem ihre sich nicht erschöpfende Kreativität. Und – beide sind gebürtige Sachsen, auch wenn Gerhard Richter im Rheinland seine zweite Heimat fand und Georg Baselitz sich neben der deutschen auch noch die österreichische Zugehörigkeit angeeignet hat.


Georg Baselitz. Werke aus dem Bestand.

Das Albertinum feiert mit Georg Baselitz seinen 85. Geburtstag.  Die Dresdner Kunstsammlungen zeigen deshalb ab 22. August 2023 bis 7. Januar 2024 Werke von ihm aus dem eigenen Bestand. Ergänzt durch Arbeiten aus der an den Dresdner Kunstsammlungen angesiedelten Stiftung Günther und Annemarie Gercken sind in der Präsentation sieben Gemälde aus unterschiedlichen Schaffensperioden des sächsischen Weltstars zu sehen. 

 

Georg Baselitz,
Ländlicher Realismus, Schema und Illustration, 1968
Öl auf Leinwand, 130,5 x 163 cm,
Leihgabe der Stiftung Günther und Annemarie Gercken im Albertinum
© Georg Baselitz, 2023,
Albertinum | GNM, SKD,
Foto: Estel/Klut

 

1938 geboren, war er über seine gesamte Kindheit in eine Welt der Zerstörung und des Zusammenbruchs hineingewachsen. Diese Bilder, seine Erfahrungen damit prägten sein Denken und viele seiner Werke. Kunst wurde für ihn zu einem Begriff, als er als Jugendlicher bei regelmässigen Besuchen der Dresdner Kunstsammlungen Interesse und Bewunderung für Gemälde fühlte. Eine besondere Bedeutung nahm dabei das 1859 von Ferdinand Rayski (1806 – 1890) gemalte Bild “Wermsdorfer Wald” ein. Georg Baselitz kannte das Motiv schon aus der Schulzeit, eine Reproduktion hatte in der Schule gehangen. Über 40 Jahre später, um 1969, animierte es ihn zu einer Serie Waldbilder.

Die Baumkronen ragten allerdings alle nach unten!

Fortan behielt er die für ihn charakteristischen, auf dem Kopf stehenden Motive bei – Ausdruck des Protestes, der Auflehnung zu allem, der zerbombten Vergangenheit und zur erlebten, verstörenden, engstirnigen DDR-Gegenwart. 

„Ich bin in eine zerstörte Ordnung hineingeboren worden, in eine zerstörte Landschaft, ein zerstörtes Volk, in eine zerstörte Gesellschaft, Ich wollte keine neue. Ordnung einführen. Ich hatte mehr als genug sogenannte Ordnungen gesehen. “
NDR Kultur vom 7.4.23 von Silke Lahmann-Lammert

 

 

 

Georg Baselitz
Frauenkopf und Tannen, 1985
Öl auf Leinwand, 250 x 250 cm
© Georg Baselitz, 2023,
Albertinum | GNM, SKD,
Foto: Estel/Klut

 

Diese „verkehrten“ Bilder machten Baselitz bekannt und berühmt. 

Mit 18 Jahren, 1956, hatte Georg Baselitz ein Studium der Malerei an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee begonnen. Es währte nicht lange, schnell kam er mit den stalinistischen Kunstansichten in Konflikt und musste nach einem Jahr gehen. Er studierte in Westberlin weiter. Turbulente Jahre folgten, Bewunderung und Kritik lagen oft beisammen, aber Selbstzweifel gehörten nie zu seinen hervorstechenden Eigenschaften.

„Ich finde meine Sachen unglaublich, die ich gemacht habe“
NDR Kultur vom 7.4.2023 von Silke Lahmann-Lammert

Russische Einflüsse und afrikanische Formen beeinflussten seine künstlerisch expressive Malweise. Es folgten Bildauflösungen, Verschiebungen verschiedener Ebenen, Bildzerstörungen, die Hinwendung zu übergroßen Bildformaten. Sie zwangen den Künstler, auf dem Boden zu malen – „kniend, stehend, darüber laufend“.

Es entstehen „Remixe“, bei Georg Baselitz ist es eine Neuauflage, Aktualisierung und Übersetzung bekannter Bildmotive aus seinem Frühwerk und dem anderer in eine aktuelle, zeitgenössische Fassung.

 

In einem Interview mit der Zeitung „Die Welt“ vom 20.01.2018 sagte Baselitz:

Ich schlafe mit meinen Katalogen, ich dämmere mit meinen Katalogen, ich gucke von früh bis spät mein altes Zeug an. …“ 

der Katalog „Georg Baselitz“ der Kunstsammlungen Chemnitz zitiert ihn 2018,  S.13

Ich bin kein Maler, der ein Bild nicht nochmals malt“

und die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zitieren Georg Baselitz in ihrer Mitteilung vom 17 August 2023:

“Man arbeitet als Künstler gegen die Bilder, die es schon gibt, aber auch mit ihnen.”

 

Bilder der Brücke-Künstler oder Gemälde der Renaissance gehörten auch dazu, wie die aktuelle Ausstellung zeigt.

Georg Baselitz,
The Bridge Ghost´s Supper, 2006
Öl auf Leinwand, 305 x 450 cm
© Georg Baselitz, 2023,
Foto: Jochen Littkemann, Berlin

Für Georg Baselitz sind seine Bilder wie Tagebücher, die ihn an Situationen, Stimmungen und Vorgänge erinnern. 

Er ist ein politischer Mensch, der sich mit seinen Meinungen und Ansichten nicht zurückhält. Zum Tag der Pressefreiheit am 3.Mai 2018 äusserte er auf der Titelseite aller zum BDZV (Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger) gehörigen Tageszeitungen folgende Worte:

„Presse und Kunst gehören nicht in die Obhut des Staates. Wer anderes propagiert, manovriert die freie Gesellschaft  ins Verderben.“
BDZV-Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, 2018

Eine  wichtige klare Aussage, die von ihrer Aktualität nichts verloren hat. Großformatig erschien dazu sein Bild „Frau am Abgrund“.

Am 23. Januar 2023 feierte er seinen 85. Geburtstag.

Albertinum: Georg Baselitz. Werke aus dem Bestand.
bis 07. Januar 2024

 


 

Gerhard Richter. Übermalte Fotografien.

Anders Gerhard Richter. Er meidet Kameras und gibt nur ungern Interviews. Dabei gilt er als der am höchsten dotierte lebende Maler der Welt. In seinem sechs Jahrzehnte umfassenden künstlerischen Schaffen hat er ein Werk präsentiert, das an Aussagekraft, Bekenntnissen, Gefühlen und Harmonie, an Breite, Vielseitigkeit und immer wieder neuen Ideen genial ist. Möglichkeiten und Grenzen der Malerei auszutesten, beflügelten ihn auf seinen immer wieder neuen künstlerischen Wegen, gleich ob in gegenständlicher oder abstrakter Ausführung.

Auf eine besondere Weise vereinen sich beide Stile in seinen kleinformatigen  Übermalten Fotografien.

 

Ausstellungsansicht „Gerhard Richter.
Übermalte Fotografien“
© Gerhard Richter 2023,
Staatliche Kunstsammlungen Dresden,
Foto: Klemens Renner

Erstmalig in Dresden zeigt das Gerhard Richter Archiv der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden eine Auswahl der „Übermalten Fotografien“ von Gerhard Richter. Von den insgesamt 72 Werken stammen 36 aus dem Bestand der 2019 vom Künstler gegründeten Gerhard Richter Kunststiftung und 36 aus Privatsammlungen. Systematisch verfolgte der Künstler diese Werkgruppe seit 1989, er unterstellte sie seinem Lebensgefühl. In einem Interview formulierte er es so:

„Illusion - besser Anschein, Schein ist mein Lebensthema.“
„Übermalte Fotografien“, Katalog zur Ausstelung, S.9

 

Ausstellungsansicht „Gerhard Richter.
Übermalte Fotografien“
© Gerhard Richter 2023,
Staatliche Kunstsammlungen Dresden,
Foto: Klemens Renner

Kleine, maximal 13 x 18 cm grosse Fotos, Fotos die Richter zu den verschiedensten Anlässen angefertigt hatte, im Alltag, im Urlaub, im Atelier, privat und in Gesellschaft, Schnappschüsse! Er hatte sie schon immer gesammelt. Am Abend, wenn die Arbeit an seinen grossen Werken beendet war, zog er diese Fotos mit einer Rakel durch die noch feuchte Farbe des Tages. Das objektive, gegenständliche Foto wird durch diesen Akt der abstrakten Übermalung zu einem nicht wiederholbaren Unikat. Die Farbe gibt dem Bild das Subjektive, eine Präsenz des Einmaligen. Unkontrolliert, in einer spontanen, schnellen Geste entstanden, oft mit unbewussten Farbspritzern oder -rückständen beim Abheben der Rakel ergänzt, führen diese Bilder zu ungewöhnlichen Spannungen, Widersprüchen oder Harmonien zwischen dem „Fotomotiv“ und der pastösen Farbe. Wunderschöne Kombinationen sind die Folge, die nicht zuletzt auf das bewundernswerte, in all seinen Bildern vorhandene Farbgefühl, Farbempfinden zurückgehen.

 

 

 

Gerhard Richter,
8. Juni 2016 (8), 2016
Öl auf Farbfotografie, 16,75 x 12,6 cm,
Leihgabe der Gerhard Richter Kunststiftung
© Gerhard Richter 2023 (26082023)

Es ist eine kleine Kabinettausstellung mit all diesen zarten, prall-bunten, krawalligen und gefühlvollen Ansichten, mit denen Gerhard Richter seine Schnappschüsse geadelt hat. 

Gerhard Richter,
15. April 2015, 2015
Öl auf Farbfotografie, 11,3 x 16,6 cm,
Leihgabe der Gerhard Richter Kunststiftung
© Gerhard Richter 2023 (26082023),
Foto: Simon Vogel, Köln

Und zur Freude aller Dresdner versteckt sich hinter einer grau-braunen horizontal verwobenen Gardine und einem meerestierähnlichen einschwebenden Ungetüm die friedliche Münzgasse mit Frauenkirche. Auch den Künstler selbst entdeckt man hinter einer sich abregnenden Wolke. Die Bilder laden ein, zum Denken, zur Interpretation, einfach zur Freude, es macht grossen Spass, ihnen zu folgen.

 

1932 in Dresden geboren, wuchs „Gerd“ Richter in der nahen Oberlausitz auf und hinterließ in dieser Gegend, angestellt als Theatermaler in Zittau, seine ersten künstlerischen Akzente.

Wichtig aber waren für ihn die Studien an den Kunsthochschulen in Dresden und später nach der Flucht 1961 in das freie Deutschland in Düsseldorf. Bald liess Gerhard Richter alles hinter sich, suchte nach Ausdrucksformen, die das Bisherige, ihn Beeinflussende sei es die Moderne, der abstrakte Expressionismus, die Pop Art oder die Minimal Art ersetzten. In zahlreichen Versuchen setzt er sich mit der Malerei auseinander, übte sich in „Vermalungen“ von Bildvorlagen, entwarf Farbtafeln mit industriell gefertigten Farben, setzte sich mit der „Unfarbe Grau“ auseinander und widmete sich verschiedenen Themenkomplexen (Holocaust, Porträts, RAF, Landschaften).

Intensiv beschäftigte er sich mit dem viel diskutierten Gegensatz von gegenständlicher und abstrakter Malerei. Die Fotografie war die grosse Rivalin der gegenständlichen Malerei geworden, zwar identifiziert sie das Gegenständliche in exakter Form, liefert aber letztendlich nur den materiellen Widerschein. Nur die malende oder zeichnerische Hand hinterlässt subjektive, ideen- oder stimmungsgetriebene Spuren, die dem Bild das Prädikat eines Unikats verleihen. Diesen Gedanken folgend, versteht man, warum Gerhard Richters Werke so beeindruckend auf uns alle wirken. Gleich ob in den verfremdeten figurativen oder seinen abstrakten Werken können sie einen Raum der Ruhe und Besinnung eröffnen, der uns die Möglichkeit der Freiheit und inneren Unabhängigkeit spüren läßt. 

„Es gibt so viele glaubwürdige Bilder auf der Welt, und wir lieben sie; wir reisen weit, um sie ansehen zu können. Wir brauchen sie. Und manche brauchen es eben, daß sie selber Bilder herstellen. “
Malen ist etwas ganz und gar Lebensnotwendiges. Gerhard Richter im Gespräch mit Doris von Drathen. 1992, Kunstforum International, Bd.131, S. 265

Gerhard Richter. Übermalte Fotografien
bis 19.November 2023
Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Albertinum
01067 Dresden, Tschirnerplatz 2
Öffnungszeiten
10 bis 18:00
montags geschlossen

Ausstellungsansicht „Gerhard Richter. Übermalte Fotografien“
© Gerhard Richter 2023,
Staatliche Kunstsammlungen Dresden,
Foto: Klemens Renner