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Tübke und Italien

Werner Tübke,
Sizilianischer Großgrundbesitzer mit Marionetten, 1972,
Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden,
© VG Bild-Kunst Bonn, 2024 

Tübke und Italien, Leipzig 2024

Sieben Mal reiste der Leipziger Maler Werner Tübke (1929 – 2004) nach Mailand, Florenz, Fiesole, Rom, Venedig, auf die Insel Capri und vor allem nach Sizilien. 1971 zum ersten Mal. 

Als er nach 1978 und in weiteren Jahren Italien auch für längere Zeit besuchte, waren es für ihn eher Reisen der Erholung, Entspannung und künstlerischen Bestätigung, denn die 1976 begonnenen Arbeiten an dem einmalig großen Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen waren für ihn und sein Team in jeder Hinsicht ein kräftezehrendes Projekt, vor allem in der Zeit seiner Umsetzung nach 1983. Das Werk entstand in den Jahren 1976 bis 1987. Am 30. Dezember 1988 schrieb er in sein Tagebuch:

 

„Das Rundbild hat mich verbraucht. Es wird bleiben. Da ist schon Weisheit, ich war nur Werkzeug. Die Gerüstarbeit war stocknüchtern, das Ergebnis ist voller Leben. Wie ging das nur? Woher kam die Kraft zum Durchhalten? Ich war und bin doch eine recht gebrechliche Figur…“ aus der FAZ vom 5.11.2015, S. 4

 

 

Werner Tübke,
Selbstbildnis mit roter Kappe, 1988,
MdbK, Dauerleihgabe der Tübke Stiftung Leipzig,
© VG Bild-Kunst Bonn, 2024 

Da war das Ziel seiner Sehnsüchte unschwer zu erraten, zumal Werner Tübke schon in seinen frühen Jahren der italienischen Renaissance nacheiferte. In Museen oder von Bildbänden zeichnete er Motive berühmter Renaissancemaler nach, er beschäftigte sich mit den Bewegungsabläufen der Figuren und versuchte sie  nachzuempfinden. 

Werner Tübke war ein „Italiener“, lange bevor seine erste Reise 1971 nach Mailand möglich geworden war. 

Er nutzte diese Gelegenheit intensiv. So entstanden vor allem in den frühen 1970er Jahren Gemälde zeitloser Schönheit mit feinsinnigen Interpretionsmöglichkeiten, die lange wenig beachtet, für manchen Kunstliebhaber eine Überraschung, eine Offenbarung sein werden. 

Die derzeitige Ausstellung „Tübke und Italien“, Anlaß ist der 20.Todestag des Malers, zeigt neben eigenen Beständen des Leipziger Museums Gemälde, Grafiken und Handzeichnungen von Leihgebern aus dem In- und Ausland. Angesichts der großen Kunst Tübkes, die sich in jedem seiner Bilder in Ästhetik, Detailtreue, Einfallsreichtum, Farbigkeit und Motivgestaltung widerspiegelt, ist es verwunderlich, dass über Jahre diese „mediterrane Seite“ seines Schaffens relativ unbeachtet blieb. Lediglich 2004 präsentierte das Panorama Museum Bad Frankenhausen die Ausstellung „Werner Tübke – Faszination Mittelmeer“. Ihr Konzept war thematisch auch auf den Kulturraum der Mittelmeerländer, vor allem Italien, für die Schaffenszeit zwischen 1971 bis 2002 ausgelegt. 

Der Epoche der Renaissance, genauer dem unkonventionellen Stil des Manierismus galt Werner Tübkes  ganzes Interesse. Skizzen, Zeichnungen und Gemälde, die vor 1971 entstanden waren, zeugen davon. In der Art eines Jacopo Tintorettos (1518-1594) oder Jacopo Pontormos (1494-1557) schuf er Figuren mit langen Extremitäten, die in dünnen spillerigen Fingern oder überlangen Füßen münden. 

 

 

Jacopo Pontormo und Agnolo Bronzino,
Martyrium der Zehntausend
(Martirio di Sant’Acacio e dei suoi diecimila compagni sul monte Ararat),
1529–1531,

 

 

Auf Pontormos „Grablegung Christi“ oder „Martyrium der Zehntausend“, gemeinsam mit Agnolo Bronzino (1503-1572) geschaffen, gehen Bilder zurück, auf denen auch Werner Tübke eine Vielzahl von Figuren, eng miteinander agierend, in vehementer Bewegung verharrend eigenwillige Szenen nacherleben lässt. 

Diese Neigung zum Manierismus zeigte sich schon in dem 1967 geschaffenen Bild „Am Strand I“, oder 1966, als er den „Sitzenden männlichen Akt“ mit wallenden, sich dehnenden Muskeln in unverhältnismäßigen Proportionen darstellte. Nicht zu übersehen, weisen Kostüm und Pierrot-Hut am Fuße des sitzenden Mannes auf die typische italienische Commedia dellÀrte hin. Und 1971 – als er selbst erstmals in Rom war, kündet der männliche Akt auf einem Kapitell („Rom Mai 1971“) vom „reinen“ Manierismus.
Jetzt war Werner Tübke dort angekommen, wo er hingehörte. 

Einige seiner wichtigsten und schönsten italienischen Werke findet man, wenn man in den Jahren 1971 bis 1975 blättert. All diese Bilder begeistern durch eine phantastische Detailgenauigkeit, widerspiegeln Bräuche, lassen Gedanken an Historisches des Landes erkennen und verschliessen nicht die Augen vor Mißständen und gesellschaftlichen Schieflagen. Nicht umsonst ziert das Bild „Sizilianischer Großgrundbesitzer mit Marionetten“ (1972) das Cover des Ausstellungskataloges. Pralle Farben, bunte Kostüme der Marionetten, vor allem aber zieht der an einer Balkonbrüstung lehnende Adlige die Blicke auf sich. Mit dekadentem hochnäsigem Blick vor einer romantischen sizilianischen Berglandschaft stehend, betonen seine lässige Körperhaltung mitsamt aristokratischem Hund wer auf Sizilien das Sagen hat. 

 

 

Werner Tübke,
Erinnerung an Sizilien, 1974,
MdbK,
© VG Bild-Kunst Bonn, 2024

 

 

 

Die gesellschaftliche Einordnung seiner Figuren ist  auch auf den anderen Werken dieser Schaffensphase nachweisbar, wie auf
dem „Sizilianischen Karren“ (1972),
der Erinnerung an Sizilien“ (1974),
der „Sizilianischen Landschaft bei Palermo“ (1975) und ganz besonders
im „Tod von Venedig“ aus dem Jahr 1973.

Sie verführen natürlich zu den verschiedensten Interpretationen. Werner Tübke selbst „lehnte eine allzu gradlinige politische Interpretation im Sinne der Parteidoktrin … explizit ab“ ( Katalog, Frank Zöllner, S.20).

Er formulierte es so:

„Man empfindet und erlebt angesichts der Kunstwerke …, geschichtliche Prozesse ganz unmittelbar und direkt (,) man reflektiert das Grossartige und Grausame eben dieser Prozesse und gleichzeitig natürlich die Kunstform, die das artikuliert. … Wenn im Schönen nicht das Gefährliche oder Gefährdete durchschimmert, dann war oder ist der Sensibilisierungsprozeß des Künstlers fürs Lebendige nicht weit genug fortgeschritten, oder er war oder ist lügenhaft. “
Tübke 1973, im Katalog zur Ausstellung, S.20

 

Um so verständlicher war sein Interesse für den widersprüchlichen, oft disharmonisch wirkenden Stil des Manierismus, was er 1974 mit seinem Bild „Am Strand von Roma Ostia II“ nochmals eindrucksvoll unterstrich. 

 

 

 

 

Werner Tübke,
Am Strand von Roma Ostia II, 1974,
MdbK, Dauerleihgabe der Tübke Stiftung, Leipzig,
© VG Bild-Kunst Bonn, 2024 

In einem autoritär gelenkten Land zu leben, ist für jeden schwer, auch für Künstler. So konnte sich Werner Tübke nicht davon frei machen, Szenen zu bearbeiten, die der herrschenden Klasse in der DDR zusprachen. Eines dieser umstrittenen Bilder ist „Arbeiterklasse und Intelligenz“ aus den Jahren 1970 bis 1973. Ursprünglich für das Rektoratsgebäude der Leipziger Uni geschaffen, löste es wegen seiner übertrieben harmonischen Darstellung in Kunstkreisen skeptische Reaktionen aus. Es hing, so lange es die DDR gab, wurde aber Anfang der 2000er Jahre als nicht mehr zeitgemäße Repräsentationskunst der DDR abgebaut. Eine heftige Diskussion entbrannte. Die es wieder sehen wollten, sprachen von Bilderstürmerei, andere, wie der Schriftsteller Erich Loest  (1926-2013), verlangten 2007, wenn es schon wieder hängen sollte, ein Gegenbild zu installieren. Seit 2015 ist das 2,4 x 13,8 m große Wandbild von Werner Tübke im Foyer des 2. Obergeschosses des Hörsaalgebäudes der Universität Leipzig wieder zu sehen.

Eine Etage tiefer hängt das von Reinhard Minkewitz (*1957) geschaffene Gemälde, zu dem der Künstler von Erich Loest angeregt wurde. Exemplarisch soll es an die zahlreichen bekannten und unbekannten Opfer des SED-Regimes an der Universität Leipzig erinnern und zur Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte anregen.
(aus Alumni-Journal der Universität Leipzig 1/2015, gelesen in „Leipzig-Lese“ vom Bertuch Verlag Weimar)

Dieses Gemälde „Arbeiterklasse und Intelligenz“ gemalt in einer Zeit,  die Ausstellungsreise Tübkes nach Italien zur Entscheidung stand, half mit Sicherheit dabei, die Verantwortlichen wohlwollend zu stimmen. Obendrein hatte er Glück. Das Interesse an der Malerei der Neuen Sachlichkeit hatte den Mailänder Galeristen Emilio Bertonatis (1934-1981) nach Leipzig geführt. Er sah Tübkes Kunst und fand sie gut.

Die bestechende Aussicht, DDR-Kunst im Ausland präsentieren zu können und der positive Einfluss einflussreicher Funktionäre liessen den eisernen Vorhang bröckeln und  Werner Tübke konnte reisen. Die Mailänder Ausstellung wurde ein großer Erfolg. Die Italiener waren über Tübkes „italienische Malweise“ begeistert und so wurde es für Künstler und Staat auch in den folgenden Jahren ein erfolgreiches Unterfangen.

Die italienischen Reisen mit ihren Eindrücken beeinflussten auch Themen, die Werner Tübke in späteren Jahren aufgriff. Selbst im Familienbild von 1977 stellte er sich und seine Familie in sizilianischen Marionettenrüstungen dar. Auch das Triptychon „Der Mensch – Maß aller Dinge“, das er  für den Berliner Palast der Republik schuf, weist ein ganze Reihe Italienbezüge auf.

Werner Tübke,
Der Mensch – Maß aller Dinge, 1. Fassung,
1975,
mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien,
Leihgabe der Sammlung Ludwig, Aachen,
© VG Bild-Kunst Bonn, 2024 

Man sollte sich für die Bilder Werner Tübkes Zeit nehmen. In welch fast unfassbarer Detailtreue ist z.B. die barocke Fassade der venezianischen Kirche San Moisé durch ihn in seinem Bild „Der Tod in Venedig“ wiedergegeben. Die Gesimse, die Büsten über den drei Portalen für die Mitglieder der Stifterfamilie Fini  oder die kannelierten Säulen mit ihren korinthischen Kapitelen sind neben den Figuren mit ihren charakterisierenden Kleidern minutiös dargestellt. Ja, es erinnert an frühere Darstellungen, so malten Künstler des Quattro-, Cinque- und Seicento, Künstler der Renaissance, die sich der Antike vepflichtet fühlten.

Diese Kunst nahm ihn gefangen, er liebte das rückwärtsgewandte Bild- und Stilrepertoire. Er sah sich im Kreis der „Alten“, wollte zu ihnen gehören.

Welch besseren Beweis gäbe es, als seine Lithografie „T im Kapitolinischen Museum“, ein Selbstbildnis aus dem Jahre 1974, in dem er seine künstlerische Verwandtschaft mit den historischen Vorbildern dokumentierte.

Werner Tübke,
T. im Kapitolinischen Museum,
Rom, 1974,
MdbK
© VG Bild-Kunst Bonn, 2024 

Museum der bildenden Künste Leipzig
Katharinenstraße 10
04109 Leipzig

Tübke und Italien

bis 16. Juni 2024

Öffnungszeiten:
täglich       10 bis 18:00 Uhr
mittwochs 12 bis 18:00 Uhr
montags geschlossen