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Tàpies/Miró – Welt auf Papier, Kunstmuseum Pablo Picasso Münster

Antoni Tàpies,
Als mestres de Catalunya,
1974 Farblithografie,
Sammlung Großhaus
© Comissió Tàpies / VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Joan Miro – glückliche Jahre in einer neuen Heimat

Der zweite Weltkrieg war zu Ende, endlich war es soweit. Der Traum von einem eigenen großen Atelier wurde wahr. Während der 1950er Jahre kaufte Joan Miro (1893 – 1983)  Haus und Land auf Mallorca. Sein Freund, der bekannte Architekt Josep Luis Sert (schuf u.a. die Fondation Maeght in Saint-Paul-de-Vence) baute ihm ein grosses Atelier in Cala Major dazu.

 

1956 bezog er, mittlerweile berühmt und angesehen, das neue, das eigene Anwesen.

 

Das Atelier in Cala Major
Foto: Michael Neubauer

Nicht zuletzt hatten seine seit Beginn der 1940er Jahre geschaffenen „Konstellationen“ diesen finanziellen Kraftakt möglich gemacht. Sie begeisterten nicht nur das allgemeine Publikum, sondern hatten auch auf die New Yorker School of Painting nachhaltig gewirkt, sie beeinflusst. 1941 war eine Einzelausstellung von Miros Bildern in New York sehr erfolgreich gewesen, so dass die 1945 am gleichen Ort gezeigten „Konstellationen“ seine internationale Bekanntheit potenzierten. Dabei waren sie „nur“ auf Papier gemalt und von kleinem Format. Joan Miro malte im Krieg auf Papier, da andere Materialien knapp waren und Papier sich leicht transportieren liess.

Konstellationen in der Kunst

In Konstellationen verbinden sich Einzelelemente zu einem miteinander verwobenem Feld. Die Verbindungen sind nicht zufällig, sondern erzeugen dadurch vielmehr eine bedeutungshafte Spannung. 

 

 

Diese Form der Darstellung interessierte Miro, weil er in den zurückliegenden Jahren bereits alltägliche Gegenstände geordnet, aufgeklebt, abgewandelt hatte, um seiner Kunst eine Konzeption zu geben. Bei ihm verspannen sich Elemente wie Sonne, Mond oder Sterne, Tiere, menschliche Individuen zu einem Netz von Zeichen. Linien durchschneiden diese Elemente, stellen Beziehungen her, führen in den Bildbausteinen zum Wechseln der Farben . 

 

Joan Miros Atelier
Foto: Michael Neubauer

Die reifen Jahre Joan Miros

Das Kriegsende, die Vorbereitungen für das neue Zuhause in der Nähe von Palma de Mallorca, das große Atelier führten zu einem Wendepunkt in der Kunst Joan Miros. Neben der Malerei nahm seine Experimentierfreude zu. Seine Grafiken wurden durch leuchtende Farben freundlicher. Große Keramik-Arbeiten entstanden, oft gemeinsam mit dem Keramiker Llorens Artigas, mit dem er als Neunzehnjähriger die Kunstakademie Gali in Barcelona besucht hatte. Spielerisch-innovative Techniken liessen humoristische und skurrile Skulpturen entstehen, druckgrafische Serien entstanden, die schnell vervielfältigt allgemein seine Bekanntheit förderten. 

1947 und 1959 besuchte Joan Miro Amerika, traf Jackson Pollock, der von Miros Kunst sehr beeindruckt war. Miro dagegen begeisterte sich am Abstrakten Expressionismus ohne in die abstrakte Kunst einzusteigen. Seine Bilder blieben auch in seinen späteren Jahren mit der greifbaren Natur verbunden, so wie der Gegensatz zwischen präzise gemalten einerseits und willkürlich gezeichneten Formen andererseits seine späten Werke kennzeichnen. Allerdings erinnern diese reifen Werke in der ausgesprochenen Reduktion ihrer Inhalte eher an solche, die er in seinen frühen Jahren schuf.

Im Mittelpunkt der über 100 Exponate umfassenden Ausstellung in Münster steht das grafische Werk von Antoni Tàpies und Joan Miró.
Die folgende Galerie zeigt drei Beispiele Joan Miros aus diesen Jahren.

Der Katalane Joan Miro 

Vor 130 Jahren wurde Joan Miro 1893 als Sohn eines Goldschmieds in Barcelona geboren. Er lernte früh zeichnen, musste aber zunächst eine kaufmännische Ausbildung über sich ergehen lassen, bevor es mit der Kunst weiter ging. Früh entfernte er sich von Gedanken katalanischer Künstler, die dem „Noucentisme“ (Neoklassizismus) anhingen und orientierte sich an avantgardistischen Strömungen wie dem Expressionismus, den Fauves, den Kubisten, nutzte aber auch Vorlagen katalanischer Volkskunst. Er bewunderte Paul Klee. Nach dem ersten Weltkrieg formte er eine eigene Künstlergruppe, die er nach Gustave Courbet benannte. Detailreiche, feingliedrige Bilder entstanden, „Detailrealismus“ oder „poetischer Realismus“ wie sein Biograph Jacque Dupin sie bezeichnete. 

1920 ging Joan Miro nach Paris und musste erkennen, hier beeinflusste das Geld die Kunst. Das lehnte er völlig ab.

„…und es niemals soweit kommen lassen, dass der Geschäftsmann in mir überhand nimmt … “
Janis Mink, „Joan Miro“, Benedikt Taschen Verlag, 1993, S.35

Dadaismus oder Surrealismus, Joan Miro auf der Suche

Für ihn waren die Jahre in Paris allerdings sehr erfolgreich. Er lernte die Dadaisten Marcel Duchamp und Francis Picabia kennen. Bald zeigten sich geometrische Formen in seinen Bildern, bevor sie  von  surrealistischen Ideen, unterbewussten und natürlichen Formen vertrieben wurden.
Miró experimentierte mit Farben und Formen wie Mond, Sternen, der Sonne, mit Augen, figürlichen Abstraktionen von Mensch und Tier immer auf der Suche, seine Gedanken in einem Konzept zu darzustellen. Dabei ging er von der Realität aus, seine Ergebnisse, das war seine Absicht, dieser aber nie entsprachen.

„Ich arbeite sehr hart; bewege mich auf eine Kunst des Konzepts zu, die die Realität nur als Ausgangspunkt, nie als Endziel nimmt. “
Janis Mink, „Joan Miro“, Benedikt Taschen Verlag, 1993, S.39/43

1929 heiratete Miro die Mallorquinerin Pilar Juncosa (1904 – 1995). Sie kehrten 3 Jahre später nach Barcelona zurück. Immer suchend, neue Ideen umsetzend entwarf er Assamblagen und Collagen, zT. als Vorlagen für „Malereien“, verwendete dabei mit Papier, Holz, Metallen und alltäglichen Gegenständen die  verschiedensten Materialien.

ABER …

„Ich hatte dieses unbewußte Gefühl drohenden Unheils. … Es war mehr körperliches als ein seelisches Empfinden. Ich hatte die Vorahnung einer Katastrophe, die sich bald ereignen würde, aber ich wußte noch nicht, welche. Es war der spanische Bürgerkrieg und der Zweite Weltkrieg … “
Janis Mink, „Joan Miro“, Benedikt Taschen Verlag, 1993, S.63

Politisch engagierte sich Joan Miro, obwohl Republikaner und Gegner Francos, in den 1930er Jahren nicht auffällig. Als 1936 der Spanische Bürgerkrieg ausbrach, flüchtete er mit seiner Familie nach Paris. Düstere Bilder, Stillleben, prangerten das Unheil indirekt an, anlässlich der Pariser Weltausstellung 1937 malte er für den spanischen Pavillon das monumentale Wandgemälde „Der Schnitter“, auf dem ein katalanischer Bauer mit einer Sichel in der Faust den revolutionären Kampf sichtbar macht. 

 

Später liess sich Joan Miró vom Franco-Regime (1939 – 1977) nicht vereinnahmen, sondern trat selbstbewusst gegen die Einschränkung der Freiheit auf. Er unterstützte am 11. Dezember 1970 gemeinsam mit seiner Frau Pilar und Antoní Tapies einen Sitzstreik.
https://artinwords.de/miro-spaete-werke/

 

 

 

 

Antoni TàpiAes, Poem from Catalan I,
1973, Farblithografie,
Sammlung Großhaus
© Comissió Tàpies / VG Bild-Kunst, Bonn 2023

 

 

 

Antoni Tapies – der 30 Jahre jüngere Katalane

Am Ende des Zweiten Weltkrieges trat ein zweiter großer Katalane auf die Bühne der Malerei, Grafikkunst und Bildhauerei: Antoni Tapies (1923 – 2012).

In Barcelona als Sohn eines Rechtsanwaltes geboren, hatte er schon recht früh Interesse für moderne Malerei, die er durch Zeitschriften kennenlernen durfte.
Er begann autodidaktisch zu zeichnen und zu malen, was in den Jahren 1942/43 während der Rekonvaleszenz nach einer langwierigen Lungenkrankheit in verschiedenen Sanatorien zur geliebten Aufgabe wurde.
Ein 1944  begonnenes Jurastudium beendete er nach einem Jahr und widmete sich ganz der Malerei.
Neben der Kunst beschäftigte sich Antoni Tapies schon in jungen Jahren mit Philosophiegeschichte, mit zeitgenössischer moderner Literatur und Musik. Er verfasste Diskurse zur Mystik östlicher Religionen und politischer Philosophie, Gedanken, die er in seinen Arbeiten künstlerisch umsetzte.

Enge Kontakte entstanden zu spanischen Künstlern und Dichtern, vor allem zu Joan Prossa. Mit ihnen gründete er 1948 die Künstlergruppe „ Dau al Set“ mit einer gleichnamigen Zeitschrift.  In diesem Jahr lernte er Joan Miro kennen, aber auch die Werke von Paul Klee und Max Ernst nahmen Einfluss auf seine Arbeiten, die surrealistische Themen berührten. Auf Reisen nach Paris und New York in den frühen 1950iger Jahren lernte er die „informelle Malerei“ und den „Abstrakten Expressionismus“ kennen, Kunst, die ihn bewegte, die er aufnahm und für sich entwickelte. Zahlreiche Ausstellungen in Spanien, Frankreich und den USA priesen ihn als den ausgezeichneten spanischen Künstler des Informel. Bei der Documenta III in Kassel 1964 stellt er in einem eigenem Raum aus.

„Ganz gleich indes, ob die Linien- und Fomensprache bestimmter Werke nun gegenständlicher oder imaginiert-abstrakter Natur ist, …, das, was einen wirklich tief bewegt und was letzen Endes den künstlerischen Wert ausmacht, wird stets von der Form selbst abhängen beziehungsweise von der Art und Weise, wie diese Werke gemacht sind, von dem ausgewählten Untergrund, davon, wie sie „inkarniert“, ja vielleicht sogar „geheiligt“ sind.“
Antoni Tapies, in „Antoni Tapies“, Bilder, Skulpturen, Zeichnungen 1981 - 1997, Hrsg. Carl Haenlein, Kestner Gesellschaft, Hannover, 1997, S. 14

Tapies Kunst ist eng mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit Spaniens verbunden. Bis in die  1970iger Jahre beherrschten Formen des sogenannten „ Matiérisme“ die Werke des Künstlers, bei denen die Farbe sehr dick aufgetragen wurde, strukturiert mit Marmorsand, Schnüren Staub, Haaren oder Stroh. Rauhe, plan- und regellos brüchige Bildgründe charakterisierten die physische und metaphysische Wirklichkeit des politischen Geschehens in diesen Jahren des Franco-Regimes. Sie waren Teil seines politischen Protestes im Kampf für die Demokratie in Spanien. Seine Kunst wurde brutal unterdrückt, so dass er gegen das Unrechtssystem mit diesen Bildern seine Kultur mit Symbolen und Wörtern verteidigte.

Drei Beispiele in der Galerie:

„… wenn wir inzwischen bessere Bedingungen vorfinden, um intensiver das ganze magische, hypnotische, heilende, aber auch provozierende Potential jener kontemplativen Energie zu erkunden, welche bestimmten Linien, Formen und Farben, bestimmten Materialien und Kompositionen, bestimmten Bildern und Zeichen schon immer innegewohnt hat.
“
Tapies, in „Antoni Tapies“, Bilder, Skulpturen, Zeichnungen 1981 - 1997, Hrsg. Carl Haenlein, Kestner Gesellschaft, Hannover, 1997, S. 12

1977 Erste demokratische Wahlen in Spanien nach Franco – Tapies Kunst erwacht zu neuer Vielfalt

Nach Francos Zeit wurden Antoni Tapies` Werke persönlicher, kündeten von seiner humanistischen und demütigen Einstellung, beleuchteten den großen Kreis seiner kulturellen Bildung. Er bezog weitere Materialien in seine Werke ein, Objekte wie gefüllte Säcke, Möbelstücke, Stuhl und Badewanne, die die Tür zur dritten Dimension, zur Plastik eröffneten. Die Art seiner Darstellungen wurden aber weicher, … freier. Zunehmend entfernte er sich von seiner surrealistischen Phase, da sie ihn „in seiner Spontanität beraube“ Er bearbeitete Schamotte-Erde zu Skulpturen, schuf ein eigenes Zeichensystem, stellte seine Liebe zur Musik durch geschwungene Linien und deren Wiederholung dar, widmete sich der Meditation und bezog schließlich Motive des Körpers in seine Arbeiten ein. 

„Zeichnet man die Dinge nur andeutungsweise, so ist der Betrachter gezwungen, sie mit eigener Imagination zu ergänzen“, so der katalanische Künstler Antoni Tàpies. „Das zwingt zu einer Teilnahme des Betrachters, einer Beteiligung am kreativen Prozess.
“
https://artflash.de/antoni-tapies-clau-del-foc-iv

Für den Buddhismus hatte er großes Interesse. Immer untergrub er seine bedeutende künstlerische Stellung durch betont bescheidenes und zurückhaltendes Auftreten. Er beklagte das Chaos der modernen Gesellschaft, in der nur von Geld die Rede sei.
Antoni Tapies war Autodidakt. Kritiker beurteilten ihn meist als abstrakten Künstler. Der Maler selbst hielt sich für einen Realisten:

„Denn mein gesamtes Werk steht für den Versuch, die Wirklichkeit zu begreifen.“

 

Antoni Tàpies schrieb 1969 voller Bewunderung über Joan Miro: 

Gegen ein von Göttern geschaffenes und beherrschtes Universum stellte uns Miró das immerwährende Wogen, das wechselvolle und unendliche Fließen der Natur. Gegen unveränderliche Gesetze stellte er Rhythmen […]; gegen die drückende, mit Tabus besetzte Enge die Helle des offenen Raumes. Angesichts des monströsen Übermuts der Machthaber zeigte er, daß wir alle gleich sind, weil wir alle aus dem Feuer der Sterne gemacht sind. […] Damit die Dinge wüchsen und besser würden, müsse die Liebe alles durchdringen, sagte er uns.
Antoni Tàpies: Die Praxis der Kunst. St. Gallen 1976, S. 98 f., zitiert nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Joan_Mir%C3%B3#Darstellungen_von_Zeitgenossen

Joan Miró ernannte 1972 Antoni Tapies zu einem Mitglied des Gremiums seiner in diesem Jahr gegründeten Fundació Joan Miró. 
https://de.wikipedia.org/wiki/Antoni_T%C3%A0pies

 

© Christoph Steinweg / Picasso-Museum

 

Anlässlich des 100. Geburtstages von Antoni Tàpies und des 130. Geburtstages von Joan Miró zeigt das Kunstmuseum Pablo Picasso Münster bis zum 21. Januar 2024 die große Sonderausstellung „Tàpies/Miró – Welt auf Papier“.

Das Museum schreibt dazu: 

Der Titel der Ausstellung „Welt auf Papier“ besitzt einen zweifachen Sinn: Einerseits verweist er auf den konkreten Wirklichkeitsbezug im Schaffen beider Künstler in Form von Gegenständen wie Kleidungsstücken, Holzfundstücken oder auch Zeitungsausschnitten. Andererseits thematisiert er den historischen Zeitbezug ihres Werks. Ihr Schaffen ist mit der Geschichte Spaniens, der Opposition gegen das Franco-Regime und der Suche nach der katalanischen Identität eng verbunden.

„Tàpies/Miró – Welt auf Papier“
30. September 2023 – 21. Januar 2024

Kunstmuseum Pablo Picasso Münster
Picassoplatz 1, 48143 Münster
Telefon0251 4144710

Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag und Feiertage 10-18 Uhr