Follow my blog with Bloglovin

Buchrezension „Fritz Winter – Dokumenta-Künstler der ersten Stunde“

Der Maler Fritz Winter (1905 -1976) ist nicht in aller Munde. Schätzen ihn Kunsthistoriker, Sammler, Museums-Mitarbeiter, Galeristen, Liebhaber oder Auktionatoren, so ist er in der allgemeinen Gesellschaft weitestgehend unbekannt, sicher noch mehr im östlichen Teil unserer Republik.  Es entspricht nicht seiner kunstgeschichtlichen Bedeutung als einer der wichtigsten abstrakten Künstler in den frühen Jahren der Bundesrepublik Deutschland.

Aus einer Ausstellung der Neuen Galerie Kassel ist ein Buch entstanden, dass neben einer Würdigung des Malers Fritz Winter einen tiefen Einblick in die Entstehungsgeschichten und Besonderheiten der ersten Weltkunstausstellungen „documenta“ 1955, 1959 und 1964 gibt. Geschildert werden nicht nur kleine Rangeleien und Petitessen, auch die „Männer der ersten Stunde“ Arnold Bode und Werner Haftmann werden aus der heutigen Sicht charakterisiert.

Bei allem spielte Fritz Winter eine wichtige Rolle.

Fritz Winter war ein Künstler des 20. Jahrhunderts mit all seinen Höhen und Tiefen.  Als Schüler des Bauhauses lernte er die Avantgarde der 20iger Jahre des 20. Jahrhunderts kennen, die ihn sehr prägte, mit der er sich auseinandersetzte, um letztlich eigene Wege zu gehen. Er erlebte die Nazi-Zeit als „entarteter“ Künstler, die ihn in die innere Emigration zwang, er war Soldat, kriegsverletzt und bis 1948 sowjetischer Kriegsgefangener. Freunde hatten sich um sein Werk gekümmert, so dass er als Wiedergekommener in Deutschland als abstrakter Künstler kein Unbekannter war. Das ebnete ihm den Weg nach Kassel, wo er 1955 den Ruf als Kunstprofessor an die Kasseler Werkakademie bekam und die Bekanntschaft mit den Machern der ersten dokumenta-Weltkunstausstellung machte.

Das Buch zeigt anhand reichlichen Bildmaterials seiner Werke den künstlerischen Werdegang Fritz Winters und beschreibt in 11 durch ausgewiesene Kunsthistorikerinnen und -historiker gestaltete Kapitel das parallele Werden der documenta, illustriert mit zahlreichen Fotografien aus dieser Zeit.

Fritz Winters abstrakte Bildgestaltung, die man durchaus als „verständlich“oder nachvollziehbar abstrakt bezeichnen kann, weil er die von ihm erlebte Natur mit seinen Vorstellungen, Träumen und Visionen verband und aufs Papier umsetzte. Stellvertretend steht sein 1944 während einer Genesungsphase nach einer Kriegsverletzung entstandene Bildzyklus „Triebkräfte der Erde“, die er erst 1957 veröffentlichte, Inspirationen, die er als Signale des Lebens und Überlebens, des Wachsens und Gedeihens als Soldat auf kriegerischem Boden in sich aufnahm. Fritz Winter experimentierte mit Farben, Hintergründen, Formen und Techniken. Ein ganzes Kapitel des Buches ist seiner besonderen Technik der Serigrafie gewidmet.

Wesentlich für seine Bedeutung bei der ersten dokumenta war ein extra für diesen Anlass gefertigtes Monumentalbild „Komposition vor Blau und Gelb“. Freigebig stehen sich große gelbe Farbflächen und eine blaue vor grauem Hintergrund gegenüber, Winters Intentionen folgend Grenzen negierend, eher sich gegeneinander verschiebend. Eine Dreiteilung wird durch dunkle Farbbänder markiert, die der durchscheinenden Fensteraufteilung folgt. Das Presseecho war, wie nachzulesen, durchaus geteilt. Gewichtig zeigte die Anordnung des Bildes seine zugedachte Bedeutung. Ihm gegenüber, an der anderen Stirnseite des Saales war Picassos „Mädchen vor einem Spiegel“ plaziert. Die gewünschte Parität war augenscheinlich.

Die Bedeutung, die Fritz Winter in der ersten, abnehmend in den beiden folgenden documenta-Weltausstellungen erfuhr, war der Protektion durch die Initiatoren Arnold Bode, im Besonderen Werner Haftmanns zu danken. Zum einen war Fritz Winter mittlerweile Professor an der Kunst-Werkakademie Kassel, zum anderen ein Künstler, der durch seinen Werdegang die Traditionen der Avantgarde der Vorkriegszeit mit dem Neuanfang verbinden konnte. Werner Haftmann stilisierte und bekrönte Fritz Winter förmlich mit dieser Rolle, um für die erste documenta mit seinen Leitgedanken – Neuanfang – Abstraktion – Freiheit die Internationalität zu unterstreichen, nichtzuletzt um die allgemeine und eigene dunkle Vergangenheit vergessen zu lassen. Ein sehr interessantes Kapitel von Christian Spies, an dessen Ende sich der Rezensent fragt, wie der zu diesem Zeitpunkt hochdotierte Künstler die Vereinnahmung durch Haftmann für die eigene und die Sache der dokumenta so hinnehmen konnte.

Er kann es sich erklären.

Das Buch „Fritz Winter – Documenta-Künstler der ersten Stunde“ zeigt auf 200 Seiten in Bild und Text sehr verständlich die künstlerische Entwicklung Fritz Winters. Die Bedeutung des Buches liegt neben dieser Würdigung vor allem in der sehr interessanten, weil ausführlichen Schilderung der ersten Schritte, die zur documenta-Weltausstellung führten. Welche Rolle spielte die Stadt Kassel, ihre Museen und die ihrer Honoratioren.

2022 wird die 15. Documenta stattfinden, mittlerweile weltweit die bedeutendste Ausstellungsreihe für zeitgenössische Kunst. Die Anfänge waren wichtig.

Die Bayrischen Staatsgemäldesammlungen, die Fritz-Winter Stiftung und die Museumslandschaft Hessen Kassel zeigen aus ihren Beständen und von privaten und öffentlichen Leihgebern bis zum 21.Februar 2021 90 Werke aus Malerei, Grafik und Bildwirkerei Fritz Winters in der Neuen Galerie Kassel. Diese Ausstellung bildet die Grundlage für das im Verlag Klinkhardt & Biermann, München unter dem Ausstellungstitel „Fritz Winter – Documenta-Künstler der ersten Stunde“ herausgegebene und besprochene Buch.