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Die Geschichte des Teppichs

Erfahrt in der sisterMAG Ausgabe No. 61 in einem Text von Michael Neubauer mehr über die Geschichte des Teppichs sowie über die verschiedenen Knoten für die Herstellung.

  • Text: Michael Neubauer
  • Illustrationen: Ezbah Ali

Wie der Teppich von der Wand auf den Boden kam

Der Teppich und seine Geschichte

Wie in allem! Nur das Außergewöhnliche, nur mit Mühe und Anstrengung zu Erreichende zählt. Erst, wenn ein geknoteter Teppich mehr als 250 000 bis 500 000 Knoten auf einem Quadratmeter aufweist, ist er »fein« geknüpft, belastbar und von hoher Qualität. Das bedeutet, dass auf einem Quadratzentimeter bis zu 50 Knoten Platz finden müssen. Fast unvorstellbar, aber wie hätte Aladin sonst die Prinzessin Badrulbudur und ihren Bräutigam in ihrer Hochzeitsnacht im gemeinsamen Bett sicher auf einem fliegenden Perserteppich entführen können? Sicher war es der aus dem Nordwesten Persiens stammende berühmte Ardebil-Teppich (von 1539 – heute im Victoria und Albert Museum, London) – ein Kaschan! Er war groß und äußerst fein geknüpft mit 500 000 Knoten pro Quadratmeter (»sehr fein«).

Wer es allerdings später lockerer und durchlässiger wünschte, begnügte sich mit 2-9 Knoten pro Quadratzentimeter. So ab es zu allen Zeiten wertvolle Teppiche eher für Repräsentationszwecke, zum »Fliegen« oder eben Alltagsteppiche, die als Wand- oder Bodenteppiche, als Schlaf- oder Tischdecke, als Satteltasche oder Pferdedecke verwendet wurden und bezahlbar waren.

Teppiche stellen die Menschen schon sehr lange her. Als sie sesshaft wurden, nutzten sie Schaf- und Ziegenwolle, um sich vor Kälte und Nässe in den Steppen Zentralasiens zu schützen. Und das gelang einfach besser, in dem man das Gewebe verdichtete und miteinander verknotete. Natürlich haben sich aus diesen Anfangsjahren keine textilen Zeugen erhalten können. 1947 fand aber ein russischer Archäologe im Altaigebirge in Südsibirien an der Grenze zur Mongolei in der Grabkammer eines ehemaligen Fürsten einen 183x200cm großen Teppich, nach seinem Fundort »Pazyryk« genannt, der als der älteste Teppich der Welt gilt. Er soll im 5-4. Jahrhundert v. Chr. wahrscheinlich in Armenien geknüpft worden sein und hängt heute in der Ermitage in St. Petersburg. Genial für diese Zeit, zählt man 360 000 »symmetrische« (s.u.) Knoten pro Quadratmeter (»fein geknüpft«), bestaunt zentrale Rosettenmotive, die von Hirschbildern umgeben werden.

In der langen Geschichte der Teppichherstellung unterscheidet man den Wirkteppich vom Knüpfteppich. Beide Techniken wurden in den einzelnen Regionen angewendet.

Bei der Wirktechnik wird der Kettfaden von einem enganliegenden Schussfaden beidseitig verdeckt, weil er an der nächsten Farbgrenze wieder zurückgeführt wird. Das heißt, die Schussfäden mit unterschiedlichen Farben bestimmen das Muster auf beiden Seiten. Das Ergebnis ist flach und ohne Flor. Der KELIM ist ein Wirkteppich, zahlreich von persischen Nomaden hergestellt, aber auch in Afghanistan, in der Kaukasusregion und auf dem Balkan kennt man diese Wirktechnik. Der Kelim dient als Wandbehang, Teppich, Tasche, Zeltvorhang oder als Decke.

Die Wirktechnik ist auch ein Vorläufer der europäischen Bildwirkerei. Hier werden in textile Flächengebilde Bilder und Motive eingewirkt, die man als Tapisserien bezeichnet. Die europäische Bildwirkerei ist also mit den Wirkteppichen verwandt, aber nicht identisch.

Tapisserien sind dann »Gobelins« und nur dann, wenn sie in der Gobelin-Manufaktur in Paris (seit 1607 tätig) hergestellt wurden.

Bei der Knüpftechnik folgen auf jede Knotenreihe ein oder zwei Schussfäden über die gesamte Breite. Zusätzlich werden Flormaschen auf die Kettfäden eingeknüpft, die dem Teppich das Plüschartige verleihen.

Man unterscheidet folgende Knüpftechniken:

Der symmetrische oder Ghiordes-Knoten:

  • aus der Türkei stammend
  • Anwendung in der Türkei, Kaukasus, durch türkische und kurdische Stämme im Iran und in Europa

Der asymmetrische, persische oder Sennehknoten:

  • Anwendung im Iran, in Indien, Türkei, Ägypten und China

Der Jufti-Knoten:

  • Anwendung im Iran, er ist weitmaschiger und weniger haltbar

Der tibetanische Knoten:

  • Vor die Kettfäden kommt ein Stab, am Ende einer Reihe werden Schlingen um den Stab abgeschnitten und verknotet

Für alle drei Fadengruppen werden Schafwolle, Baumwolle, Ziegenwolle verwendet, Seide für sehr kostbare Teppiche. Die Wolle wird in großen Farbbottichen mit pflanzlichen, tierischen, und zunehmend mit synthetischen Farben gefärbt und anschließend flächig getrocknet.

Webstühle nutzen die Nomadenvölker eher in horizontaler Weise, häufiger werden sie aber in anderen Regionen vertikal aufgestellt. In der Knüpftechnik erfolgt nach Fertigstellung das Scheren der Florfäden auf eine einheitliche oder gewollte Höhe, das Kämmen, und dann muss das Produkt intensiv gewaschen werden. Ihren Namen erhalten die Teppiche nach ihrem Herstellungsort, ob in Kleinasien, Zentralasien, Indien oder China. Nach wie vor führend, wertvoll und begehrt sind persische Teppiche. Traditionelle, regionale Motive und Farben bestimmen das Bild der fertigen Textilien. All diese Länder und Gebiete sind auch heute noch in der Produktion von handgeknüpften Teppichen tätig, bis zu 90% der Weltproduktion.

Mit der Besiedlung Spaniens durch nordafrikanische Mauren-Stämme wurde die Knüpftechnik nach Europa gebracht. Zwar hatten Fernostreisende schon vorher Teppiche im Gepäck, aber mit den sesshaften Mauren entstand auf der iberischen Halbinsel ein erstes europäisches Teppichzentrum für Teppiche im orientalischen Stil (Cordoba). Auch in England fertigte man im 16. Jahrhundert Teppiche nach persischen Vorlagen an. Parallel entwickelten sich in Frankreich, Deutschland, Niederlande und auch in der Schweiz nach dem 14. Jh. Gebiete, die sich der oben beschriebenen Bildwirkerei widmeten.

Mit dem 19. Jahrhundert nahm die Produktion maschinengewebter Teppiche auch in Deutschland zu, damit auch eine Vielfalt an Varianten, wie glatte, Schlingen-, Noppen- Plüsch- Velours- oder Florteppiche. Revolutionierend für die moderne Teppichherstellung war das Tufting, das zuerst in Amerika, seit 1960 auch in Europa angewendet wurde. Maschinen mit vielen Nadeln in einer Reihe und in der Breite des Belages durchstechen und führen das Polgarn in ein Grundmaterial. Durch technische Varianten entstehen Schlingen, durch Schnitt Florvarianten und durch abgestufte Rotationsmesser Mustermöglichkeiten. Das Verfahren ist im Verbund mit synthetischen Fasern schnell und relativ billig.

Mit der Gründung des Bauhauses 1919 in Weimar richtete Walter Gropius eine Werkstatt für Weberei ein, wo die alte Knüpftechnik nochmals zum Einsatz kam. Herausragende Arbeiten schufen Anni Albers, Hedwig Jannis, Benita Koch-Otte, Margaretha Reichardt und Gunda Stölzl. Bodenbeläge, Teppiche, Wandbehänge, Decken waren das Ergebnis einer intensiven künstlerischen Beschäftigung mit dieser traditionellen Technik.

Der in unserem Heft vorgestellte per Hand von Evi Neubauer geknüpfte Rock wurde durch einen symmetrischen türkischen Knoten gefertigt, allerdings nur mit einer Knotendichte, die für einen strapazierfähigen Teppich nicht reichen würde. Aber es ist ja ein Rock, der auch für Aladin niemals »Fliegen« werden muss!

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