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Zur Ausstellung »Schönheit. Lehmbruck & Rodin. Meister der Moderne« im Lehmbruck Museum Duisburg

Duisburg – über Jahrzehnte durch Arbeit, Kohle und Stahl gezeichnet, eine Stadt mit gewaltigen wirtschaftlichen Umbrüchen, erblüht in diesen Frühlingstagen stolz in ihrem Lehmbruck Museum durch eine große und wichtige Ausstellung – »Schönheit« – dargestellt und untermauert durch zwei ganz große Bildhauer und Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts: Auguste Rodin (1840 – 1917) und Wilhelm Lehmbruck (1881 – 1919).

Je suis belle
Auguste Rodin
Musée Rodin Paris
Foto: Christian Baraja

Äußerer Anlass für die Ausstellung ist der 100. Todestag des in Meidrich (heute Stadtteil von Duisburg) geborenen Wilhelm Lehmbruck. Zwei Fragen stellen die Kuratoren in den Mittelpunkt ihrer Präsentation:

Was ist Schönheit im Schaffen beider Bildhauer und welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede kennzeichnen ihr Verhältnis?

Beide erlebten den Zenit ihres künstlerischen Schaffens an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert und am Anfang des 20. Jahrhunderts. Der letzte große Krieg lag nahezu 30 Jahre zurück, die Wirtschaft pulsierte, die Menschen waren an Kunst interessiert. Traditionsgebundene Ansichten in den Akademien und Museen hielten an antiken, historisierenden und naturalistischen Themen in der Kunst fest. In fortschrittlichen, jungen Künstlerkreisen gärte es. Unzufriedenheit über die stagnierende Gegenwart, avantgardistische Einflüsse aus dem revolutionären Russland, Gedanken eines Kandinsky »Über das Geistige in der Kunst«, neue Formen bildhauerischen Gestaltens durch Rodin in Frankreich, durch Meunier in Belgien oder Hildebrand in Deutschland, Gründung moderner Künstlerkreise in München, Wien und Berlin brachen das Eis und brachten neue Sichtweisen in die Malerei und Bildhauerkunst.

Der über 40jährige Altersunterschied zwischen Rodin und Lehmbruck wirft natürlich die Frage auf, wie konnte es zwischen beiden überhaupt zu einer künstlerischen Beziehung kommen? Rodin war kein Frühstarter. Viele Mühen, Rückschläge hatte er zu verkraften, ehe seine Kunst allseits anerkannt wurde.

Le penseur
Auguste Rodin
Musée Rodin Paris
Foto: Christian Baraja

Sein Durchbruch zur internationalen Würdigung gelang ihm 1889, als er seine berühmte Plastik »Der Kuss« auf dem Pariser Salon präsentierte.

In all seinen Arbeiten betonte Auguste Rodin im Gegensatz zum Hergebrachten die materielle Schönheit der Natur des Menschen, die Darstellung seiner sich ständig ändernden Bewegung in seiner gesamten Körperlichkeit, seines Wandels, der mobilen Aktion, der Körper als Ausdruck und Form von Psyche und Geist. Diese Lebendigkeit schaffte damit neue »schöne« Inhalte in seinen Werken und wurde von der Kunstwelt akzeptiert, später bewundert und gefeiert.

Le Sommeil, buste de jeune femme
Auguste Rodin
Musée Rodin Paris
Foto: agence photographique du musée Rodin – Pauline Hisbacq

Wilhelm Lehmbruck hatte indes an der Kunstgewerbeschule in Düsseldorf sein auffallendes Talent handwerklich und stilistisch geschult und erbrachte schon in dieser Studienzeit fassbare Erfolge (Badende 1902), die allerdings im Wesentlichen dem vorherrschenden Geschmack entsprachen.

Badende, 1902-1905
Wilhelm Lehmbruck
Foto: Bernd Kirtz

Eine Internationale Kunstausstellung 1904 in Düsseldorf zeigte 60 Werke von Rodin, die Lehmbruck förmlich erleuchteten. Jetzt hatte er sein Idol, sein Ziel erkannt. Nach mehreren Besuchen zog er deshalb 1910 mit seiner mittlerweile bestehenden Familie in die Kulturhauptstadt Europas nach Paris. Anders als gedacht, führte nicht die direkte Begegnung mit Auguste Rodin zur Blüte seines Schaffens. Es waren die Einflüsse von Aristide Maillol oder auch des Malers Hans von Marées, die neben seinen eigenen Vorstellungen und Empfindungen zu einem unverwechselbaren Lehmbruckstil führten, den er als expressionistisch bezeichnete (Stehende weibliche Figur, 1910; Kniende, 1911; Große Sinnende, 1913; Emporsteigender Jüngling 1913/14).

Stehende weibliche Figur, 1910
Wilhelm Lehmbruck
Foto: Bernd Kirtz

Schönheit bei Lehmbruck?

Wir gehen zurück bis in die griechische Antike und vernehmen schon bei Sokrates (469 – 399 v. Chr.) die Aufforderung an die Künstler, sie sollten »die Bewegung der Seele« wiedergeben (E.H. Gombrich, 16. Ausgabe, S. 94), eine Forderung, die Anfang des 20. Jahrhunderts von den maßgeblichen Akteuren in der Kunst wieder aufgegriffen wurde. Lehmbrucks Figuren sind kein Abbild der Natur. Überlange, schlanke, fast ausgezehrte, muskel- und konturlose, glattwandige Extremitäten gehören zu einem Haupt, das sich vom Betrachter abwendet, augenlos in sich gekehrt ist. Die geformten Körper feiern nicht die Figur, sondern lassen uns das tiefe Empfinden, die Wahrnehmung der geschilderten Existenz fühlen. Der Ausdruck kumuliert in einer Weise, dass der Betrachter in das Sinnen der Plastik förmlich hineingezogen wird.

Die Schönheit der Melancholie.

Der Krieg veränderte alles. Nach 2 Jahren in Berlin im Sanitätsdienst, der ihm wegen Schwerhörigkeit schließlich erlassen wurden, konnte er in das kriegsfernere Zürich übersiedeln, wo nochmals bedeutende Werke, entstanden. Alle Arbeiten (Sitzender Jüngling, 1916/17; Gestürzte, 1915) demonstrieren Lehmbrucks zunehmend depressive Gemütslage als Ausdruck der verheerenden Kriegsfolgen, zeigen aber auch seine Verzweiflung und Zerrissenheit über die zunehmenden familiären Schwierigkeiten (Kopf eines Denkers, 1918; Betende, 1918 – Porträt Elisabeth Bergners als Darstellerin in Strindbergs »Rausch«).

Betende, 1918
Wilhelm Lehmbruck
Foto: Dejan Saric

In dieser späten Schaffensphase nähern sich die Auffassungen Lehmbrucks und Rodins wieder an. In zunehmender Weise arbeitet Lehmbruck an den von Rodin gepriesenen »Stückwerken«, z.B. eines Torsos, einzelner Körperteile (Weibliches Torso, 1918; Kopf Frau L., 1918; Liebende Köpfe, 1918).

»In seinem späten »Kopf eines Denkers«, einem metaphorischen Selbstbildnis, hat Lehmbruck einen fragmentarischen Stil gefunden, der seiner Verzweiflung und dem Bruchstückhaften seines Lebens entspricht: »Ein Kopf, der nicht durch seine Sinnesorgane in die Plastik tritt, sondern durch die Wölbung seines Stirnschädels die Gedankenwelt zur Dominante unseres Leibes erhebt.» (F. v. Unruh 1919.)« (aus Schepers, Wolfgang, Hrsg.: Düsseldorf, eine Großstadt auf dem Weg in die Moderne, Düsseldorf 1984, S.124 von Dietrich Schubert)

Wilhelm Lehmbruck hatte sich in sein junges Model, die Schauspielerin Elisabeth Bergner widerstandslos verliebt, sie jedoch nicht in ihn. Gefühle des Versagens in der Liebe und in der Familie, ein angeschlagener körperlicher Gesundheitszustand und die resultierende tiefe Depression ließen für ihn einen Ausweg vermissen. Berlin 25. März 1919.

Eine eindringliche, umfangreiche Ausstellung mit hohem Informationswert zum Leben und Schaffen beider Künstler auch im Vergleich zu künstlerischen Zeitgenossen!

La petite châteleine, 1895
Camille Claudel
Musée Joseph-Denai, Beaufort-en-Anjou
Foto: Bruno Rousseau

Über das Lehmbruck Museum

In dem modernen Museumsbau, 1964 von einem Sohn Wilhelm Lehmbrucks, Herrn Manfred Lehmbruck (1913 – 1992) erbaut, präsentiert das Lehmbruck Museum Sammlungen moderner Skulptur. Ausgehend vom Werk Lehmbrucks begegnen sich hier Primitivismus und Kubismus, Abstraktion und Expressionismus, Konstruktivismus und Minimalismus – in Werken von Picasso, Barlach, Brancusi, Dali, Magritte, Beuys oder Serra. Zudem verfügt das Museum über Deutschlands bedeutendste Giacometti-Werkgruppe.

Schönheit
Lehmbruck & Rodin – Meister der Moderne
23.03. bis 18.08.2019

Lehmbruck Museum
Friedrich-Wilhelm-Straße 40
47051 Duisburg
Tel.: 0203/283 2630

Di bis Fr: 12:00 bis 17:00 Uhr
Sa bis So, Feiertag: 11:00 bis 17:00 Uhr
Website: http://www.lehmbruckmuseum.de/

Ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm ist über o.g. Adressen zu erfahren.

Zur Ausstellung ist ein ausführlicher, reich bebildeter Katalog im HIRMER-Verlag, München erschienen, 208 Seiten. Jubiläumspreis 15,00 €

Mehr über den Künstler Rodin findet ihr in sisterMAG Ausgabe 46, die komplett von Rodins Werk »Der Denker« inspiriert ist.